Aktuelle Gesetzgebung

Gesetz zur Reform der Notfallversorgung

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Referentenentwurf

Termine Gesetzgebung



17.02.2020Verbändeanhörung Bundesministerium für Gesundheit
08.01.2020Referentenentwurf
12.07.2019Diskussionsentwurf

Wesentliche Inhalte des Gesetzes

  • Einrichtung Gemeinsamer Notfallleitsysteme (GNL) – verbindliche Zusammenarbeit der Träger der Rettungsleitstellen (Rufnummer 112) und der Kassenärztlichen Vereinigungen (Rufnummer 116117)
  • Schaffung Integrierter Notfallzentren (INZ) in ausgewählten Krankenhäusern, fachliche Leitung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen
  • Eigenständiger Leistungsbereich für den medizinischen Rettungsdienst im SGB V
  • Sicherstellungsauftrag für die vertragsärztliche und notdienstliche Versorgung (je nach Landesrecht mit Ausnahme des Rettungsdienstes) liegt bei den Kassenärztlichen Vereinigungen

So positioniert sich die Barmer

Am 08.01.2020 hat das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) den Referentenentwurf für ein Gesetz zur Reform der Notfallversorgung vorgelegt. Ziel des Gesetzes ist es, die bisher weitgehend getrennt organisierten Versorgungsbereiche der ambulanten, stationären und rettungsdienstlichen Notfallversorgung in Deutschland zu einem integrierten System weiterzuentwickeln.

Dabei hält der Entwurf an grundlegenden Neuregelungen fest, die bereits in einem Diskussionsentwurf aus dem Bundesministerium für Gesundheit vom 12.07.2019 enthalten waren. Der jetzt vorliegende Entwurf weist daneben einige Veränderungen im Vergleich zu seinem Vorgänger auf, besonders was die Rolle der Bundesländer angeht. Das Bundesministerium für Gesundheit nimmt etwa von einer Grundgesetzänderung Abstand, die auf eine Ausweitung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Bereich des Rettungsdienstes abzielte. Damit reagiert das Bundesministerium für Gesundheit auf die Kritik der Länder, das Gesetz greife zu stark in ihre Kompetenzen ein. So ist das Gesetz im Gegensatz zum Vorgänger nicht mehr zustimmungspflichtig durch die Länder.

Der Gesetzentwurf sieht die Einrichtung von Gemeinsamen Notfallleitsystemen (GNL) vor, die für Patienten in medizinischen Notfallsituationen rund um die Uhr erreichbar sein sollen. Wichtigste Aufgabe eines GNL ist die Ersteinschätzung des Behandlungsbedarfs von Patienten in Notfällen und die anschließende Vermittlung in die geeignete Versorgungsstruktur. Ein GNL besteht in der verbindlichen Zusammenarbeit der Träger der Rettungsleitstellen der Rufnummer 112 und der KVen mit der Rufnummer 116 117.

Zur Einrichtung eines GNL können Kassenärztliche Vereinigungen und Rettungsleitstellen der Länder Kooperationen eingehen, eine generelle Verpflichtung zur Zusammenarbeit – wie ursprünglich geplant – besteht nicht. Grundlage für diese Art der Zusammenarbeit wird künftig eine bundesweite Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) sein. Beabsichtigt eine Rettungsstelle die Bildung eines GNL, so ist die KV zur Kooperation verpflichtet. Der Gesetzentwurf begrenzt den Bereich der Zusammenarbeit klar auf medizinische Notfälle, andere Aufgabenbereiche etwa des Rettungsdienstes bleiben außen vor. Für die Einrichtung von GNL wird ein finanzieller Anreiz gesetzt: Leistungen der Rettungsstelle sollen nur dann abrechnungsfähig sein, wenn sie im Rahmen eines GNL erbracht werden.

Der digitalen Vernetzung wird bei der Einrichtung eines GNL eine große Bedeutung beigemessen. So sollen die Kooperationspartner eines GNL ein softwaregestütztes Ersteinschätzungsverfahren vereinbaren. Geplant ist zudem, dass die GNL einen digitalen Zugriff auf alle Rettungseinsatzmittel und auf die Kapazitäten der Integrierten Notfallzentren (INZ)  erhalten, Falldaten aus den GNL oder einem Rettungseinsatzmittel sollen zukünftig an das aufnehmende INZ oder Krankenhaus übermittelt werden. Die gesetzlichen Krankenkassen werden mit dem Gesetz verpflichtet, die Anschaffung von Software für die Rettungsleitstellen mit 25 Mio. Euro zu unterstützen.

Position der Barmer:

Die verbindliche Zusammenarbeit von Kassenärztlichen Vereinigungen und Rettungsstellen in GNL ist notwendig für eine bedarfsgerechte Versorgung der Patienten im Notfall. Zusätzlich wäre ein Zusammenschluss der beiden Rufnummern 112 und 116 117 sinnvoll. Positiv ist, dass der G-BA einen bundesweit einheitlichen Rahmen für die Kooperationsverpflichtung und für die digitale Vernetzung vorgibt. Dies sollte auch für das Ersteinschätzungsverfahren der GNL gelten, bei dem besonders wichtig ist, dass es von medizinischem Fachpersonal durchgeführt wird.

