Gesetzgebung

Gesetz zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege (Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz – PUEG)

Lesedauer unter 7 Minuten

Abgeschlossen und in Kraft getreten

Termine Gesetzgebung

- zustimmungsfrei - besonders eilbedürftig

01.07.2023

Inkrafttreten

16.06.2023

2. Durchgang Bundesrat

26.05.2023

2./3. Lesung Bundestag

24.05.2023

1. Lesung Bundestag – Paralleleinbringung
(Gesetzentwurf der Bundesregierung)

12.05.2023

1. Durchgang Bundesrat

10.05.2023

Anhörung im Gesundheitsausschuss

27.04.2023

1. Lesung Bundestag – Paralleleinbringung
(Gesetzentwurf von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP)

05.04.2023

Kabinettsbeschluss

24.03.2023

Aktualisierter Referentenentwurf

20.02.2023

Referentenentwurf

Wesentliche Inhalte des Gesetzes

  • Beitragssatz für die Pflegeversicherung wird zum 01.07.2023 von 3,05 auf 3,4 Prozent erhöht – ergänzend steigt der Zuschlag für kinderlose Versicherte von 0,35 auf 0,6 Prozent
  • Einführung gestaffelter Beitragssätze für Eltern (Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils)
  • Weitere Leistungsverbesserungen für Pflegebedürftige
  • Verpflichtende Anbindung aller Pflegeeinrichtungen an TI und ePA ab dem 01.07.2025

So positioniert sich die Barmer

Am 05.04.2023 hat das Bundeskabinett den Regierungsentwurf eines Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetzes (PUEG) beschlossen. Damit will die Bundesregierung die soziale Pflegeversicherung (SPV) weiterentwickeln. Neben Leistungsverbesserungen ist eine Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes vorgesehen. Mit dem Gesetz soll auch ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt werden. Im Zuge der Ressortabstimmung innerhalb der Bundesregierung hat es im Vergleich zum Referentenentwurf einige Änderungen am Gesetzestext gegeben.

Um den Erziehungsaufwand von Eltern bei den Beiträgen zur Pflegeversicherung stärker zu berücksichtigen, soll künftig nach der Zahl der Kinder von beitragspflichtigen Eltern unterschieden werden. So hatte es das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bereits im April vergangenen Jahres vorgeschrieben.
Im Vergleich zum Referentenentwurf hat es an der Konstruktion dieser Vorgabe allerdings Änderungen gegeben. So staffeln sich die Abschläge auf den regulären Beitragssatz nun in Schritten von 0,25 Beitragssatzpunkten, bisher waren 0,15 Beitragssatzpunkte vorgesehen. Die lebenslange Berücksichtigung der Elterneigenschaft, und damit die Beitragssatzreduzierung, bezieht sich im Gesetz nur noch auf ein Kind. Die Abschläge bei zwei bis fünf (und mehr) Kindern werden dagegen nur noch bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres der Kinder gewährt. Im Referentenentwurf war noch geplant, den Abschlag für jedes Kind (bis zum fünften) zu erhöhen, unabhängig vom Alter.
Um die Elterneigenschaft gegenüber den beitragsabführenden Stellen nachzuweisen, sollen die beteiligten Ministerien (Gesundheit, Arbeit und Soziales, Inneres, Landwirtschaft) bis zum 31.03.2025 gemeinsam ein schnelles und digitales Verfahren zur Erhebung der Kinderzahl entwickeln.

