STANDORTinfo - Der Newsletter der Barmer Landesvertretung Baden-Württemberg

Verhindert eine komplizierte Regelung die Nachbarschaftshilfe?

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Bei der Nachbarschaftshilfe geht es darum, Pflegende stundenweise zu entlasten. Wenn es für diese Unterstützung eine kleine finanzielle Anerkennung geben soll, dann wird es leider umständlich. Hessen erleichtert deshalb die Anerkennung der Nachbarschaftshelfer.

"Man kennt sich, man hilft sich." Zwar soll Konrad Adenauer damit die unrühmliche Mauschelei in Köln beschrieben haben, aber dieser Satz erklärt auch ganz gut das Prinzip der Nachbarschaftshilfe. Klingt unkompliziert. Ist es auch. So lange es sich um einen Freundschaftsdienst handelt. Wenn die Nachbarin oder der Nachbar pflegebedürftig ist, dann kann es für diese Unterstützung im Alltag eine Aufwandsentschädigung von der Pflegekasse geben. Eine kleine Finanzspritze als Motivationsspritze. Auch das klingt unkompliziert. Ist es aber nicht.

Qualitätsgesichertes Wäschewaschen nur gemäß
§ 45a, Absatz 2 SGB XI und nach 30 Stunden Schulung

Die Nachbarschaftshilfe, oder genauer gesagt 'Angebote zur Unterstützung im Alltag' sollen Pflegende entlasten und dazu beitragen, dass Pflegebedürftige Zuhause leben können. Es geht dabei nicht um die Übernahme der Pflege, sondern um eine kurzzeitige Betreuung und das Erledigen von alltäglichen Dingen. Aufgrund der Coronapandemie gab es eine pragmatische Regelung: Pflegebedürftige konnten den sogenannten Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro monatlich auch für die Nachbarschaftshilfe verwenden. So konnten sie beispielsweise eine Rechnung für das wöchentliche Putzen der Wohnung durch Nachbarn bei der Pflegekasse einreichen. Diese Regelung läuft Ende des Jahres aus. Ab dann gilt wieder, dass nur Pflegedienste und bürgerschaftlich Engagierte im Alltag unterstützen dürfen. Und das auch nur, wenn sie eine 30-stündige Schulung absolviert haben. Darüber hinaus muss gemäß § 45a, Absatz 2 SGB XI sichergestellt sein, dass die Helfenden über Grund- und Notfallwissen im Umgang mit Pflegebedürftigen verfügen, und dass sie kontinuierlich eine fachliche Begleitung und Unterstützung erhalten.

Ein Mann mit Brille, Glatze, Anzug und Krawatte sitzt in einem Sessel und spricht zu einer anderen Person.

Winfried Plötze, Landesgeschäftsführer der BARMER in Baden-Württemberg

This is no rocket science

Nachbarn, die ihren pflegebedürftigen Nachbarn helfen, müssen also in einer nach Landesrecht anerkannten ehrenamtlichen Initiative tätig sein, damit für ihre Dienste der Entlastungsbetrag in Höhe von 125 Euro in Anspruch genommen werden kann. Die Rechnung kann aber nur die Initiative stellen. Diese legt auch fest, wie viel Geld die helfenden Nachbarn erhalten. "Meiner Meinung nach liegt hier die Messlatte sehr hoch. Sind 30 Stunden Schulung und eine fachliche Begleitung wirklich notwendig? Wir reden doch nicht über Raketenwissenschaft. Ich frage mich auch, ob durch diese Anforderungen die Nachbarschaftshilfe blockiert wird, die sich Pflegebedürftige vielleicht aber wünschen", sagt Barmer-Landesgeschäftsführer Winfried Plötze. Roland Bühler, Leiter der Abteilung Sozialpolitik und Sozialrecht beim Sozialverband VdK, pflichtet ihm bei.

Ein Mann mit Anzug steht vor einer Backsteinmauer und lächelt in die Kamera.

Roland Bühler, Leiter der Abteilung Sozialpolitik und Sozialrecht beim Sozialverband VdK

"Das sind schon sehr komplizierte Regelungen, wenn man bedenkt, dass es um Hilfe beim Einkaufen, Fensterputzen oder Wäschewaschen geht, die einen längeren Verbleib in den eigenen vier Wänden ermöglichen soll." Laut einer aktuellen Studie des Sozialverbandes Deutschland mit mehr als 55.000 Befragten nutzen 77 Prozent der Pflegebedürftigen in Baden-Württemberg den Entlastungsbetrag nicht. „Das liegt nicht zuletzt an den realitätsfremden rechtlichen Regelungen, die Hilfe von Nachbarn praktisch verhindern“

Hessen hat die Regelung zur Nachbarschaftshilfe vereinfacht

In Hessen können sich nachbarschaftliche Helferinnen und Helfer ab dem 1. Oktober bei einer Landesbehörde anerkennen lassen. Danach können sie den Entlastungsbetrag der Pflegekasse in Anspruch nehmen. Voraussetzung ist, dass die Helfenden nicht mit der betreuten Person verwandt sind und dass sie einen Erste-Hilfe-Kurs absolviert haben, der nicht länger als drei Jahre zurückliegt. Das Gesundheitswesen ist kein Selbstbedienungsladen. Jeder Missbrauch muss verhindert werden. Gleichzeitig sollten zu komplizierte Regeln aber nicht verhindern, dass sich Menschen um ihre pflegebedürftigen Nachbarn kümmern.