Stuttgart, 27. April 2025 – In den ersten zwei Lebensjahren sieht der Impfkalender der Ständigen Impfkommission (STIKO) vor, dass Kinder gegen 13 Krankheiten immunisiert werden. Doch in Baden-Württemberg kommen längst nicht alle dieser Empfehlung nach. Im Jahr 2022 hatten nur rund 48 Prozent der Zweijährigen alle empfohlenen Impfungen erhalten, vier Prozent waren komplett ungeimpft. Bei 20 Prozent der Zweijährigen fehlte der Schutz vor Tetanus und Kinderlähmung. Das geht aus dem aktuellen Barmer-Arzneimittelreport hervor.
"Der größte Feind der Impfung ist ihr Erfolg, dadurch sind viele Krankheiten unsichtbar geworden. Das kann dazu führen, dass die Impfung nicht als wichtige Schutzmaßnahme angesehen wird. Aber das ist ein fataler Irrglaube", sagt der Landesgeschäftsführer der Barmer in Baden-Württemberg, Winfried Plötze. Zudem würden Impfungen im Alltag wohl auch vergessen. Um das zu verhindern, können Eltern über die Barmer-App die Impfungen ihrer mitversicherten Kinder erfassen und sich an Auffrischungen erinnern lassen. Zusätzlich würden in der App Empfehlungen für notwendige Impfungen angezeigt. "Wir müssen das Impfen der Kinder alltagstauglich machen. Mit einem digitalen Erinnerungssystem für die Eltern, mit einer breiten Impfkampagne und natürlich ausreichend Kinderarztpraxen, in denen beraten und geimpft wird."
Masernimpfrate von 95 Prozent wird nicht erreicht
Im Jahr 2020 wurde in Deutschland die Masernimpfpflicht eingeführt. Sie besagt unter anderem, dass Kinder ab zwei Jahren zweimal gegen Masern geimpft sein müssen, sofern bei ihnen keine Immunität nachgewiesen werden kann. Laut der Barmer-Analyse waren in Baden-Württemberg im Jahr 2022 nur 84,4 Prozent der Zweijährigen vollständig gegen Masern geimpft. Nur in Sachsen sei die Impfquote noch niedriger (77,3 Prozent). "Von den Sechsjährigen in Baden-Württemberg hatten immerhin 91,2 Prozent den kompletten Masernimpfschutz, aber das stellt mich nicht zufrieden. Denn das reicht nicht, um die Ansteckungskette zu unterbrechen und die Herdenimmunität zu erzielen", sagt Plötze. Um Masernausbrüche zu vermeiden, müsse laut der Weltgesundheitsorganisation eine Impfquote von 95 Prozent erreicht werden. Der Arzneimittelreport belege, dass diese Impfrate bei den Zweijährigen in keinem einzigen Bundesland erzielt werde. Trotz Masernimpfpflicht.
Keine Praxis, keine Impfung
Soll ich mein Kind impfen lassen? Beim Beantworten dieser Frage sei die Empfehlung durch einen Arzt oder eine Ärztin sehr wichtig, das würden Studien belegen. Allerdings hätten immer mehr Eltern das Problem, dass sie keine Kinderarztpraxis finden. Laut der Internetseite der Kassenärztlichen Vereinigung seien in Baden-Württemberg sieben Praxissitze im Bereich Kinder- und Jugendärzte ausgeschrieben und 17 Stadt- und Landkreise für die Niederlassung von Pädiatern geöffnet.
Hintergrund:
Die STIKO empfiehlt, Kinder innerhalb der ersten beiden Lebensjahre gegen die folgenden Krankheiten impfen zu lassen: Tetanus, Diphtherie, Pertussis, Hib, Poliomyelitis, Hepatitis B, Pneumokokken, Rotaviren, Masern, Mumps, Röteln, Varizellen und Meningokokken C.
Für den Barmer-Arzneimittelreport wurden die anonymisierten Routinedaten der Barmer ausgewertet, die bis zum Jahr 2022 zur Verfügung standen. Es wurden Versicherte im Alter von null bis sechs Jahre berücksichtigt. Die Impfungen wurden über die Abrechnung der Gebührenziffern für die Impfleistung identifiziert. Über diese ist auch ersichtlich, ob eine Impfserie nur begonnen oder auch abgeschlossen wurde.
Die Ergebnisse des Barmer-Arzneimittelreports können von anderen Erhebungen abweichen. So wird häufig die Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen (KiGG-Studie) zitiert, um die Wirksamkeit von Impfungen zu beurteilen. Ebenso werden Impfquoten im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung der Länder kommuniziert. An dieser Stelle ist auf methodische Unterschiede zu achten. So ist die Teilnahme an der KiGG-Studie freiwillig. Die Ergebnisse der Länder beruhen auf der Schuleingangsuntersuchung. In diese Untersuchung werden aber nur Kinder eingeschlossen, die auch einen Impfpass vorlegen. Es wird also nicht der Impfstatus von allen Kindern erfasst. Die Barmer–Analyse betrachtet den Impfstatus von allen Versicherten nach 'keine Impfung', 'unvollständige' und 'vollständige Impfung'.