Lotsin im Gesundheitswesen: Kann die schwedische 1177 Vorbild sein?
Ein Ziehen im Bauch, Husten seit Tagen – und immer wieder die große Frage: Wohin geht es jetzt eigentlich? Hausarzt? Notaufnahme? Oder doch Dr. Google?
In Schweden ist das einfacher. Dort gibt es die 1177, eine zentrale Nummer für alle Gesundheitsfragen. Rund um die Uhr stehen medizinisch geschulte Fachkräfte bereit (Pflegekräfte, Ärztinnen und Ärzten). Sie geben nicht nur eine fundierte Ersteinschätzung, sondern haben dank Verknüpfung mit der elektronischen Patientenakte (ePA) auch gleich den Überblick über Vorerkrankungen und Medikationen. Eine echte Lotsin in der Versorgung.
Bei einer Delegationsreise unter Leitung von Hamburgs Gesundheitssenatorin Melanie Schlotzhauer im September wurde deutlich: Deutschland hat Nachholbedarf! Zwar existiert mit der 116117 ein vergleichbares Modell – doch die Unterschiede liegen im Detail. Die deutsche Hotline hilft zwar bei Terminvermittlungen und nutzt online im Patienten-Navi mit SmED bereits eine strukturierte Ersteinschätzung. Aber: Sie ist zu wenig bekannt, zu selten genutzt und nicht mit der ePA vernetzt.
Soll Aufwand und Zeit sparen und die Häufigkeit der Arztbesuche reduzieren, ohne die Gesundheit der Patientinnen und Patienten zu beeinträchtigen: die 1177 in Schweden.
Während Schweden längst auf einen „One-Stop-Shop“ für Gesundheit setzt, bleibt die 116117 in Deutschland eher eine organisatorische Schnittstelle. Noch kein System, das Patientinnen und Patienten wirklich durch die Versorgung leitet.
Natürlich: Auch in Schweden läuft nicht alles rund. Lange Wartezeiten gibt es auch dort. Doch das Mindset ist entscheidend. Die Menschen vertrauen dem System – und das System traut sich etwas. Digitalisierung wird nicht zerredet, sondern umgesetzt.
Was folgt daraus für Deutschland? Vier Punkte sind zentral:
1. Vernetzung mit der ePA – sofort. Nur wer Daten einsehen kann, kann wirklich gut beraten.
2. Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit – verbindlich. Orientierung darf keine Frage der Uhrzeit sein.
3. Ausbau der Angebote – über akute Hilfe hinaus, etwa für Prävention und chronische Erkrankungen.
4. Und schließlich: die bundesweite Zusammenlegung von 116117 und 112.
Die Integration digitaler Dienste – von Gesundheitsapps bis Online-Sprechstunden – würde schließlich ein nahtloses Versorgungserlebnis schaffen. Genau das, was unter „Value Based Healthcare“ verstanden wird: Der Nutzen für die Patientinnen und Patienten steht im Mittelpunkt.
Fazit: Die 1177 zeigt, wie moderne Patientensteuerung funktioniert: fachlich kompetent, digital vernetzt, niedrigschwellig erreichbar. Deutschland hat hier noch Luft nach oben. Aber mit Mut, klarer Strategie und konsequenter Umsetzung kann auch die 116117 mehr werden als nur eine Nummer, nämlich der Dreh- und Angelpunkt einer patientenzentrierten, digitalen Versorgung.
Wertvolle Einblicke: Vertreterinnen und Vertreter der Hamburger Gesundheitslandschaft während einer Delegationsreise unter Leitung von Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer Mitte September in Stockholm