Seit März 2017 ist Thaddäus Kunzmann Demografiebeauftragter des Landes Baden-Württemberg. Seitdem setzt er sich mit den Herausforderungen einer immer älter werdenden Gesellschaft auseinander. Gesundheit und Pflege spielen dabei eine wichtige Rolle.
Herr Kunzmann, wo ist Baden-Württemberg in Sachen Demografie gut aufgestellt, wo drückt der Schuh?
Von allen Bundesländern ist Baden-Württemberg am besten aufgestellt. Wir haben eine starke Wirtschaft, auch im ländlichen Raum findet man bei uns Weltmarktführer, das macht uns für Zuzug interessant. Und wer wächst, kann gestalten. Dadurch haben wir auch kein ganz so ausgeprägtes Stadt-Land-Gefälle. Der öffentliche Nahverkehr im Land ist ganz ordentlich, und wir haben hohe Pflegestandards. Aber beim Thema Digitalisierung hinken wir hinterher.
Wenn Baden-Württemberg bei der Digitalisierung hinterherhinkt, dann kann die Digitalisierung das Gesundheitswesen nicht voranbringen.
Mit der Digitalisierung steht und fällt vieles in Baden-Württemberg. Telemedizin wird ohne Glasfaserkabel und 5G nicht funktionieren, so viel ist klar. Autonomes Fahren kann die Mobilität im Alter sichern, funktioniert aber nicht in Funklöchern.
Wie viel Anteil hat denn das Thema Gesundheit an Ihrer Aufgabe als Demografiebeauftragter?
Es ist wesentlich, wenn wir über Demografie sprechen. Gesundheit ist ein Gradmesser für Lebensqualität. Deshalb ist eine wichtige Frage, wie wir gesund bleiben, damit es uns auch im Alter gut geht und wir Pflegebedürftigkeit vermeiden. Und da klaffen Selbsteinschätzung und Realität auseinander. Denn im internationalen Vergleich geht es den Deutschen gesundheitlich nicht so gut, wie viele glauben.
Vielleicht geht es uns eben doch zu gut und wir sehen Gesundheit als selbstverständlich an.
Wir versichern uns gegen alle Eventualitäten, aber bei der Gesundheit denken wir nicht an später. Und die Politik legt auf gesundheitliche Prävention noch zu wenig wert.
Haben Sie einen Tipp für die Politik?
Meine Aufgabe ist, den Finger in die Wunde zu legen und zu sagen: „Lasst uns das Ganze doch mal anders denken.“ Wir brauchen neue Ideen, um den demografischen Herausforderungen zu begegnen. Zu sagen: „Wir brauchen mehr vom Heutigen.“, wird in der Zukunft viel zu wenig sein. Mehr Pflegeplätze schaffen und mehr Pflegepersonal auszubilden ist zwar notwendig, kann aber nicht unser maßgebliches Ziel sein. Unser Ziel muss sein, Pflegebedürftigkeit und Krankheit zu verhindern.
Wie denken Sie Gesundheit denn anders?
Die gesetzlichen Krankenkassen geben jährlich 230 Milliarden Euro für die Behandlung von Krankheiten und 490 Millionen Euro für Prävention aus. Ich frage: Was wäre, wenn man dieses Verhältnis ändern würde? Würden sich dann die Zahl der Pflegefälle verringern und die Pflegezeit halbieren? Wie viele der jährlich 120.000 schweren Arbeitsunfälle könnten wir verhindern? Ich halte auch das betriebliche Gesundheitsmanagement für eine wichtige Präventionsmaßnahme. Auch Betriebe profitieren davon, wenn in die Gesundheit der Belegschaft investiert wird.
Denkt man im Entwurf zum Landespflegestrukturgesetz anders, der seit November vorliegt?
Ich finde das Gesetz mutig und die Strategie „Quartier 2020“ ist einmalig in Deutschland. Aber ich hätte mir mehr Verbindlichkeit bei der Einführung der Kommunalen Pflegekonferenzen gewünscht. An diesem Punkt überlässt der Gesetzesentwurf noch zu viel dem Zufall.
Die Strategie „Quartier 2020“ soll das Leben im Alter neu organisieren. Wie organisiert man aus Landessicht das Altern?
Indem wir zum Beispiel dafür sorgen, dass die Menschen auch im Alter noch eine Aufgabe haben und sich gebraucht fühlen. Indem wir in den Quartieren ein soziales Netz aufbauen und den Nachbarschaftsgedanken fördern, denn die familiären Strukturen gehen immer mehr verloren. In absehbarer Zeit wird eine Generation von Alleinstehenden alt sein, darauf müssen wir vorbereitet sein. Ältere Menschen dürfen nicht vereinsamen. Jeder Fünfte im Alter über 65 Jahren leidet an einer Depression. Einsamkeit ist eine der Ursachen.
In Großbritannien gibt es seit diesem Jahr ein Ministerium für Einsamkeit.
Ob es ein Ministerium braucht, weiß ich nicht. Aber auch hier brauchen wir neue Ideen, um ein Problem zu lösen, das nicht urplötzlich vom Himmel und uns auf die Füße fällt, sondern schon längst Realität ist.
Seit März 2017 sind Sie Demografiebeauftragter. Wie sehr hat Sie der Job altern lassen?
Wenn Sie meine Frau fragen: erheblich. Wenn Sie mich fragen: gar nicht. Denn keine berufliche Aufgabe hat mich bisher so viel gelehrt und so begeistert wie diese.
Thaddäus Kunzmann
- Bis 2016 war Thaddäus Kunzmann Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg und dort Mitglied in den Ausschüssen für Verkehr und Infrastruktur sowie Soziales
- Mitglied in der Enquetekommission „Zukunft der Pflege“ und Sprecher der CDU
- Seit dem 1. März 2017 ist der Nürtinger Demografiebeauftragter der Landesregierung Baden-Württemberg