Weiterentwicklung der sozialen Pflegeversicherung

Ambulante Pflegestrukturen ausbauen

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Die Zahl chronisch kranker und pflegebedürftiger Menschen steigt stetig an. Der Wunsch nach möglichst langem Verbleib in der eigenen Häuslichkeit führt zu einer großen Nachfrage nach Leistungen der ambulanten Pflege. So ist in den Jahren 2018 bis Ende 2024 die Zahl der bei der Barmer versicherten Pflegebedürftigen insgesamt um ca. 80 Prozent angestiegen, im Bereich der ambulanten Pflege war im selben Zeitraum eine Verdoppelung der Leistungsempfängerinnen und -empfänger zu verzeichnen.

Dem wachsenden Bedarf nach ambulanter Pflege muss durch geeignete Versorgungsmodelle, die bessere Vernetzung der Akteure im Pflegesystem sowie den zielgerichteten Einsatz aller Pflegeprofessionen Rechnung getragen werden. Die Stärkung der ambulanten Pflege kann die Ausgaben im System der sozialen Pflegeversicherung abmildern, da die Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen in der Regel mit weitaus höheren Kosten verbunden ist.
 

Entwicklung der Zahl der Leistungsempfängerinnen und -empfänger von Pflegeleistungen bei der BARMER

 

Quartiersnahe Versorgungsmodelle

Eine Möglichkeit, der steigenden Nachfrage nach Verbleib in der gewohnten Umgebung gerecht zu werden, bieten wohnort- beziehungsweise quartiersnahe Versorgungsmodelle. Diese Modelle erleichtern den Zugang zu Pflege, Gesundheitsversorgung und Unterstützung im Alltag. Gleichzeitig stärken sie die soziale Teilhabe und fördern die Gesundheit der Pflegebedürftigen. Pflegende Angehörige können die professionelle ambulante Versorgung in der Häuslichkeit der Pflegebedürftigen weiterhin unterstützen. Die ehrenamtliche Unterstützung ist im Rahmen der Nachbarschaftshilfe möglich.

Wichtig sind darüber hinaus Wohnkonzepte, die pflegebedürftigen Menschen und ihren Partnerinnen oder Partnern auch nach Eintritt einer Pflegebedürftigkeit das Zusammenleben ermöglichen. Barrierefreie Wohnräume und eine flexibel am Grad der Pflegebedürftigkeit angepasste professionelle ambulante Pflege unterstützen einen möglichst langen, selbstbestimmten Verbleib in der Häuslichkeit.

Betreute beziehungsweise flexible Wohnkonzepte vereinen größtmögliche Eigenständigkeit im Alltag mit einer flexibel auf den individuellen Bedarf abgestimmten pflegerischen Versorgung. Die finanzielle Belastung Pfegebedürftiger kann dabei geringer als im stationären Bereich ausfallen, da vom Pflegebedürftigen oder seinen Angehörigen Eigenleistungen übernommen werden können.

Beispiele für die Entwicklung von Wohn- und Betreuungsmodellen
(eigene Darstellung)

 

Für eine bedarfsgerechte Versorgung Pflegebedürftiger sollte das Angebot zur ambulanten Pflege in betreuten Wohnformen erweitert und gleichzeitig qualitativ abgesichert werden. Die vorhandenen Strukturen der ambulant betreuten Wohngruppen bieten hierzu eine gute Ausgangssituation – pflegerische Versorgung und Wohnen in Kleinstgruppen bis maximal zwölf Pflegebedürftigen in einer durch einen Leistungserbringer geschaffenen Wohnform.

Wie bereits in der stationären Pflege sind Qualitätskriterien für diese Versorgungsangebote notwendig. Zudem müssen sie wirtschaftlich ausgestaltet werden. Es bedarf daher klarer gesetzlicher Regelungen zur Inanspruchnahme der ambulanten Pflegeleistungen in quartiersnahen Wohnformen. Letztlich sind attraktive Wohnformen gefordert, die auch für die Betroffenen wirtschaftlich darstellbar sind.

