Immer mehr Einsätze, Personalmangel und eine hohe Arbeitsbelastung. In Baden-Württemberg kränkelt der Rettungsdienst seit Jahren. Höchste Zeit also, dass sich was bewegt. Und das tut es jetzt. Das neue Rettungsdienstgesetz will mithilfe der Digitalisierung, einer Neujustierung der Hilfsfrist und mehr Kompetenzen für die Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter dafür sorgen, dass der baden-württembergische Rettungsdienst nicht selbst zum Notfall wird.
Am 16. Mai wurde der Entwurf für das neue Rettungsdienstgesetz erstmals im baden-württembergischen Landtag beraten. Das war der Start des parlamentarischen Verfahrens. "Mit diesem Gesetzesentwurf nimmt Baden-Württemberg eine Vorreiterrolle ein. Im Vorfeld hatten alle, die am Rettungsdienst beteiligt sind, die Möglichkeit, sich zu äußern und ihre Position einzubringen. Das ist wirklich beispielhaft", sagt Barmer-Landesgeschäftsführer Winfried Plötze.
Aus der Hilfsfrist wird die Planungsfrist
Eine der Neuerungen, die der Gesetzesentwurf vorsieht, ist die Abkehr von der 15-minütigen Hilfsfrist. Demnächst sollen die Rettungskräfte in 95 Prozent der Fälle, in denen es wirklich um Menschenleben oder das Abwenden von schweren gesundheitlichen Schäden geht, innerhalb von maximal zwölf Minuten am Einsatzort sein. Beginnend ab dem Eingang des Notrufs. "Das ist ein Punkt, über den viel diskutiert wurde. Ursprünglich sollte die 12-minütige Planungsfrist für alle Einsätze gelten. Egal ob Notfall, oder nicht. Aber das hätte den Rettungsdienst noch mehr belastet, zumal die Ressourcen dafür überhaupt nicht vorhanden sind. Ich bin wirklich froh, dass die Politik hier ein Einsehen hatte und davon abgerückt ist", so Plötze. Neu ist, dass die sogenannte Prähospitalzeit in die Planung einbezogen wird. Damit ist die Zeit vom Eingang des Notrufs in der Leitstelle bis zur Ankunft der Patientin oder des Patienten in der Klinik gemeint. Diese soll in 80 Prozent bestimmter Notfalleinsätze nicht mehr als 60 Minuten betragen.
Mehr Rechtssicherheit für die Rettungskräfte
Das neue Rettungsdienstgesetz enthält auch Vorgaben für die sogenannte 'Vorabdelegation'. Damit schafft die Politik Rechtssicherheit für Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter. Bei einem Einsatz können sie in Zukunft mehr Aufgaben eigenständig durchführen, ohne sich dabei in einer juristischen Grauzone zu bewegen. Für diesen erweiterten Handlungsspielraum wird es landesweit einheitliche Arbeitsanweisungen und Behandlungspfade geben. Winfried Plötze ist froh, dass die Vorabdelegation im neuen Rettungsdienstgesetz geregelt werden soll. "Die Ausbildung der Notfallsanitäter zielte doch von Anfang an darauf ab, dass sie Verantwortung übernehmen. Damit sie die Patientinnen und Patienten am Einsatzort besser versorgen und die Notärztinnen und Notärzte entlasten können. Dafür fehlte aber bisher die Rechtssicherheit, aufgrund des Heilkundevorbehalts. Deshalb ist die neue Regelung zur Vorabdelegation im Rettungsdienstgesetz ein echter Meilenstein."
Bessere Versorgung durch eine digitalisierte Rettungskette
Die komplette Rettungskette muss digitalisiert werden. Denn durch die Verknüpfung von Leitstelle, Rettungswagen, Kliniken und Rettungskräften könnte besser und auch schneller geholfen werden. Der Entwurf des neuen Rettungsdienstgesetzes sieht deshalb vor, dass bei einem Einsatz ein Telenotarzt oder eine Telenotärztin per Video zugeschaltet werden kann. Auch der digitale Versorgungsnachweis soll kommen. Durch ihn haben die Leitstellen die Belegung der Kliniken in Echtzeit vorliegen. Sie sehen, wo das nächste geeignete Krankenhaus mit freien Kapazitäten ist, das angefahren werden soll. Außerdem sollen die Leitstellen künftig Ersthelferinnen und Ersthelfer per Smartphone kontaktieren und zu einem Einsatzort lotsen können. In anderen Bundesländern hat sich der Nutzen von Ersthelfersysteme via App schon bestätigt. Allerdings lässt der Entwurf des Rettungsdienstgesetzes offen, welches System in Baden-Württemberg zum Einsatz kommen soll. „An diesem Punkt sollte nachgeschärft werden. Damit eine Anwendung ausgewählt wird, über die professionelle Ersthelfer gerufen werden, die sich in der Nähe eines Notfalls befinden", meint Winfried Plötze.
Kritik am Gesetzesentwurf
Wo Licht ist, da ist auch Schatten. So regelt der Gesetzesentwurf nur vage, wer für die Finanzierung des Rettungsdienstes zuständig ist. Eine Verankerung des Rettungsdienstes im Sozialgesetzbuch V könnte Abhilfe schaffen, genau das empfiehlt auch die Regierungskommission auf Bundesebene. Doch davon ist im baden-württembergischen Entwurf nichts zu lesen. Dafür ist ein Bundesgesetz notwendig. Hingegen findet sich im Gesetzentwurf eine Neuregelung für die Finanzierung der Rettungswachen. Bisher gilt, dass das Land 90 Prozent der förderungsfähigen Baukosten übernimmt. Die restlichen zehn Prozent müssen die Hilfsorganisationen aufbringen. Das neue Rettungsdienstgesetz wurde so formuliert, dass aus der bisherigen Finanzierungspflicht des Landes eine Kann-Vorschrift wurde. Außerdem soll das Land zukünftig maximal 90 Prozent der förderungsfähigen Kosten tragen. Es könnte also auch weniger sein. Und es bedeutet gleichzeitig, dass die Hilfsorganisationen mindestens zehn Prozent der Kosten tragen müssen. Es könnte auch mehr werden. Plötze: "Daseinsvorsorge verpflichtet. Und die Hilfsorganisationen müssen bei der Finanzierung der Rettungswache Planungssicherheit haben und wissen, welchen Anteil der Kosten sie selbst aufbringen müssen. Deshalb sollte an der bisherigen Finanzierung der Rettungswachen durch das Land nicht gerüttelt werden."
Am dritten Juli steht der Gesetzentwurf auf der Tagesordnung der Sitzung des Innenausschusses. Ob der Entwurf vor der parlamentarischen Sommerpause zum zweiten Mal im Landtag beraten wird, ist nicht sicher.