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So erlebten die Kinderärzte die Pandemiezeiten in Bayern

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Dr. med. Dominik A. Ewald, Landesvorsitzender des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) Bayern

Unser Erleben in der Pandemie war durch eine große Verunsicherung bei den Patienteneltern, aber auch bei uns Mitarbeitern im Gesundheitswesen geprägt. Am coolsten schienen eigentlich noch die Kinder mit der Situation umzugehen. Durch die Infektionsschutzmaßnahmen (Abstand halten, Hygiene beachten, im Alltag Maske tragen und regelmäßig lüften = AHA+Lü) zum Schutz vor dem Coronavirus SARS-CoV-2 wurden aber auch alle anderen Infektionserkrankungen vermieden. Die Folge warenweniger Vorstellungen wegen akuten Infektionen in den Arztpraxen. Hinzu kamen Verschiebungen von Vorsorge und Impfterminen, meist um Kontakte zu vermeiden, so dass die Praxen eine hohe organisatorische Leistung vollbringen mussten – so wie alle anderen Branchen aber auch. Dennoch haben wir eigentlich die gesamten drei Jahre durchgearbeitet und der Praxisbetrieb wurde immer nur durch Isolationen der Mitarbeitenden oder Quarantänebestimmungen durch Kontaktpersonen bestimmt. Die sich ständig ändernden Regularien in der Pandemie verursachten einen extrem hohen Kommunikationsbedarf innerhalb der Praxisteams, vor allem aber auch zu den Patienteneltern. 80 Prozent der telefonischen Anfragen drehten sich um Verhalten nach Kontakt und Verhalten bei Erkrankung – sei es durch SARS-CoV-2 oder einer anderen Infektionserkrankung – wie zu testen sei und wer. Verwaltungstechnisch blieb bei den hausärztlichen Praxen dann immer noch die Frage, wie der jeweilige Test abzurechnen sei, entweder über die Testverordnungen (am Ende der Pandemie hatte die KVB die Abrechnungsübersicht von SARS-CoV-2-Testungen in der Version 30.4 veröffentlicht) oder über die Krankenkassen. Getoppt wurde diese Verunsicherung im zweiten Jahr mit dem Aufkommen der Impfungen und aller sich wiederum darum drehenden medizinischen, organisatorischen und abrechnungstechnischen Fragen. Relativ schnell nach Beginn der Pandemie im April 2020 erweiterte das Diabetes-Forschungszentrum vom Helmholtz-Institut in München sein Diabetes-assoziiertes-Antikörper-Screening, die Fr1da-Studie, die in nahezu allen Kinder- und Jugendarztpraxen in Bayern bei Drei- bis Zehnjährigen durchgeführt wird, um einen Antikörpertest, der eine durchgemachte SARS-CoV-2-Infektion nachweisen kann.  Aus diesen Daten wissen wir, dass in den unterschiedlichen Wellen bei Kindern bis 11 Jahren drei (1. Welle) bis acht (3. Welle) höhere Infektionen unerkannt abgelaufen sein mussten als es die offiziellen Stellen erfasst haben. Inzwischen wurde die kontinuierliche SARS-CoV-2-AK-Suche im Rahmen dieser Studie eingestellt, weil nahezu 99% aller Proben in 2023 eine durchgemachte Infektion oder Impfung nachweisen. Die Ak-Profile bei Infektion und Impfung sind unterschiedlich und können differenziert werden. Die Infektionen überwiegen die Impf-Antikörper-Nachweise aber bei weitem.

Das spiegelte sich uns so auch in den Kinder- und Jugendarztpraxen. Kinder zeigten meist keine, sehr milde und nur in wenigen Fällen schwerere oder gar komplizierte Verläufe. Anders bei den über 12-Jährigen, die teilweise wesentlich kränker waren, aber auch nahezu nie kritisch.

Sobald sich in den wenigen Lockerungen der Kontaktbeschränkungen Kinder und Jugendliche wieder infizieren konnten, stiegen auch die normalen“ Infektionen durch Viren und Bakterien wieder an. Die zu dem Zeitpunkt „ruhig gestellten“ Immunsysteme schienen daraufhin überfordert und brauchten einige Wochen um sich erneut oder bei den jüngeren Kleinkindern überhaupt erstmal zu trainieren. Dies erklärt zum Beispiel eine Spitze von Scharlachfällen um Pfingsten 2020, nach dem die Kontaktbeschränkungen im beginnenden Sommer gelockert wurden; aber auch die RSV-Welle im Herbst 2021 und 2022. Diese Phänomene im Zusammenspiel von individuellen Immunsystemen und kollektiven Infektionszahlen erklären zudem die aktuelle, gerade abklingende Infektionswelle, in der wir in den Praxen in den beiden Winterquartalen noch mehr Patienten gesehen haben als wir es gewöhnlich vor der Pandemie gesehen haben. Scharlachfälle haben wir in den Wintermonaten immer mal wieder in sehr hohen Zahlen gesehen und regional teilweise auch sehr unterschiedlich, diesen Winter aber lagen die Fallzahlen noch einmal höher.

Diese außergewöhnlichen Pandemiefolgen kombiniert mit einigen nicht absehbaren Ereignissen auf dem Welt-Pharma-Markt treffen nun auf eine Versorgungsstruktur im Arzneimittelbereich, die auf just-in-time und möglichst billig-produzierend ausgerichtet wurde. Nahezu in jeder Legislaturperiode wurden immer wieder neue Gesundheitsstrukturgesetze erlassen, sogenannte Gesundheitsreform, die nie eine Verbesserung der Strukturen bewirkte. Dies rächt sich dann in Krisenzeiten. Medikamente, die zur Allgemeinversorgung gehören, wie Fieber- und Schmerzsenker, Antibiotika wie Penicillin und Amoxicillin sind nicht verfügbar und bedrohen eine gute medizinische Versorgung in Deutschland. Diese Entwicklung aber war absehbar und hätte vermieden werden können. Nun zeigt sich bereits, dass als nächstes in den Pollenflug-Monaten die Antiallergika knapp werden.

So hat die Pandemie einen ganzen Strauß an Defiziten des deutschen Gesundheitswesens beleuchtet und für alle spüren lassen. Defizite, die durch die Normalität vor der Pandemie nur überdeckt, aber schon seit Jahren vorhanden sind. Die Folgen von Homeschooling und Lockdown für die soziale und psychische Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen beobachten wir gerade. Die Folgen einer SARS-CoV 2-Infektion bei Kindern und Jugendlichen beobachten wir genauso, wie Long-Covid und Post-Covid, und vergleichen diese mit ähnlichen Erscheinungen nach anderen Virusinfektionen.