 

Die Modellprojekte zu neuen Wohnformen zeigen eine große Bandbreite von möglichen Wohnsettings für die Pflege. Von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen werden sie vielfach positiv bewertet.

Mit den neuen Wohnformen werden flexible und individuellere Angebote besonders in der ambulanten Versorgung Pflegebedürftiger geschaffen. So können Pflegebedürftige entscheiden, welches der verschiedenen Wohnkonzepte am besten zu ihnen und den jeweiligen Lebensumständen passt.

Die Mittelgewährung für den zukünftigen Aufbau und die Organisation dieser Wohnform muss finanziell abgesichert werden. Für die Finanzierung quartiersnaher Wohnformen sind zuallererst Länder und Kommunen verantwortlich. Dies gilt besonders für gesamtgesellschaftliche Investitionsaufgaben wie den Bau von barrierefreien Wohnungen und die Sicherstellung bezahlbarer Mieten für Pflegebedürftige.

Eine Stärkung der ambulanten, quartiersnahen Pflege erfordert eine enge Zusammenarbeit und Vernetzung der beteiligten Akteure in der Kommune sowie in der Region. Um pflegebedürftigen Menschen eine kontinuierliche Unterstützung anbieten zu können, müssen die medizinischen und pflegerischen Angebote über die Sektoren hinweg organisiert werden.

Pflegebedürftige und ihre Angehörigen brauchen einen schnellen, unbürokratischen Zugang zu den benötigten Versorgungsleistungen. Dies setzt voraus, dass die unterschiedlichen Versorgungsangebote in ausreichendem Maße und zudem auch kurzfristig und temporär verfügbar sind. Im Rahmen der Pflegestrukturplanung ist es die Aufgabe der Bundesländer, die Strukturen für die Kurzzeit-, Verhinderungs-, Tages- und Nachtpflege auszubauen. Diese sind allerdings je Bundesland unterschiedlich ausgeprägt.

Zur Sicherstellung der medizinischen Versorgung besonders in dünnbesiedelten Regionen werden in Zukunft neue Versorgungsstrukturen entstehen, die auf der Kooperation der unterschiedlichen regionalen Leistungserbringer wie Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) oder integrierten Gesundheitszentren (IGZ), Praxen, Pflegeeinrichtungen und unterschiedlichen Gesundheitsberufen basieren. In regionalen Versorgungszentren oder sektorenübergreifenden Einrichtungen sollten nicht nur die medizinischen, sondern auch die pflegerischen Ressourcen besonders für ambulante Eingriffe und Behandlungen, einschließlich kurzzeitiger Überwachung, zur Verfügung stehen.

Gut ausgebildete Pflegefachpersonen sind für die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen und sicheren Versorgung unentbehrlich. Die vorhandenen Fachkräfteressourcen können deutlich zielgerichteter und effizienter eingesetzt werden, wenn ihnen zusätzliche Kompetenzen wie die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten übertragen werden.

Nicht nur qualifizierten Pflegekräften, sondern auch anderen Gesundheits- und Pflegeberufen sollte mehr Eigenständigkeit bei der pflegerischen und medizinischen Arbeit eingeräumt werden. Dazu sind gesetzliche Regelungen notwendig, wie sie im Koalitionsvertrag von Union und SPD skizziert sind: Dabei soll auf bereits in der vergangenen Legislaturperiode erarbeitete Vorhaben aufgesetzt werden, wie etwa die Ausweitung der Kompetenzen von Pflegekräften im Entwurf des Pflegekompetenzgesetzes und im Gesetz zur Einführung der Advanced-Practice-Nurse (APN). Konkrete berufs- und leistungsrechtliche Regelungen ermöglichen neben der eigenständige(re)n Berufsausübung und Vergütung auch die Klärung heilkundlicher Haftungsfragen.