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Norddeutscher Dialog: Ambulantisierung – wie kann sie gelingen?

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Die Ambulantisierung stationärer Leistungen birgt großes Potenzial für das deutsche Gesundheitssystem: Behandlungen erfolgen häufig schneller, weniger invasiv und mit geringerem Ressourcenverbrauch. Andere Länder sind hier bereits weiter – und mutiger – als Deutschland. Können digitale Versorgungsmöglichkeiten, telemedizinische Konsultationen, interprofessionelle Zusammenarbeit sowie sektorenübergreifende Versorgungs- und Finanzierungsansätze als Wegweiser dienen? Darüber wurde am 24. Juni 2025 beim zweiten Norddeutschen Dialog in Hamburg diskutiert.

Sieben Menschen in einer Reihe vor einer Bühne

Brachten unterschiedliche Ambulantisierungs-Perspektiven auf den Punkt (v.l.n.r.): Moderatorin Astrid Rolle, Prof. Dr. Boris Augurzky vom hcb – Institute for Health Care Business, Barmer Landesgeschäftsführerin Dr. Susanne Klein, Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer, KVH-Vorstandsvorsitzender John Afful und Dr. Claudia Brase, Geschäftsführerin der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft (HKG)

Foto: Barmer Hamburg

„Das ambulante Potenzial ist in Hamburg bei Weitem noch nicht ausgeschöpft“, betonte Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer in ihrem Grußwort. Die Ambulantisierung sei ein Schlüssel zu einer bedarfsgerechten Versorgung und bedeute für Patientinnen und Patienten mehr Lebensqualität. Erfolgreiche Beispiele gebe es bereits, etwa in der Poliklinik Veddel.

Ambulantisierung als Schlüssel für zukunftsfähige Versorgung

Dass die Idee der Ambulantisierung keineswegs neu sei, unterstrich Prof. Dr. Boris Augurzky vom hcb – Institute for Health Care Business GmbH in seinem Vortrag: „Schon seit vielen Jahren ist klar, dass Ambulantisierung sinnvoll ist.“ Trotz der demografischen Entwicklung würden künftig weniger stationäre Kapazitäten benötigt. Die Ressource Arzt müsse effizienter genutzt werden. Augurzky plädierte für ein gemeinsames Gesamtbudget für ambulante und stationäre Leistungen. Dies würde die Kosten für die Krankenkassen senken und das Risiko der Doppelfinanzierung vermeiden.

In der anschließenden Podiumsdiskussion kritisierte John Afful, Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg, dass die Ambulantisierung bislang vor allem aus der Perspektive der Krankenhäuser gedacht werde – und weniger aus Sicht der Patientinnen und Patienten. Auch Dr. Jochen Sunken von der Verbraucherzentrale Hamburg mahnte: „Ambulantisierung darf nicht nur als Sparmaßnahme verstanden werden. Die Menschen interessieren sich nicht für Sektorengrenzen – sie müssen bei einer Umstrukturierung mitgenommen werden.“

Kritik, Praxisbeispiele und der Ruf nach Strukturreformen

KVH-Chef Afful forderte mehr Steuerungsmöglichkeiten für Hausärztinnen und Hausärzte. Prof. Augurzky sieht hier ebenso Handlungsbedarf: „Patienten müssen besser durch das komplexe Gesundheitssystem geleitet werden.“

Dr. Susanne Klein, Landesgeschäftsführerin der BARMER in Hamburg, sprach sich für neue Denkweisen aus: „Für eine patienten- und qualitätsorientierte Versorgung braucht es eine gemeinsame Planung des ambulanten und stationären Versorgungsbedarfs. Es darf nicht sein, dass medizinische Leistungen aus monetären Gründen stationär erbracht werden, obwohl eine ambulante Versorgung möglich wäre.“

Dr. Claudia Brase, Geschäftsführerin der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft, warnte davor, Patientinnen und Patienten nach einem Eingriff auf sich allein gestellt zu lassen: „Die Operation ist nicht alles. Physiotherapie, Nachbehandlungen und weitere Nachsorge sind in Deutschland bislang nicht sektorenübergreifend geplant.“ Der Aufbau entsprechender ambulanter Strukturen an Kliniken brauche Zeit.

Fazit: Weg frei für eine sektorenübergreifende Gesundheitsversorgung

Einblick in die Praxis gab Dr. Sven Jürgens von der Frauenklinik an der Elbe – eine der größten chirurgischen Ambulanzkliniken Europas. Dort gehört das ambulante Operieren längst zum Alltag, die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Partnern funktioniere gut. „Ambulantisierung lebt davon, dass es über alle Sektoren hinweg einen reibungslosen Übergang gibt“, so Jürgens. Die zentrale Herausforderung sei es, die medizinische Versorgung in Qualität und Quantität zu erhalten – und idealerweise zu verbessern.

Das Fazit von Dr. Susanne Klein: „Das deutsche Gesundheitswesen muss strukturell neu ausgerichtet werden. Dafür braucht es Mut zur Veränderung. Wir können uns ein Denken in Sektoren nicht länger leisten. Erst wenn wir in Versorgung denken – nicht mehr in ambulant oder stationär – sind wir einer sektorenübergreifenden Versorgung einen entscheidenden Schritt nähergekommen.“