Erste Anlaufstelle für Notfallpatienten werden in Zukunft die Integrierten Notfallzentren (INZ). Hier wird eine qualifizierte Ersteinschätzung des Versorgungsbedarfs der Patienten vorgenommen und entschieden, ob sie sofort stationär behandelt werden müssen oder eine ambulante Behandlung angezeigt ist. Die INZ werden gemeinsam von Kassenärztlichen Vereinigungen und Krankenhäusern eingerichtet und betrieben. Sie sollen räumlich nah am Krankenhaus liegen, um von den Patienten als erste Anlaufstelle im Notfall erkannt zu werden.

Anders als im ersten Entwurf erhalten die Kassenärztlichen Vereinigungen den Sicherstellungsauftrag für die notdienstliche Versorgung, deshalb obliegt ihnen auch die fachliche Leitung der INZ. Anzahl und Standorte der INZ beschließen die erweiterten Landesausschüsse und nicht – wie ursprünglich geplant – die Länder. Der G-BA wird beauftragt, dazu einheitliche Planungsvorgaben zu beschließen. Bereits bestehende Strukturen der Notfallversorgung wie die Portalpraxen der Kassenärztlichen Vereinigungen sollen genutzt werden.

Standorte für INZ dürfen nur Krankenhäuser sein, die nach den Richtlinien des G-BA eine Notfallstufe vorhalten. Ausnahmen davon definiert ebenfalls der G-BA.

Die im INZ erbrachten Leistungen sollen mit einer Grundpauschale zur Abgeltung der Vorhaltekosten vergütet werden, dazu kommen nach Schweregrad differenzierte Pauschalen je nach Inanspruchnahme. Die Leistungen werden extrabudgetär vergütet, wobei die morbiditätsbedingte Gesamtvergütung von diesen Leistungen bereinigt wird. War im ersten Entwurf noch vorgesehen, dass die Abrechnungsstellen für die INZ von den Ländern organisiert werden, so liegt diese Aufgabe nun bei den Kassenärztlichen Vereinigungen.

Position der Barmer:

Das INZ als zentrale und jederzeit zugängliche Anlaufstelle ist wichtig für eine bedarfsgerechte Notfallversorgung. So müssen Patienten in Zukunft nicht mehr entscheiden, ob der ärztliche Notfalldienst der Kassenärztlichen Vereinigung oder die Notfallambulanz eines Krankenhauses die richtige Anlaufstelle ist.

Es ist auch richtig, dass INZ nur an Krankenhäusern betrieben werden dürfen, die gemäß G-BA an der Notfallversorgung teilnehmen. Es sollte keine Ausnahmen davon geben.

Die Leistungen der medizinischen Notfallversorgung durch die Rettungsdienste der Länder sollen in Zukunft unabhängig von der Inanspruchnahme anderer Leistungen der GKV gewährt werden. Der Anspruch auf diese Leistungen des Rettungsdienstes wird im Sozialgesetzbuch V neu formuliert. Die medizinische Notfallrettung umfasst laut Gesetzentwurf die aus medizinischer Sicht erforderliche Versorgung am Notfallort und Rettungsfahrten.

Die Krankenkassen werden in Zukunft an den Vereinbarungen über die Vergütung der Leistungen der medizinischen Notfallrettung beteiligt: Die Landesverbände der Krankenkassen und die Ersatzkassen verhandeln darüber mit den zuständigen Landesbehörden oder mit den Trägern des Rettungsdienstes. Kommt eine Vergütungsvereinbarung nicht zustande, so ist ein Schiedsverfahren vorgesehen. Auch bei der Planung der Anzahl von Luftrettungsstandorten, Rettungsleitstellen, Rettungswachen und Rettungsmitteln müssen die Krankenkassen beteiligt werden.

Der Gesetzentwurf nimmt im Vergleich zum Vorgänger keine klare Abgrenzung von Betriebskosten und Investitionskosten für den Rettungsdienst mehr vor.

Position der Barmer:

Es ist sinnvoll, dass die Leistungen der medizinischen Notfallrettung im Sozialgesetzbuch verankert werden. Auch die erweiterten Mitwirkungsrechte der Kassen bei der Vergütung und der Planung sind folgerichtig, da die Krankenkassen Kostenträger für die medizinischen Leistungen des Rettungsdienstes sind.

Der Gesetzentwurf versäumt es, die Finanzverantwortung der Länder für die öffentliche Daseinsvorsorge in Form der Investitions- und Vorhaltekosten des Rettungsdienstes hervorzuheben. So werden beispielsweise die Investitionskosten für die digitale Vernetzung in der Notfallrettung per Gesetz der Krankenversicherung auferlegt.