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„Wir brauchen die Krankenhausreform für eine medizinisch qualitativ hochwertige Versorgung“

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Seit Mitte Dezember 2022 ist Tim Angerer neuer Staatsrat für Gesundheit der Hansestadt. Der 50-Jährige folgt im Amt Melanie Schlotzhauer, die im Rahmen einer Senatsumbildung neue Sozialsenatorin wurde. Angerer ist behördenerfahren in Hamburg, leitete zuletzt das Amt für Medien in der Kulturbehörde und kennt auch die Sozialbehörde aus seiner Zeit dort von 2004 bis 2011. 

Porträtfoto Tim Angerer

Staatsrat für Gesundheit: Tim Angerer

(Foto: Senatskanzlei Hamburg)

In der Sportberichterstattung ist oft von einer „Rückkehr an die alte Wirkungsstätte“ die Rede, wenn beispielsweise ein Fußballspieler mit seinem neuen Verein beim ehemaligen Klub gastiert. Trifft diese Redewendung auch auf Sie und Ihre Rückkehr in die Sozialbehörde zu? 
Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn habe ich rund sechs Jahre in ganz unterschiedlichen Funktionen im damaligen Amt für Gesundheit und Verbraucherschutz gewirkt, auch in Brüssel in der Generaldirektion Gesundheit. Das kommt mir heute fachlich sehr zupass. Um das Bild des Fußballs aufzugreifen: Das Team der Sozialbehörde ist stets auf dem Platz, in allen Positionen gut aufgestellt und zählt zu den stärksten und sympathischsten, die ich kenne – nur so lassen sich Krisen wie Corona und die Folgen des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine – wie die Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten – meistern. Kollegial ist es für mich schön, die eine oder andere „Spielerin“ und den ein oder anderen „Spieler“ bereits viele Jahre zu kennen.

Der Arbeitsalltag Ihrer Vorgängerin war stark von der Corona-Pandemie geprägt. Was hat Sie in Ihren ersten Monaten im Amt hauptsächlich beschäftigt? 
Corona hat uns Schwächen in allen Bereichen unseres Lebens unerbittlich aufgezeigt. Gleichzeitig haben wir als Stadtgesellschaft und Verwaltung ein beeindruckendes Maß an Solidarität, Einsatz und Veränderungsbereitschaft bewiesen, um die Pandemie zu bewältigen. Das gilt ganz besonders für alle Angehörigen der Gesundheitsberufe. Diese Stärken wollen wir verstetigen und uns gut für die Zukunft aufstellen. Dafür setzen wir als Stadt ganz grundsätzlich auf die Digitalisierung. Auch der Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst atmet diesen Geist und begleitet uns in der Umsetzung die nächsten Jahre. Er baut auf den durch die Pandemie aufgezeigten Modernisierungs- und Personalbedarfen auf. In diesem Rahmen hat Hamburg insgesamt 110 unbefristete Stellen geschaffen, davon allein 92 Stellen in den Gesundheitsämtern. Parallel optimieren wir gemeinsam mit den Gesundheitsämtern Abläufe und setzen verschiedene Digitalisierungsprojekte um.
Bundespolitisch beschäftigt unser Haus, die Senatorin und mich seit Beginn des Jahres die Krankenhausreform. Wir haben dabei in Hamburg die verantwortungsvolle Aufgabe, die A-Länder zu koordinieren – das machen wir gerne und engagiert. Wir sind davon überzeugt, dass wir die Reform brauchen, damit die Menschen in Deutschland auf eine medizinisch qualitativ hochwertige und erreichbare Versorgung im Krankenhaus auch in Zukunft zählen können.

Gesundheit ist in Deutschland – zumindest in Teilen – Ländersache, etwa bei der Krankenhausplanung und der stationären Versorgung. Die Kliniken ächzen nach drei Jahren Corona: wegen der dauerhaften Belastung einerseits, andererseits wegen immer mehr unbesetzter Stellen aufgrund des Fachkräftemangels bei Pflegepersonal und im ärztlichen Bereich. Wie können Sie hier unterstützen? 
Corona hat zu einer erheblichen Belastung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in vielen Bereichen der stationären Versorgung geführt, übrigens auch in den Arztpraxen. Die Pandemie ist aus meiner Sicht allerdings weniger der Auslöser, als ein Brennglas, das strukturelle Herausforderungen sichtbar macht. Der Fachkräftemangel trifft derzeit sehr viele Branchen. Im Bereich der Pflege hat die Sozialbehörde schon vor einiger Zeit gemeinsam mit den einschlägigen Akteuren die „Allianz für die Pflege“ gegründet, um grundsätzlich mehr Menschen für die Ausbildung in einem Pflegeberuf zu gewinnen (Allianz für die Pflege: „Alles geben – viel zurückbekommen“ – hamburg.de sowie Pflegeberufe in Hamburg – Ausbildungsplätze & Praktika (pflegeberufe-hamburg.de). Um mehr Auszubildende für den Pflegeberuf zu gewinnen, betreibt die Sozialbehörde gemeinsam mit der Gesundheitswirtschaft Hamburg GmbH seit 2019 die Imagekampagne „Das ist Pflege!“, um – ergänzend zu den Recruiting-Aktivitäten der Arbeitgeber – für das Berufsbild zu werben und die (reformierte) Pflegeausbildung bekannt zu machen. Dies geschieht überwiegend in den sozialen Medien – u.a. über Filmclips (z.B. Berufsbild Kinderkrankenpflege) – und durch Werbemaßnahmen im öffentlichen Raum. Zudem unterstützt die Sozialbehörde in Kooperation mit den Verbänden eine Reihe von Maßnahmen, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Unter anderem über Qualifizierungsmaßnahmen und über die Gewinnung von Fachkräften aus dem In- und Ausland. Hier sind die Kliniken und Träger selber gefordert und ja auch aktiv, Ausbildungsplätze zu schaffen. Seit der Pflegeberufe-Reform sind alle Ausbildungsverhältnisse über eine Umlage finanziert, und die Stadt garantiert die entsprechenden Plätze an einer Pflegeschule.

