Porträtfoto Doktor Irene Preußner-Moritz
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Interview: "Allzu oft wird die eigene Gesundheit dem Wohlergehen der zu versorgenden Menschen unterstellt“

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Dr. Irene Preußner-Moritz (Dipl.-Psych.) ist Business- und Gesundheits-Coach. Sie ist Gründerin und Inhaberin der Berliner Unternehmensberatung SMEO GmbH. Seit mehr als 25 Jahren gibt sie Führungskräftetrainings und berät Unternehmen. Betriebe der Gesundheits- und Sozialwirtschaft unterstützt sie seit mehr als 10 Jahren im Betrieblichen Gesundheitsmanagement und trainiert Leitungskräfte in gesunder Führung. Das von ihr entwickelte Business-Spiel wird seit 2017 zur betrieblichen Resilienzförderung im Coaching, Training und in der Prozessberatung eingesetzt.

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Welchen Beitrag können Maßnahmen zur Gesundheitsförderung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen leisten, um die Fehlzeiten zu reduzieren?

Meiner Erfahrung nach sind es vor allem Maßnahmen, die an der Verbesserung der Zusammenarbeit und Arbeitsorganisation ansetzen, die nachhaltig zur Fehlzeitenreduzierung beitragen. Dabei kann schon helfen, Druck aus dem stark getakteten Alltag zu nehmen und für Entlastung der Mitarbeitenden zu sorgen. In den letzten Jahren ist es immer wichtiger geworden, leicht umsetzbare Maßnahmen zu finden, die schnell wirksam sind. Dazu zählt zum Beispiel einen Springerpool zu etablieren, um mit Ausfällen im Dienstplan umzugehen. Der anhaltende Mangel an Pflegefachkräften erfordert es beinahe täglich, kreativ und offen nach Lösungen zu suchen, um die geforderte Qualität zu erbringen und gleichzeitig die Mitarbeitenden vor Erschöpfung zu schützen. Um dies wirkungsvoll umzusetzen muss das Betriebliche Gesundheitsmanagement zur DNA des Unternehmens gehören.

Welche Rolle spielen Führungskräfte?

Ein gesunder Führungsstil ist eine der wichtigsten Stellschrauben, um Fehlzeiten entgegen zu wirken. In den Häusern, wo Führungskräfte dies erkannt haben, achten sie eher auf ihr eigenes Gesundheitsverhalten und wirken damit als wichtiges Vorbild. Gleichzeitig tragen Führungskräfte, die den Wert des Einzelnen schätzen und dies auch zeigen können, deutlich zum Wohlbefinden und zur Motivation ihrer Mitarbeitenden bei. Ein solches Führungsverhalten unterstützt auch die notwendige Selbstfürsorge bei den Beschäftigten, die beinahe täglich eingefordert werden muss. Allzu oft wird die eigene Gesundheit, dem Wohlergehen der zu versorgenden Menschen unterstellt. Dagegen zu wirken, muss stets Antrieb sein - sowohl von Führungskräften als auch jedem Einzelnem im Gesundheitswesen.

Sie führen gemeinsam mit der Barmer im Paulinen-Krankenhaus ein Planspiel zu Stressvermeidung und Resilienzförderung durch. Was ist das Erfolgsrezept?

Im Paulinen-Krankenhaus wird das von mir erfundene Spiel MENSCH DENK AN DICH® eingesetzt, um die Kommunikation und Kooperation im ganzen Hause zu verbessern. In 3-stündigen Spieleworkshops beteiligen sich alle Führungskräfte und Mitarbeitende in berufsgruppenübergreifender Zusammensetzung. Durch den Spieleeinsatz wird eine entspannte und inspirierende Arbeitsatmosphäre erzeugt, die den Problemlöseprozess kreativ voranbringt. Das Spiel bringt die Teams dazu, sich ihrer Stärken bewusst zu werden und gemeinsam nach Verbesserungsideen zu suchen, die den Arbeitsalltag resilienter gestalten lassen. Die Ideen, wie zum Beispiel die gegenseitige Wertschätzung in der Teambesprechung oder die integrative Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen, werden schnell in den Klinikalltag eingebracht. Dies ist nicht nur motivierend, sondern zahlt sofort auf die Gesundheit aller ein.

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie stehen Pflegekräfte in Krankenhäusern und Pflegeheimen noch mehr unter Druck. Gibt es Sofortmaßnahmen, die den Beschäftigten helfen können, mit akuten Krisensituationen besser umzugehen?

Studien belegen, dass eine gute Selbstfürsorge während der Krisenzeit eine positive Schutzwirkung gegenüber psychischem Stress hatte. Menschen, denen es gelingt, auch in der akuten Krise optimistisch zu bleiben und die positiv in die Zukunft schauen, können die Belastungen durch die Corona-Pandemie besser bewältigen. Es scheint so zu sein, dass diejenigen, die die Herausforderung durch die Pandemie leichter annehmen, auch ihren Alltag gesünder meistern. Übrigens gibt es Hinweise darauf, dass gerade Frauen – die im Gesundheitswesen zu 80 Prozent vertreten sind – deutlich mehr an emotionaler Erschöpfung durch die Corona-Krise leiden als Männer. Das kann mit daran liegen, dass gerade Frauen derzeit - privat wie beruflich – noch stärker in der Fürsorge für andere gefordert sind.

Wie können nun Krankenhäuser und Pflegeheime dagegen steuern?

Das, was bereits ohne Corona wichtig war, ist in der derzeitigen Ausnahmesituation umso bedeutsamer. Jetzt ist eine starke Führung gefordert, die sich und ihr Team resilient führt. Mitarbeitende brauchen einmal mehr Führungskräfte, die auf die persönlichen Belange eingehen, die sich um die Ängste und Sorgen ihrer Mitarbeitenden kümmern. Nicht Perfektionismus, sondern Kreativität steht jetzt auf der Tagesordnung. Tägliche Rituale, wie kurze Besprechungen, in dem nicht nur Frust abgelassen werden kann, sondern auch Dankbarkeit für das was gelingt sein darf, sorgen für Entlastung und stärken das Gemeinschaftsgefühl. Die Reflexion über die Erfolge in der Arbeit und gegenseitiges Anerkennen, dass es Grenzen des Machbaren gibt, helfen auch über schwierige Situationen hinweg. Sich gegenseitig unterstützen und eine positive Sichtweise trainieren, lässt zudem gelassener in die Zukunft blicken. Gerade in Zeiten der Lockdowns habe ich durch individuelles Telefoncoaching für Führungskräfte oder Online Seminare für Teams wirkungsvoll unterstützen können. Dabei reichen oft schon wenige Impulse aus, um Menschen für die akute Krisenbewältigung zu stärken.