Positionen zur Pflege

Weiterentwicklung der sozialen Pflegeversicherung

Die soziale Pflegeversicherung steht vor sehr großen Herausforderungen. Nicht nur die Zahl der Pflegebedürftigen steigt weiterhin stark an, auch die Dauer der Pflegebedürftigkeit hat sich in den letzten Jahren fast verdoppelt, so zeigen es aktuelle Daten des Barmer-Pflegereports. 

Gründe dafür sind unter anderem die demografische Entwicklung und die starke Ausweitung des Leistungsanspruchs in der Vergangenheit. Aufgrund der Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs haben seit einigen Jahren mehr Menschen Anspruch auf Pflegeleistungen aus dem sozialen Sicherungssystem. Die Zahl der Pflegebedürftigen in der sozialen Pflegeversicherung wächst seither jährlich um mehr als 300.000 Menschen.

Das System steht finanziell unter Druck

Seit Jahren wächst auch deshalb der finanzielle Druck auf das Teilleistungssystem Pflegeversicherung. Die Rücklagen sind geschrumpft, die letzte Beitragssatzerhöhung wird wieder nur kurzfristig wirken. Notwendig ist deshalb eine grundlegende Reform. Die Ankündigungen der neuen Bundesregierung, eine nachhaltige Finanzierung und Finanzierbarkeit der Pflegeversicherung gewährleisten zu wollen, sind richtig. Zum Prüfauftrag der Koalition gehört so auch der Umgang mit versicherungsfremden Leistungen. Ohne den politischen Willen, die dafür notwendigen Steuermittel aufzubringen, wird der Pflegeversicherung jedoch auf Dauer die ausreichende finanzielle Basis fehlen. Zu einer nachhaltigen Finanzierung der Pflegeversicherung und der finanziellen Entlastung der Pflegebedürftigen gehört auch die Übernahme der Kosten für Investitionen und die Ausbildungsstrukturen durch die Bundesländer.

Ambulante Strukturen weiter stärken

Der weit überwiegende Teil pflegebedürftiger Menschen wird zu Hause gepflegt. Der Wunsch, möglichst lange in der eigenen Häuslichkeit bleiben zu können, ist groß und wächst sogar. Das Prinzip „ambulant vor stationär“ muss für die politischen Entscheidungen der kommenden Jahre handlungsweisend sein. Eine Ergänzung dazu sollten alternative Wohn- und Betreuungsformen sein, die eine qualitativ hochwertige Pflege sicherstellen können. 

Pflegende Angehörige sind für die ambulante Pflege das unverzichtbare Rückgrat, deshalb brauchen sie mehr Unterstützung. Die von der neuen Regierungskoalition geplante Bund-Länder-Kommission soll deshalb kurzfristig Vorschläge zu ihrer Stärkung erarbeiten. Soziale Fragen und ökonomische Notwendigkeiten bedingen einander – sie müssen in Zukunft zusammen gedacht und beantwortet werden. So werden bei der steigenden Zahl Pflegebedürftiger und unveränderten Rahmenbedingungen immer mehr pflegende Angehörige ihre Arbeitszeit verkürzen oder den Job ganz oder teilweise aufgeben müssen, um sich um ihre pflegebedürftigen Angehörigen zu kümmern.

Zur Entlastung besonders von Pflegefachkräften kann die zunehmende Digitalisierung beitragen. Mit der verpflichtenden Anbindung an die Telematikinfrastruktur von Einrichtungen und Pflegediensten im Jahr 2025 wird sie endlich flächendeckend Einzug in den Versorgungsalltag nehmen. Besonders der Austausch zwischen Arztpraxen und Pflegediensten wird zu mehr Behandlungssicherheit führen.

Die Barmer stellt vor diesem gesellschaftlich wichtigen Hintergrund und den großen finanziellen Herausforderungen ihre Vorschläge zur Weiterentwicklung des Pflegesystems vor.

Barmer-Positionen zur Pflege - Download (PDF 919 KB)

Ambulante Pflegestrukturen ausbauen

Die Zahl chronisch kranker und pflegebedürftiger Menschen steigt stetig an. Der Wunsch nach möglichst langem Verbleib in der eigenen Häuslichkeit führt zu einer großen Nachfrage nach Leistungen der ambulanten Pflege. So ist in den Jahren 2018 bis Ende 2024 die Zahl der bei der Barmer versicherten Pflegebedürftigen insgesamt um ca. 80 Prozent angestiegen, im Bereich der ambulanten Pflege war im selben Zeitraum eine Verdoppelung der Leistungsempfängerinnen und -empfänger zu verzeichnen.

Dem wachsenden Bedarf nach ambulanter Pflege muss durch geeignete Versorgungsmodelle, die bessere Vernetzung der Akteure im Pflegesystem sowie den zielgerichteten Einsatz aller Pflegeprofessionen Rechnung getragen werden. Die Stärkung der ambulanten Pflege kann die Ausgaben im System der sozialen Pflegeversicherung abmildern, da die Versorgung in stationären Pflegeeinrichtungen in der Regel mit weitaus höheren Kosten verbunden ist.

Pflegebedürftige und ihre Angehörigen entlasten

Die familiäre und selbstorganisierte Pflege ist das Fundament der pflegerischen Versorgung in Deutschland. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen benötigen jedoch Entlastungen organisatorischer und finanzieller Art, auch wenn sie Unterstützung durch ambulante und stationäre Pflegeangebote in Anspruch nehmen.

Pflege durch Digitalisierung entlasten

Ab Mitte des Jahres 2025 sind Pflegedienste und Pflegeeinrichtungen zur Anbindung an die Telematikinfrastruktur (TI) verpflichtet, damit auch im Pflegebereich ein schneller und sicherer Austausch von Daten möglich wird. Mit der Anbindung werden eine deutliche Arbeitsentlastung, schlankere Prozesse und die Erleichterung der interdisziplinären Zusammenarbeit im Bereich der Pflege erwartet.

Die Digitalisierung soll darüber hinaus Vorteile für die pflegerische Versorgung bringen: Der Austausch von Befunden oder Medikationsplänen zwischen Arztpraxen und Pflegediensten wird zu mehr Behandlungssicherheit, Datensparsamkeit und Entlastung von Fachkräften führen.

Soziale Pflegeversicherung als Teilleistungssystem stärken

Die angespannte finanzielle Situation der sozialen Pflegeversicherung erfordert ein schnelles Handeln der neuen Bundesregierung. Es sind sowohl kurzfristige Maßnahmen zur Stabilisierung der Pflegeversicherung notwendig, wie die vollständige Rückzahlung der Aufwendungen für die Corona-Pandemie. Zudem sind strukturelle Maßnahmen und eine grundlegende Finanzierungsreform erforderlich, damit das System der Pflegeversicherung auf Dauer leistungsfähig bleibt. Damit kommt der von der neuen Bundesregierung geplanten Bund-Länder-Kommission eine herausfordernde Aufgabe zu. Die Pflegekassen sollten daran beteiligt werden.

Wichtig ist, dass die Kosten Versicherte und Pflegebedürftige nicht finanziell überfordern. Stetig anwachsende Mitgliedsbeiträge und vor allem immer höhere Eigenanteile in Pflegeeinrichtungen dürfen die Akzeptanz für das Teilleistungssystem Pflegeversicherung nicht gefährden.