Ein Arzt spricht im Wartezimmer mit einem Patienten
Effizienz statt Überlastung

Wie eine Patientensteuerung die Gesundheitsversorgung verbessern kann

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Die Gesundheitsversorgung leidet unter knappen Ressourcen, überfüllten Notaufnahmen, langen Wartezeiten und steigenden Kosten. Eine bessere Patientensteuerung könnte helfen, das System effizienter zu gestalten. Doch wie kann das gelingen?

Doppelbehandlungen und lange Wartezeiten, ein ewiger Kreislauf

Viele Patientinnen und Patienten suchen die Notaufnahmen auf, obwohl eine ambulante Behandlung völlig ausreichen würde. Und häufig wird die 112 wegen einer Lappalie gewählt. Dafür gibt es Gründe, etwa fehlende Hausärzte, das lange Warten auf einen Arzttermin und auch, dass Patientinnen und Patienten ihre Beschwerden und die Dringlichkeit einer Behandlung falsch einschätzen. Aber dieses Verhalten belastet das ganze Gesundheitswesen. Es bindet in den Kliniken Ressourcen, die an anderer Stelle fehlen. Rettungskräfte rücken wegen einer Bagatelle aus und stehen bei einem echten Notfall nicht zur Verfügung. Es verursacht unnötige Behandlungen und Kosten und die Wartezeit für diejenigen, die tatsächlich deren Hilfe brauchen, wird noch länger. "Eine gezielte Steuerung der Patienten könnte diesen Teufelskreis durchbrechen. Aber das passiert in Deutschland bisher nicht, bei uns gilt die freie Arztwahl", sagt Winfried Plötze, Landesgeschäftsführer der Barmer in Baden-Württemberg.

Ein Mann mit Brille, Glatze, Anzug und Krawatte sitzt in einem Sessel und spricht zu einer anderen Person.

Winfried Plötze, Landesgeschäftsführer der BARMER in Baden-Württemberg

Bundesregierung plant ein Primärarztsystem

Die Politik rüttelt gedanklich an der freien Arztwahl. Denn die Bundesregierung plant ein Primärarztsystem. Das heißt, dass die Patientinnen und Patienten nicht mehr direkt einen Facharzt aufsuchen dürfen. Sie sind verpflichtet, zuerst ihren Haus- oder Kinderarzt aufzusuchen. Und dieser entscheidet dann, ob eine Überweisung in eine andere Praxis notwendig ist. Kritiker monieren nicht nur die Einschränkung der freien Arztwahl. Sie fragen auch, wie das funktionieren soll, wenn schon heute allerorts Hausärzte fehlen und Eltern keine Kinderarztpraxis finden, die sie aufnimmt. "Die Hausärzte entscheiden nicht, zu welchem Orthopäden die Patienten beispielsweise gehen. Sie beurteilen nur, ob ein Besuch bei einem Facharzt medizinisch überhaupt notwendig ist. Und das ist kein Einschnitt in die freie Arztwahl. Der Hausärztemangel macht eine Patientensteuerung nicht leichter, das stimmt. Aber sie darf deswegen nicht abgehakt werden. Warum schauen wir nicht, wie es andere Länder machen? In Norwegen wird von einer vorgeschalteten Pflegekraft entschieden, ob überhaupt ein Hausarzt aufgesucht werden muss. Und soweit ich weiß, ist die Lebenserwartung dort höher und die Sterblichkeit geringer als bei uns", sagt Plötze. Solche Fachkräfte sind auch für das deutsche Gesundheitswesen wichtig. Aber damit eine zeitgemäße Arbeitsteilung zwischen ärztlichem und nicht ärztlichem Personal überhaupt möglich ist, muss das endlich klar im allgemeinen Heilberufegesetz geregelt werden.

