Seit fünf Jahren verantwortet Ute Hauser als Geschäftsführerin die Arbeit der Alzheimer Gesellschaft Baden-Württemberg. Der Verein setzt sich für demenziell Erkrankte und deren Angehörigen ein. Durch Öffentlichkeitsarbeit, Beratung und Information will Ute Hauser mit ihren Kolleginnen und Kollegen dafür sorgen, dass die Krankheit besser verstanden wird und der Alltag mit demenziell Erkrankten besser bewältigt werden kann.
Frau Hauser, welche sind momentan die größten Herausforderungen in Bezug auf Demenzerkrankungen, die auch die Arbeit der Alzheimergesellschaft maßgeblich prägen?
Hauser: Wie lang darf meine Antwort sein?
Kurz!
Hauser: Das dachte ich mir. Ich versuch’s! Eine Herausforderung ist die hohe Zahl an Menschen mit Demenz: 1,8 Millionen Demenzkranke, davon leben etwa 220.000 in Baden-Württemberg. Das sind 220.000 Menschen und deren Angehörige, die wir nicht allein lassen dürfen. Und wir müssen Wege finden, wie wir diese Personen erreichen können.
Warum ist das so schwierig? Schließlich ist Demenz keine seltene Erkrankung, davon dürften die meisten Menschen doch schon gehört haben.
Hauser: Das stimmt. Aber Baden-Württemberg wird durch seine ländliche Struktur geprägt. Hier gibt es 1.101 Kommunen und viele können nicht die Beratung leisten und nicht die Hilfe anbieten, die nötig wäre. Hier haben wir versucht, mit unserem Projekt "Demenz im Quartier" etwas zu bewirken.
Was verbirgt sich dahinter?
Hauser: m Bereich „Demenz im Quartier“ unterstützen wir Kommunen nach wie vor dabei, ein demenzfreundliches Umfeld zu schaffen. Wir stellen Kampagnenmaterial und Handreichungen zur Verfügung, damit sie auf das Thema aufmerksam machen können. Außerdem wurde in fünf Projektquartieren versucht, gerade diejenigen zu erreichen, die bisher gar keine Berührungspunkte zur Demenz hatten. Das Projekt ist Teil der Landesstrategie „Quartier 2030“, deshalb wurde es durch das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration finanziert.
Wie sieht denn ein demenzfreundliches Quartier aus?
Hauser: Es ist ein inklusives Quartier, in dem es ein Bewusstsein für das Krankheitsbild gibt. Ebenso besteht die Chance, sich auszutauschen und zu vernetzen. Und es gibt barrierefreie Begegnungsmöglichkeiten, die auch von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen genutzt werden können.
Welche gesellschaftlichen Strukturen müssen für eine demenzfreundliche Umgebung entwickelt werden?
Hauser: Die Haltung, mit der wir auf Menschen mit Demenz zugehen, muss sich ändern. Das ist auch das, was sich die Erkrankten am meisten wünschen. Wenn sich unsere Haltung verändert, dann sind wir auch bereit, uns zu engagieren. Was wir brauchen, ist eine sorgende Gemeinschaft
Das ist ein heres Ziel. Die Entwicklung in unserer Gesellschaft geht doch leider in die komplett andere Richtung. Jeder schaut nur auf sich.
Hauser: Das stimmt bedingt. Aber wir müssen trotzdem versuchen, das zu ändern. Wir haben 110 "DemenzBotschafter" geschult, die sich ehrenamtlich in ihrem Umfeld engagieren. Indem sie zum Beispiel Angebote in der Natur für demenziell Erkrankte machen. Hier tut sich was und ich bin gespannt, wie sich das Projekt entwickelt.
Zwei Drittel der demenziell Erkrankten werden zu Hause betreut. Wie steht es denn um die Unterstützung der pflegenden Angehörigen in Baden-Württemberg?
