Ministerin Nonnemacher bei Ich kann kochen!
Interview mit Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher

„Kita und Schule sind der richtige Ort für eine ausgewogene und nachhaltige Verpflegung“

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Am 9. September wurde Ursula Nonnemacher von Sarah Wiener und Gabriela Leyh zur Botschafterin von Ich kann kochen! ernannt. In der Potsdamer Kita Regenbogenland der Hoffbauer-Stiftung konnte sich die Ministerin einen praktischen Eindruck von Deutschlands größter Ernährungsinitiative verschaffen, in dem sie mit den Kindern der Koch-AG Knäckebrot mit Kräuterbutter zubereitete. Wenige Stunden zuvor hatte Nonnemacher den 2. Brandenburger Präventionskongress zum Thema Kindeswohl eröffnet. Und dann ist da noch die Initiative „Brandenburg ernährt sich nachhaltig“. Derzeit arbeitet das Ministerium von Nonnemacher gemeinsam mit anderen Ressorts der Landesregierung an einer Ernährungsstrategie mit Handlungsfeldern, operativen Zielen und konkreten Maßnahmen, die bis Anfang 2023 stehen soll. Die Standortinfo sprach mit Ursula Nonnemacher über Kindergesundheit und gesunde Ernährung.

Frau Ministerin, die gesundheitlichen Folgen schlechter Ernährung in Kombination mit mangelnder Bewegung sind hinlänglich bekannt und leider bei immer mehr Kindern offensichtlich. Nach Erhebungen der BARMER sind 4,65 Prozent der Brandenburger Kinder adipös. Ernährung findet jedoch größtenteils im Privaten statt und die Menschen möchten sich nicht vorschreiben lassen, was sie essen sollen. Wo kann Politik da ansetzen?
Nonnemacher: Als Ministerin sowohl für Gesundheit als auch Verbraucherschutz ist es mir ein besonderes Anliegen, dass Kinder und Jugendliche sich gut, gesund und ausgewogen ernähren, denn hier liegt der Schlüssel für lebenslange Essgewohnheiten. Ein ganz wichtiger Hebel ist die Gemeinschaftsverpflegung. Hier geht es um ganz praktische Ernährungsbildung und die Umsetzung der Qualitätsstandards für Kita- und Schulverpflegung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung. Wer in der Kita oder in der Grundschule lernt, was dem Körper gut tut und was nicht, was gesund ist und was nicht, wie viel Arbeit in einem Produkt oder auch in der Zubereitung eines guten Essens steckt – wer das von klein auf lernt, wird auch als erwachsener Mensch entsprechend handeln, nach gesunden Lebensmitteln greifen und einen wertschätzenden Umgang mit Lebensmitteln leben. Kita- und Schule sind der richtige Ort für eine ausgewogene und nachhaltige Verpflegung und davon profitieren am Ende alle, denn das bedeutet Vorbeugung von Übergewicht und Adipositas und eine gute körperliche und geistige Entwicklung. Hier müssen wir aufklären und fördern und deshalb ist dieser Bereich auch ein ganz wichtiger Bestandteil unserer Ernährungsstrategie.

In Ihrer Initiative „Brandenburg ernährt sich nachhaltig“ setzen Sie auf die Beteiligung von Expertinnen und Experten und Bürgerinnen und Bürgern. Wie sind Sie sie mit dem Beteiligungsprozess bisher zufrieden? Können Sie schon einen Ausblick auf die Ernährungsstrategie wagen?
Nonnemacher: Brandenburg entwickelt gerade eine eigene Ernährungsstrategie, die wird gemeinsam mit dem Ernährungsrat Brandenburg und vielen Ressorts in der Landesregierung erarbeitet. Leitbild ist die Frage, wie wir uns möglichst regional, gesund, vielfältig, fair und bestenfalls noch ökologisch ernähren können. Dafür gab es einen breit angelegten Beteiligungsprozess mit der Zivilgesellschaft, Verbänden, Wirtschaft, Landwirtschaft, Produktion, Lebensmittelverarbeitung, Lebensmittelhandel, Gemeinschaftsverpflegung, Bildung, kommunalen Akteurinnen und Akteuren und Forschung. Es gab regionale Workshops im ganzen Land. Die Ergebnisse flossen direkt in weiterführende Fachworkshops auf Landesebene ein. Schwerpunkte waren Wertschätzung für Lebensmittel, Ernährungsbildung, Wertschöpfung, Regionalität und besonders die Gemeinschaftsverpflegung, als wichtiger Hebel zur Umsetzung im Sinne unseres Leitbildes der Ernährungsstrategie. Konkret heißt das zum Beispiel, dass wir die Gemeinschaftsverpflegung und zwar für jung und alt verbessern, das Wissen um gesunde, nachhaltige Ernährung und die Wertschätzung für Lebensmittel erhöhen wollen, so wie das bei „Ich kann kochen“ der Fall ist. Mir fällt dazu auch meine Teilnahme an einer Kita-Ackerstunde im Rahmen des Bildungsprogramms „GemüseAckerdemie“ der Potsdamer Ackerdemia e.V. ein. Dort habe ich gemeinsam mit den Kindern Kartoffeln vom eigenen Gemüseacker geerntet und erlebt, dass Wertschätzung für Lebensmittel kinderleicht sein kann und noch richtig Spaß macht. Es ist wichtig, dass Kinder durch eigenes Erleben einen Bezug zu dem, was sie essen und trinken, herstellen. Aktuell werden die vielen Ideen und Vorschläge zu einem nachhaltigen Ernährungssystem zum Entwurf einer Ernährungsstrategie zuasmmengetragen. Anfang 2023 soll die Strategie durch die Landesregierung beschlossen werden, so dass wir möglichst bald mit konkreten Maßnahmen beginnen können.

