Deutschland leistet sich eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt und trotzdem läuft vieles nicht rund. Laut dem Verband der Ersatzkassen sind die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung in den letzten zehn Jahren um über 60 Prozent gestiegen. Die Gründe? Komplexe und komplizierte Strukturen, fehlende Koordination und notwendige Reformen, die von der Politik seit Jahren konsequent nicht angegangen werden. Der Input ist hoch, der Outcome allenfalls mittelmäßig. Und von Effizienz keine Spur. Doch genau die brauchen wir.
"Bei Effizienz denken viele reflexartig an Kürzungen. Aber ein leistungsfähiges Gesundheitswesen entsteht nicht durch Kürzungen, sondern durch kluge Organisation, digitale Unterstützung und den Mut, Versorgung neu zu denken. Geld ist genug da – wir müssen es endlich sinnvoll einsetzen", sagt Winfried Plötze, Landesgeschäftsführer der Barmer Baden-Württemberg bei der Gesundheitskonferenz am Bodensee. Dort diskutierten Expertinnen und Experten aus Politik, Wissenschaft und Gesundheitswesen darüber, wie das System durch Digitalisierung, eine zielgerichtete Patientensteuerung, mehr Eigenverantwortung und eine bessere Gesundheitskompetenz der Bevölkerung optimiert werden könnte.
Gesundheitsversorgung ist Teamarbeit
In Deutschland gilt die freie Arztwahl. Das ist grundsätzlich gut, hat aber auch zur Folge, dass Patientinnen und Patienten auf der Suche nach Hilfe durch das Gesundheitssystem wandern. "Das kostet Zeit, Geld und es schadet allen. Den Patienten, den Beitragszahlern und denjenigen, die in unserem Gesundheitswesen am Limit arbeiten", so Plötze. "Was wir brauchen, ist ein klarer Zugang zur medizinischen Versorgung." Über ein Ersteinschätzungssystem könne die Dringlichkeit geprüft und dann die passende Versorgungsebene angesteuert werden. So ließen sich unnötige Arztbesuche vermeiden. In der Notfallversorgung gibt es solche digitalen Systeme bereits, nicht aber in der ambulanten Regelversorgung. "Die Bundesregierung muss den Flickenteppich aus uneinheitlichen Regeln beenden. Ein Primärversorgungsteam sollte immer die erste Anlaufstelle sein und die weitere Behandlung koordinieren. Denn nicht jeder Patient braucht sofort einen Arzt", sagt Plötze. Um entscheiden zu können, wo ein Patient die Hilfe bekommt, die er benötigt, müssten multiprofessionelle Teams aus Medizinischen Fachangestellten, Physician Assistants, Community Health Nurses und anderen Gesundheitsberufen zusammenarbeiten. "Aber dafür brauchen wir klare rechtliche Rahmenbedingungen. Nur so gelingt der Wandel vom arztzentrierten hin zum patientenzentrierten System."
Winfried Plötze, Landesgeschäftsführer der BARMER in Baden-Württemberg
Digitalisierung und Prävention – zwei Hebel für die Zukunft
Andere Länder kämpfen mit ähnlichen Problemen. Das zeigte die Podiumsdiskussion bei der Barmer Gesundheitskonferenz am Bodensee, an der auch Vertreterinnen und Vertretern aus Österreich und der Schweiz teilnahmen. Doppeluntersuchungen, fehlende Steuerung, Widerstände bei der Digitalisierung – diese Probleme kennen alle. Ebenso teilen alle eine Meinung. "Wir brauchen eine intelligente, digital unterstützte Patientensteuerung. Dabei spielt die elektronische Patientenakte eine Schlüsselrolle."
Gesund bleiben statt Krankheiten behandeln
Neben der Digitalisierung ist Prävention entscheidend. Denn viele Volksleiden wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen hängen mit dem Lebensstil zusammen: Rauchen, zu viel Zucker, zu wenig Bewegung. Genau hier müsse die Prävention ansetzen – früh und wirksam. Ein gutes Beispiel dafür, dass die möglich ist, ist die Initiative 'Ich kann kochen!' von der Sarah Wiener Stiftung und der Barmer, die dieses Jahr ihr zehnjähriges Jubiläum gefeiert hat. Sie zeigt, wie frühkindliche Ernährungsbildung gelingen kann. Aber noch immer ist die große Krux bei allen Vorsorgemaßnahmen, dass meistens nur die erreicht werden, die ohnehin schon wissen, was sie für ihre Gesundheit tun müssen.
Ineffizienz können wir uns nicht leisten
Einmal mehr wurde bei der Gesundheitskonferenz am Bodensee deutlich, dass die Ressourcen im Gesundheitswesen endlich sind. Das gilt für das Personal, für die Versorgungskapazitäten und auch für das Geld, das wir für die Gesundheitsversorgung ausgeben. Jeder Ökonom weiß: Wo die Mittel knapp sind, da muss gewirtschaftet werden. Aber leider verwechselt die Politik Wirtschaften seit Jahren mit Beitragssatzsteigerung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Und das muss endlich ein Ende haben. Denn mit ständig steigenden Beitragssätzen riskieren wir das Vertrauen in unser Sozialversicherungssystem. Gleichzeitig wird Deutschland als Wirtschaftsstandort aufgrund der steigenden Lohnnebenkosten immer unattraktiver. "Die Politik muss endlich konsequente Reformen umzusetzen", fordert Winfried Plötze. "Und sie muss dafür sorgen, dass sich die Ausgaben der Krankenkassen an deren Einnahmen ausrichten."