Eine Junge bekommt eine Injektion in den Oberarm
STANDORTinfo - Der Newsletter der Barmer-Landesvertretung

Mit der freiwilligen Schulimpfung Impflücken schließen?

Lesedauer unter 4 Minuten

Eltern klagen, dass sie keine Kinderarztpraxis finden und die Barmer bemängelt, dass in Baden-Württemberg zu wenig Kinder geimpft sind. Zum Beispiel gegen das Humane Papillomvirus (HPV), das Gebärmutterhalskrebs und eine Reihe weiterer bösartiger Tumore verursachen kann. Keine Praxis, keine Impfung. Könnten freiwillige Schulimpfungen und der Öffentliche Gesundheitsdienst (ÖGD) zur Lösung des Dilemmas beitragen? Und wie können die Krankenkassen die Impfquoten erhöhen?

Baden-Württemberg steckt in der Impfklemme. Laut aktuellem Barmer-Arzneimittelreport sind 44,7 Prozent der Mädchen im Alter bis 17 Jahre gar nicht oder nur unvollständig gegen das Humane Papillomvirus (HPV) geimpft. Bei den Jungen ist die Impfquote noch schlechter. Im Alter bis 13 Jahre haben mehr als 81 Prozent gar keinen oder keinen ausreichenden Impfschutz. 

Kinderarztpraxen fehlen

Wenn geimpft wird, dann vor allem in den Kinderarztpraxen. 81 Prozent der HPV-Erstimpfungen erfolgen laut Arzneimittelreport dort. Doch in Baden-Württemberg klagen immer mehr Eltern darüber, dass sie keine Praxis finden, die sie aufnimmt. Im März berichteten die Stuttgarter Nachrichten darüber, dass in der Landeshauptstadt fünf Kinderarztpraxen ihre Türen schließen werden. Und zwar ohne, dass es einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin gebe. Stuttgart ist einer von 17 Stadt- und Landkreisen, die laut der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg für die Niederlassung von Pädiatern geöffnet sind.

Bis in die 1980er-Jahren hat der ÖGD geimpft

Keine Kinderarztpraxis, keine Impfung. So einfach, so tragisch. Da stellt sich die Frage, ob der ÖGD in den Schulen impfen sollte, um die Impflücken zu schließen? Die Idee ist nicht neu. Im Gegenteil. Früher war genau das eine Aufgabe der Gesundheitsämter. Erst in den 1980er-Jahren wurde das Impfen auf die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte übertragen. Aber wer sich jetzt umhört, erhält viele Erklärungsansätze, warum der ÖGD das heutzutage nicht mehr macht: Zu wenig Personal, die Impfstoffe könnten nicht gelagert und die Schulimpfung auch nicht mit den Krankenkassen abgerechnet werden.  

Ein Mann mit Glatze, Brille und Anzug lächelt in die Kamera

Winfried Plötze, Landesgeschäftsführer der BARMER in Baden-Württemberg

"So ganz kann ich diese Argumente nicht nachvollziehen. Das Land hat 700 unbefristete Stellen im ÖGD geschaffen, von denen nach meinem Kenntnisstand 600 besetzt worden sind. Und eine Impfung kann der ÖGD sehr wohl mit den Krankenkassen abrechnen. In Pforzheim impft das Gesundheitsamt gegen Masern und stellt das in Rechnung", sagt Barmer-Landesgeschäftsführer Winfried Plötze. Freilich sei es etwas anderes, ob nur in einer Kommune oder im ganzen Land durch den ÖGD geimpft werde. Deshalb würden die gesetzlichen Krankenkassen und das baden-württembergische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration zusammensitzen, um für eine flächendeckende Impfung durch den ÖGD eine Rahmenvereinbarung zu erarbeiten. 

preventa Stiftung hat gute Erfahrungen gemacht

Die Wiedereinführung der Schulimpfung könnte dabei helfen, Impflücken zu schließen und perspektivisch zu vermeiden. Davon ist Dr. Claus Köster überzeugt. Mit der von ihm gegründeten preventa Stiftung hat der Mediziner freiwillige HPV-Impfungen in Schulen durchgeführt. "Die Schulen sind der ideale Ort, um Kinder, Jugendliche und deren Eltern über die HPV-Impfung aufzuklären", sagt er. Im Rahmen der freiwilligen HPV-Impfung an Schulen hätten er und die beteiligten Ärztinnen und Ärzte die Impfpässe der Schülerinnen und Schüler kontrolliert. Viele der Kinder hätten seit Jahren keinen Arzt gesehen und große Impflücken gehabt. "Vor allem die Buben hatten so gut wie gar keinen Impfschutz."

Ein Mann mit Brille und Anzug schaut in die Kamera.

Dr. med. Claus Köster, Geschäftsführer der preventa Stiftung

Bis zum Beginn der Corona-Pandemie seien mehr als 2000 Familien über die freiwillige Schulimpfung erreicht und informiert worden. Dadurch habe sich beispielsweise die HPV-Impfquote im Landkreis Bergstraße verdoppelt. Auch eine Umfrage des Deutschen Krebsforschungszentrums hätte gezeigt, dass die Mehrheit der Eltern und Jugendlichen für ein niederschwelliges Impfangebot in der Schule ist. 

Unwissenheit und Unverbindlichkeit verhindern Impfungen

Die wenigsten Kinder dürften Impflücken haben, weil deren Eltern diese Form der Gesundheitsvorsorge rigoros ablehnen. Vielmehr sind Unwissenheit, Unverbindlichkeit und eine mangelnde Alltagstauglichkeit der Grund für Impflücken. "Nehmen wir die HPV-Impfung. Die Impfung der Kinder wird im Alter von 9 bis 14 Jahren empfohlen. Statt eine so lange Zeitspanne anzusetzen wäre es besser, einen konkreten Zeitpunkt wie eine bestimmte U-Untersuchung zu benennen. Dann schiebt man die Impfung nicht vor sich her", sagt Winfried Plötze. 

Höhere Impfquote durch Kinder- und Jugendprogramm

Er verweist auf das kostenlose Kinder- und Jugendprogramm (KJP) der Barmer. In diesem würden die Eltern im Rahmen der Untersuchung J1 auf die HPV-Impfung aufmerksam gemacht. Bei den Jungen sei die Rate der vollständig Geimpften fast doppelt so hoch, wenn sie am KJP teilnehmen. Bei den Mädchen sei die HPV-Impfquote um 20 Prozent höher als bei denen außerhalb des KJP. Plötze: "Wir müssen das Impfen alltagstauglicher machen. Indem wir konkrete Impftermine festlegen, die Patientinnen und Patienten an diese erinnern und wir die freiwillige Schulimpfung durch den ÖGD ermöglichen. Ich weiß, dass wir für die Impfung an den Schulen dicke Bretter bohren und sich alle Beteiligten aufeinander zubewegen müssen. Aber ich bin Berufsoptimist. Deshalb glaube ich, dass uns das gelingen kann."