Bessere Steuerung durch bessere Abstimmung und Vernetzung

Auch der Gesetzentwurf zur Reform der Notfallversorgung (NotfallG) sah eine Patientensteuerung vor. Dafür sollten zum einen die Rufnummer 116 117 der Kassenärztlichen Vereinigung und die Notrufnummer 112 vernetzt werden. Dass es momentan zwei telefonische Anlaufstellen gibt, führt laut Expertinnen und Experten zu einer Fehlsteuerung und damit zu einer Überlastung von Notaufnahmen und Rettungsdienst. Laut dem Gesetzesentwurf sollten dringende Fälle in Zukunft nicht mehr von den Terminservicestellen vermittelt werden, sondern von sogenannten Akutleitstellen, die unter der 116 117 erreichbar sein sollen. Das NotfallG sah auch vor, dass flächendeckend Integrierte Notfallzentren aufgebaut werden. Zentrale Anlaufstellen an Krankenhäusern, die Notaufnahme und ambulante Notdienstpraxis kombinieren und die Patientinnen und Patienten je nach Dringlichkeit in die passende Versorgungsebene leiten.

Notfall oder kein Notfall? Das ist hier die Frage.

Das NotfallG sah auch vor, dass alle, die den Notruf wählen oder eine Notaufnahme aufsuchen, zuerst eine medizinische Ersteinschätzung erhalten. Dafür soll eine standardisierte Abfrage genutzt werden. Mit deren Hilfe könnte in der Klinik und in der Leitstelle beurteilt werden, ob es sich um einen Notfall handelt oder nicht. Darauf basierend wird in die passende Versorgungsschiene gelotst. Plötze: "Das Notfallgesetz enthält viele gute Ansätze. Wichtig ist, dass der Bund darin klare und verpflichtende Vorgaben für alle Beteiligten macht. Dazu zählt auch, dass es einen festgelegten Zugangsweg zur Notfallversorgung für die Bürgerinnen und Bürger gibt."

Das Notfallgesetz muss kommen

Das Gesetz zur Reform der Notfallversorgung wurde am 6. November 2024 im Gesundheitsausschuss beraten. Experten hatten Nachbesserungen gefordert, dann kam der Bruch der Ampel-Koalition. Doch durch den Regierungswechsel ist das Gesetz nicht vom Tisch. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken hat angekündigt, sich auf die Arbeit der Vorgängerregierung zu stützen und die Reform der Notfallversorgung auf den Weg zu bringen.

Krankenkassen als Gesundheitslotsen  

"Wir sollten versuchen, die Menschen auf einen gesünderen Lebensweg zu steuern. Unser Gesundheitssystem ist darauf ausgelegt, Krankheiten zu behandeln. Wir müssen aber auf die Prävention setzen. Statt Beschwerden und Notfälle zu behandeln, sollten diese verhindert werden. Dafür müssen wir die Gesundheitskompetenz der Menschen fördern, und dazu können die Krankenkassen viel beitragen“, sagt Winfried Plötze. Die Kassen könnten ihre Abrechnungsdaten nutzen, um ihren Versicherten individuelle Informationen und Präventionsangebote bereitzustellen. Eine Datenauswertung für diesen Zweck ist zwar schon erlaubt, allerdings nur im sehr engen Rahmen des Gesundheitsdatennutzungsgesetzes. „Hier wünsche ich mir mehr Spielraum, dann könnten wir unsere Versicherten noch besser unterstützen. So wie wir das im Rahmen der Disease-Management-Programme oder in der Pflegeberatung schon machen.“ Disease-Management-Programme sind strukturierte Behandlungsprogramme, welche die Versorgung und die Lebensqualität von chronisch Kranken verbessern und Komplikationen vermeiden sollen.

Vorteile für alle, die erklärt werden müssen

Patientensteuerung ist keine Entmündigung der Bürgerinnen und Bürger. Sie sollen darüber nicht weniger, sondern die richtige medizinische Versorgung erhalten. Im Gegenzug würden sie von einem effizienteren Gesundheitswesen profitieren, von kürzeren Wartezeiten, von Ärztinnen und Ärzten, die im Notfall schnell für sie da sind. Das ist es, was die Krankenkassen, die Politik, Ärztinnen und Ärzte den Menschen gemeinsam erklären müssen.