Der Bundesgesundheitsminister möchte gemeinsam mit den Ländern seine geplante Krankenhausreform vorantreiben. Was holen Sie hierbei für Hamburg heraus? 
Wir verfolgen das Ziel, über Vorhaltepauschalen – als einen bedeutenden Baustein der künftigen Finanzierung des Krankenhausbetriebes – eine Abkehr von den reinen Fallpauschalen zu erreichen. Das wird – zusammen mit den anderen Elementen der Reform – zu mehr Qualität in der Versorgung der Menschen führen. Das ist auch unser Ziel für Hamburg. Wegen der Besonderheiten, die eine Metropolenrolle etwa in der Versorgung auch für das Umland – Schleswig-Holstein und Niedersachsen – und der relativ kurzen Wege mit sich bringt, werden wir auf hinreichend Flexibilität in den Regelungen achten, damit wir den Besonderheiten gerecht werden – dazu sind wir in Hamburg mit den Krankenhäusern und der HKG in enger Abstimmung zu allen Schritten der Reformberatungen. Die Hinweise der Häuser und ihre Expertise nehmen wir mit nach Berlin und bringen sie ein. Erfreulich und ein Verhandlungserfolg auch für uns in Hamburg ist in diesem Zusammenhang, dass wir es erreicht haben, dass die Geburtshilfe nicht zwingend an Stroke-Units gekoppelt sein muss, um das Level zu erhalten.

Wie wird sich die Versorgungslage für die Einwohnerinnen und Einwohner Hamburgs durch die Reform verändern?
Die gesundheitliche Versorgung, gerade im stationären Bereich, ist in Hamburg als Medizinmetropole ausgesprochen gut. Davon profitieren, wie schon gesagt, nicht nur die Hamburgerinnen und Hamburger, sondern auch das gesamte Umland. Rund ein Drittel der Versorgten in den Hamburger Krankenhäusern kommt nicht aus der Hansestadt selbst. An dieser guten Versorgungslage und der wichtigen Position Hamburgs wird sich durch die Reform nichts ändern. Auch wenn wir aktuell bei den laufenden Gesprächen auf vielen Ebenen noch nicht vorhersagen können, wie genau sich die Reform auf die Hamburger Krankenhäuser auswirken wird, ob etwa die eine oder andere Fachabteilung in einem Krankenhaus verändert wird oder Versorgungsschwerpunkte in einzelnen Häusern konzentriert werden.

Beim Thema Digitalisierung sind uns andere Länder voraus. Wie wollen Sie das hamburgische Gesundheitswesen digitaler machen? 
Hamburg steht im Vergleich der Bundesländer in der Digitalisierung des Gesundheitswesens gut da. Hier zeigt unter anderem die Erhebung des DigitalRadars von 2021, dass die Hamburger Krankenhäuser im Schnitt zu den digitalsten in Deutschland gehören. Wir stoßen auf eine große Bereitschaft und Interesse der Akteure im Gesundheitswesen, hier vorbildhaft voranzugehen. Dabei unterstützen wir die Digitalisierungsbestrebungen mit Fördermitteln, wie beispielsweise in der IT--Informationstechnologie-Sicherheit oder zur Bildung telemedizinischer Netzwerke. Der Schlüssel für eine effiziente Digitalisierung zum Nutzen aller Patientinnen und Patienten und der Gesundheitseinrichtungen liegt aus meiner Sicht insbesondere aber auch im Ausbau der sektorenübergreifenden Kooperation. Wir koordinieren daher die Digitalisierungsinitiative Health Harbor Hamburg (H³) in ebendiesen Herausforderungen und bringen alle Sektoren an einen Tisch. Das Engagement aller Akteure hier ist bemerkenswert und zeigt einen engen Hamburger Schulterschluss. Dabei sehe ich auch durch die Entwicklung der Telematikinfrastruktur und deren Fachanwendungen auf Bundesebene perspektivisch große Chancen für unsere Gesundheitsversorgung in Hamburg. Für Deutschland wird es im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten der EU wichtig sein, die Elektronische Patientenakte zügig einzuführen, um hier aufzuschließen.