Fleischlose Kost aus regionalen Lebensmitteln kann neben den gesundheitlichen Vorteilen auch ein wichtiger Beitrag für den Klimaschutz sein. Welche Rolle kann Brandenburg als Agrarstandort hier einnehmen?
Nonnemacher: Brandenburg ist ein landwirtschaftlich geprägtes Flächenland. Es bietet der Ernährungswirtschaft sehr gute Bedingungen für regionale Wertschöpfung. Eine Umstellung der Landwirtschaft hin zu mehr pflanzenbasierter Nahrung und mehr ökologischem Landbau leistet auch einen wichtigen Beitrag für den Klimaschutz. Um das Ziel Klimaneutralität in Brandenburg bis zum Jahr 2045 zu erreichen, ist die Reduzierung der CO2-Emissionen auch in der Landbewirtschaftung entscheidend. Dafür müssen wir zum Beispiel Transportwege durch mehr Produkte aus der Region verkürzen. Klimaschutz und klimagerechte Ernährung spielen darum auch in unserer Ernährungsstrategie eine wichtige Rolle und wurden auch in den Workshops klar adressiert, zum Beispiel, dass wir den Konsum von tierischen Lebensmitteln deutlich verringern müssen.

Es lässt sich nicht leugnen, dass Lebensmittelkonzerne hohe Gewinne mit gesundheitsschädigenden Produkten erwirtschaften und diese auch noch kindergerecht bewerben dürfen. Bräuchte es hier nicht strengere gesetzliche Regelungen?
Nonnemacher: Ja, natürlich. Seit Jahren reden wir über sinnvolle Vorstöße wie eine Zuckersteuer, Zuckerreduktion oder verpflichtende Kennzeichnungen. Für meinen Geschmack dauert das alles viel zu lange. Aktuell gibt es einen sehr guten Beschluss der VerbraucherschutzministerInnen-Konferenz, um die Werbung für gesundheitsbeeinträchtigende Lebensmittel an Kinder und Jugendliche einzuschränken. Schon in jungen Jahren werden die Weichen für die Ernährung im späteren Alter gestellt. Dabei ist an Kinder und Jugendliche gerichtetes Marketing für gesundheitsbeeinträchtigende Lebensmittel sehr erfolgreich und führt zu enormen Gewinnen für die Hersteller. Die Folgekosten, also daraus resultierende Erkrankungen, trägt die Gesellschaft. Ein wirksames Verbot, ähnlich dem Werbeverbot für Alkohol oder Zigaretten, ist überfällig. Früher konnte man durch Werbeverbote zu bestimmten Sendezeiten Einfluss nehmen, das ist längst nicht mehr möglich. Kinder und Jugendliche schauen kein lineares Fernsehen mehr, sie sind zu allen Zeiten im Netz unterwegs und immer erreichbar für Werbemaßnahmen. Influencer mit tausend- und millionenfacher Reichweite trinken und essen den Kindern und Jugendlichen vor, was sie nachkaufen sollen.

Und wie machen Sie das persönlich, Frau Nonnemacher: Als Ministerin sind Sie im Dauereinsatz und eilen von Termin zu Termin. Wie schaffen Sie in ihrem Alltag Raum für gesunde Mahlzeiten ohne etwa auf Fast-Food-Angebote zurückzugreifen?
Nonnemacher: Das ist bei meinem eng getakteten Terminkalender ein schwieriges Feld. Aber mein Mann und ich achten beim Einkaufen darauf, dass wir viel frisches Obst und Gemüse und Produkte in Bioqualität einkaufen. Kochen am Abend steht bei uns immer hoch im Kurs. Das ist dann auch die gemeinsame Hauptmahlzeit, wenn es auch manchmal recht spät wird. Wir sind dabei, unseren Fleischkonsum stark zu reduzieren und sind offen für neue Produkte wie vegane Brotaufstriche. Milchprodukte oder Käse bleiben aber auf dem Speiseplan.