Am ersten Samstag im Juni, dem Tag der Organspende, ist Heinz Suhling erfahrungsgemäß sehr eingespannt. Seit sieben Jahren lebt der 72-Jährige mit einer Spenderleber und macht sich für die Organspende stark. Seine Geschichte ist eine von den guten, die dazu ermutigen sollte, sich mit Organspende zu beschäftigen. Doch sie wird viel zu selten erzählt.
Herr Suhling, besaßen Sie früher einen Organspendeausweis?
Nein. Die Bedeutung des Organspendeausweises war mir nicht bewusst.
Organspende ist auch für 15 Prozent der Bundesbürger kein Thema ...
Ja, leider. Wenn die Betroffenheit fehlt, setzen wir uns nicht mit unserer Vergänglichkeit auseinander und machen uns darüber keine Gedanken.
Ist das der Grund dafür, dass es immer weniger Organspender gibt?
Es ist ein Grund. Hinzu kommt der Vertrauensverlust durch die Transplantationsskandale der letzten Jahre und die Berichterstattung in den Medien. Die ist sehr einseitig, das ärgert mich. Natürlich sind in den Transplantationszentren schwerwiegende Fehler gemacht worden, die sollen auch nicht verschwiegen werden. Aber es sind Einzelfälle. Über die rechtschaffenden Ärzte, die Tag für Tag Leben retten, redet niemand.
Man könnte doch über Sie berichten! Wer erzählt Ihre Geschichte?
Das mache ich! Ich setze mich für den Verband Lebertransplantierte Deutschland e.V. ein. In Schulen, bei Kongressen und Aktionstagen erzähle ich von mir, von der Zeit, als es Spitz auf Knopf stand und von dem zweiten Leben, das mir geschenkt wurde.
Können Sie dabei das verlorengegangene Vertrauen zurückgewinnen?
Teilweise. Ich sage den Menschen, dass ich heute wohl keine Chance hätte, da es immer weniger Organspender gibt. Und ich frage: Was wäre, wenn? Was, wenn du ein Spenderorgan benötigen würdest? Die jungen Leute sind meist besser über Organspende informiert und offener für das Thema. Bei den Älteren muss ich oft Überzeugungsarbeit leisten.
Was muss geschehen, um die Spendenbereitschaft zu erhöhen?
Die Krankenhausärzte müssen mehr über Organspende informieren. Viele Angehörige werden gar nicht erst angesprochen, sei es aus Überforderung oder Zeitmangel. Immerhin geht Baden-Württemberg mit den Transplantationsbeauftragten voran und ich hoffe, die anderen Bundesländer ziehen nach. Und die Medien müssen mehr und vor allem anders über Organspende berichten und informieren.
Müssen wir auch weg von der Entscheidungslösung?
Ich bin Befürworter der Widerspruchslösung. Wer kein Organspender sein will, muss aktiv widersprechen. Ich habe auch schon Gesundheitsminister Gröhe gebeten, er möge sich für eine Änderung des Transplantationsgesetztes einsetzten. Er sagte, er gebe sein Bestes. Passiert ist nichts.
Wie lebt es sich mit einer Spenderleber?
Sehr gut! Ich muss zwar täglich Medikamente nehmen, Alkohol und Fast Food sind tabu, aber daraus habe ich mir ohnehin nie was gemacht. Ich treibe viel Sport, bin gelassener geworden und genieße mein zweites Leben.
Wann feiern Sie eigentlich Geburtstag? Am 1. April oder am 20. Juli?
Sowohl als auch. Am 1. April wird klassisch gefeiert, am 20. Juli gehe ich mit meiner Frau essen. Das ist unser Ritual, daran halten wir fest.
Heinz Suhling wurde am 1. April 1945 in Hamburg geboren. 1992 wird bei ihm die Autoimmunkrankheit PBC diagnostiziert. Damit ist klar, dass er eine Spenderleber benötigen wird. Im Sommer 2010 verschlechtert sich sein Zustand schlagartig, die Ärzte geben ihm maximal noch drei Wochen. Am 20. Juli 2010 erhält Suhling eine Spenderleber. Heinz Suhling ist verheiratet, Vater von drei Kindern und lebt in Ostfildern. Der selbstständige Kaufmann ist trotz Spenderorgan ambitionierter Radfahrer und Schwimmer.
Organspende in Deutschland: 857 Menschen haben 2016 nach ihrem Tod Organe gespendet, mehr als 10.000 Patienten waren in Deutschland auf ein Spenderorgan. In Baden-Württemberg ist die Zahl der Organspender rückläufig. Aktuell besitzen 30 Prozent der Barmer Versicherten einen Organspendeausweis, Frauen etwas häufiger als Männer. Am häufigsten bejahen junge Leute zwischen 18 und 25 Jahren die Frage nach dem Spenderausweis.
Entscheidungslösung: Wer in Deutschland Organspender sein möchte, muss das schriftlich in einem Spenderausweis festhalten. Bei der Widerspruchslösung ist automatisch Organspender, wer dagegen nicht zu Lebzeiten widerspricht und die schriftliche Ablehnung bei sich trägt.