Belastungen und Entlastungen durch den gestaffelten Beitragssatz

Versicherte

alter BS*

neuer BS

Änderung

kinderlos

3,40 %

4,00 %

+ 0,60 BSP**

kinderlos

(Sonderfälle: vor Vollendung 23. Lebensjahr oder vor 01.01.1940 geboren)

3,05 %

3,40 %

+ 0,35 BSP

1 Kind

3,05 %

3,40 %

+ 0,35 BSP

2 Kinder***

3,05 %

3,15 %

+ 0,10 BSP

3 Kinder***

3,05 %

2,90 %

- 0,15 BSP

4 Kinder***

3,05 %

2,65 %

- 0,40 BSP

5 Kinder und mehr***

3,05 %

2,40 %

- 0,65 BSP

* Beitragssatz
** Beitragssatzpunkt
*** ab 2. Kind Berücksichtigung nur bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des Kindes

Position der Barmer
Die Umsetzung des Urteils ist stimmig. Bei der Entwicklung des Nachweisverfahrens ist jedoch zwingend darauf zu achten, dass die Prozesse unbürokratisch organisiert werden. Das Urteil sollte bis zum 31.07.2023 umgesetzt werden, das Gesetz räumt allerdings eine Übergangsfrist bis zum 31.03.2025 dafür ein. Dies schafft für den nötigen Umstellungsaufwand beim Beitragseinzug der Pflegekassen zunächst Entlastung.

Um die Liquidität der Pflegeversicherung kurzfristig abzusichern, hatte der Bund der SPV im August 2022 ein Darlehen in Höhe von einer Milliarde Euro gewährt. Nun werden mit dem PUEG die konkreten Rückzahlungstermine festgelegt. Bis Ende 2023 müssen 500 Millionen Euro des Darlehens zurückgezahlt werden, bis Ende 2028 die restlichen 500 Millionen Euro.
Ebenfalls neu ist, dass das Bundesgesundheitsministerium bis zum 31.05.2024 Empfehlungen für eine stabile und dauerhafte Finanzierung der SPV vorlegen soll – mit besonderem Augenmerk auf die Ausgabenseite der SPV.

Position der Barmer
Ein Bundesdarlehen kann allenfalls eine finanzielle Atempause verschaffen. Notwendig ist jedoch ein stimmiges Konzept für die dauerhafte Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung. Dafür bedarf es nicht nur einer Finanzierungsreform, sondern auch einer klaren Abgrenzung der Zustän­digkeiten für die Finanzierung zwischen Bund, Ländern und der Pflegeversicherung. Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, sollten die versicherungsfremden Leistungen der Pflegeversicherung wie etwa die Renten- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge der pflegenden Angehörigen aus Steuermitteln getragen werden.

Die Koalition hat sich abschließend doch auf die Zusammenführung der Kurzzeit- und Verhinderungspflege zu einem Entlastungsbudget geeinigt, über einen Änderungsantrag hat der „Gemeinsame Jahresbetrag“ Eingang in das Gesetz gefunden. Damit haben Pflegebedürftige ab Pflegegrad 2 zum 01.07.2025 einen Anspruch auf Leistungen der Verhinderungspflege und Kurzzeitpflege in Höhe von bis zu 3.539 Euro je Kalenderjahr. Für schwerstpflegebedürftige Kinder und Jugendliche mit Pflegegrad 4 oder 5 wird das Entlastungsbudget bereits zum 01.01.2024 mit einem Betrag von bis zu 3.386 Euro eingeführt.
Die Einigung über die Finanzierung des Entlastungsbudgets wurde möglich, weil gleichzeitig die Dynamisierung der ambulanten Leistungsbeträge in der Pflegeversicherung niedriger ausfällt als bislang geplant. Sie steigen am 01.01.2024 um fünf Prozent und zum 01.01.2025 nur um 4,5 Prozent – in der Kabinettsfassung waren für das Jahr 2025 noch fünf Prozent vorgesehen.

Position der Barmer
Für Pflegebedürftige und pflegende Angehörige ist ein Entlastungsbudget wichtig. Leistungen der Kurzzeit- und Verhinderungspflege können damit flexibler in Anspruch genommen werden. Die Einführung in zwei Stufen ist für die Pflegekassen jedoch sehr aufwendig in der Umsetzung.
Die ambulanten Leistungsbeträge sind in den letzten Jahren nicht dynamisiert worden. Eine Stärkung der ambulanten Pflege kann mit der vorgesehenen Steigerung nicht erreicht werden, da sie unter der aktuellen Inflationsrate liegt. Notwendig wäre eine regelhafte jährliche Steigerung der Leistungsbeträge, gekoppelt zum Beispiel an die Grundlohrate.