Hauser: Bei uns gibt es viele Angebote, um die Angehörigen im Alltag zu entlasten. Zum Beispiel die stundenweise Betreuung in Gruppen. Da hat das Land auch viel getan. Aber wir haben auch hier das Problem, dass es diese Unterstützung nicht überall gibt. In den kleinen Dörfern ist es für Angehörige schwierig, die Hilfe zu finden, die sie brauchen. Und leider sind die Angebote oft auch nicht ausreichend. Weil sie nur punktuell entlasten. Was wir brauchen, ist ein Case Management, eine individuelle und langfristige Begleitung der betroffenen Familien.
Früher gab es für sowas die Gemeindeschwester.
Hauser: Die man nun mancherorts versucht, wieder zu etablieren. Ich hoffe, das gelingt. Aber angesichts des Fachkräftemangels in der Pflege ist das schwierig. Der schlägt mittlerweile auch im ambulanten Bereich durch, das merken wir bei unserer Arbeit. Die Pflege- und Unterstützungsangebote werden weniger.
Würden wir über eine andere Krankheit reden, dann würde ich Sie angesichts der Gesamtsituation nach dem Stellenwert der Prävention fragen. Aber bei Demenz…
Hauser: 45 Prozent aller Demenzerkrankungen könnten verhindert werden.
Ernsthaft?
Hauser: Ja, das ist schon eine beeindruckende Zahl. Es gibt 14 Risikofaktoren, die eine Demenz begünstigen. Etwa unsere frühkindliche Bildung. Aber auch Rauchen, Bluthochdruck, Bewegungsmangel, Diabetes oder Schwerhörigkeit erhöhen das Risiko, an einer Demenz zu erkranken. Aber die Wenigsten kennen diese Risikofaktoren.
Gibt es Game Changer im Bereich der Diagnostik und Therapie von Demenz?
Hauser: Demenz beziehungsweise Alzheimer ist nach wie vor nicht heilbar. Auch Leqembi das jetzt in Deutschland verfügbar ist, ist kein Wundermittel. Aber es ist gut, dass sich auf dem Gebiet etwas tut. Das gleiche gilt für die Diagnostik. Es wird an Bluttests zur Früherkennung von Alzheimer gearbeitet. KI kommt auch immer mehr zum Einsatz. Zum Beispiel in der Bildgebung, um typische Veränderungen in der Gehirnstruktur zu erkennen und die Krankheitsursache zu bestimmen. Es gibt auch Apps, die auf eine Demenz mittels Sprachanalyse hinweisen können und so bei der Diagnostik unterstützen. Worüber viel zu wenig gesprochen wird, ist die nicht-medikamentöse Therapie. Dazu gibt es gute Studien, zum Beispiel über die positive Wirkung von Bewegung, von Musik- oder Ergotherapie.
Wie heißt es so schön: Sport ist die beste Medizin.
Hauser: Da ist was dran.
Was wünschen Sie sich für die Betroffenen und deren Familien?
Hauser: Dass sie immer gut versorgt sind und nicht alleingelassen werden.
Was kann die Politik dazu beitragen?
Hauser: Sie kann dafür sorgen, dass die Reform der Pflegeversicherung nicht auf dem Rücken der Pflegebedürftigen ausgetragen wird. Außerdem wäre ein Pflegebudget wünschenswert, das von den pflegenden Angehörigen individuell verwendet werden kann. Und wir brauchen definitiv mehr Kurzzeitpflegeplätze.
Die Rahmenbedingungen für Ihre Arbeit sind herausfordernd. Gibt es denn auch positive Entwicklungen, die Ihnen Anlass zur Zuversicht geben?
Hauser: Die gibt es immer! Sonst könnten wir unsere Arbeit auch nicht machen. Wir haben in Baden-Württemberg großartige Projekte und tolle Menschen, die sich für Menschen mit Demenz und deren Angehörige engagieren. Das stimmt mich zuversichtlich!