Der Medizinische Dienst (MD) kann zur Prüfung der Pflegebedürftigkeit künftig strukturierte Telefoninterviews als Ergänzung oder Alternative zur persönlichen Begutachtung führen. Der MD Bund soll deshalb die entsprechende Begutachtungsrichtlinie auf Grundlage von wissenschaftlichen Studien anpassen.Dabei sind jedoch einige Ausnahmen vorgesehen, zum Beispiel dürfen Erstbegutachtungen weiterhin nur persönlich stattfinden.

Position der Barmer
Neben telefonischen Begutachtungen sollte auch die Videobegutachtung ermöglicht werden. Damit könnten die knappen Begutachtungsressourcen des MD effizienter genutzt, die Begutachtungs­laufzeiten verkürzt und die Entscheidungsprozesse der Pflegekasse zugunsten der Versicherten beschleunigt werden.

Die Koalition hat mit dem PUEG die Kompetenzen der Träger der Sozialhilfe und der Altenhilfe ausgeweitet. Diese können nun ohne zeitliche Begrenzung von den Pflege- und Krankenkassen die Einrichtung von Pflegestützpunkten verlangen, die bisherige Befristung zum 31.12.2023 entfällt. Pflegestützpunkte müssen weiterhin in einer gemeinsamen Trägerschaft von den beteiligten Kosten- und Leistungsträgern geführt werden.

Position der Barmer
Die Pflegekassen haben über den gesamten Informations-, Beratungs- und Leistungsprozess langjährige Kontakte zu ihren Versicherten und pflegenden Angehörigen aufgebaut. Die Entfristung des Initiativrechts zur Gründung von Pflegestützpunkten wird zu Doppelstrukturen führen. Vor Einrichtung neuer Angebote sollte daher eine Evaluation bisher bestehender Pflegestützpunkte stehen.

Der G-BA hat den Auftrag, bis 30.06.2023 eine Richtlinie zur Ersteinschätzung des Behandlungsbedarfs im Notfall zu erarbeiten. Durch einen Änderungsantrag verlangt der Gesetzgeber, diese Richtlinie anzupassen: Danach sollen Patientinnen und Patienten, die sich im Notfall an ein Krankenhaus wenden, jedoch keinen akuten Behandlungsbedarf haben, nur noch an Notdienstpraxen in oder an dem jeweiligen Krankenhaus weitergeleitet werden, nicht hingegen an Vertragsärzte oder Medizinische Versorgungszentren (MVZ).

Position der Barmer
Mit der geplanten Regelung werden Patientinnen und Patienten ohne akuten Behandlungsbedarf nicht mehr in die ambulante Versorgung überwiesen, wenn sie sich im Notfall an ein Krankenhaus wenden. Damit wird die Steuerung in die ambulante vertragsärztliche Versorgung erschwert. Zugleich wird ein Fehlanreiz geschaffen, die Versorgung ambulanter Fälle im Krankenhaus vorzunehmen.

Ein weiteres Ziel des Gesetzes ist es, ambulante und stationäre Pflegeeinrichtungen zu verpflichten, sich an die Telematikinfrastruktur (TI) anzuschließen. Damit wird der Zugriff auf die elektronische Patientenakte (ePA) ermöglicht. Die Fristen dafür wurden um ein Jahr auf den 01.07.2025 verschoben.

Position der Barmer
Es ist wichtig, dass die ambulante und stationäre Pflege regelhaft an die TI angeschlossen werden soll. Durch die Digitalisierung, beispielsweise mit der ePA, können Behandlungsprozesse besser aufeinander abgestimmt und unnötige Doppeluntersuchungen vermieden werden.