Alle Welt spricht von den Erfolgen der Künstlichen Intelligenz (KI). Macht KI auch in der stationären Pflege Sinn? KI und Pflege, passt das überhaupt zusammen?
KI ist dort besonders erfolgreich, wo Maschinen bedient werden, weil es hier klar definierte Schnittstellen gibt. In der stationären Pflege gibt es zwar auch den Einsatz von Maschinen, aber im Wesentlichen ist Pflege von Menschen für Menschen. Die beste Lösung in der Pflege ist es, wenn Menschen die Pflege übernehmen. Da dies in Zukunft aufgrund des Fachkräftemangels wohl nicht mehr in vollem Umfang möglich sein wird, müssen wir alles tun, um die wenigen beruflich Pflegenden so gut wie möglich zu unterstützen. Das bedeutet auch, den Einsatz von KI in der Pflege zu prüfen. Dieser Beitrag beleuchtet mögliche Einsatzgebiete und Potenziale.
Was ist KI überhaupt?
Der Einsatz von „Künstlicher Intelligenz – KI“ (aus dem Englischen für „artificial intelligence – AI“) ist eine spezielle Form der Digitalisierung. Die fast wörtliche Übersetzung ist nicht ganz richtig, denn der englische Begriff „intelligence“ beschreibt genau genommen nur die Fähigkeit, komplexe Vorgänge abzuarbeiten. „Intelligenz“ im Deutschen meint etwas mehr. Ein intelligentes Wesen hat nach allgemeinem Verständnis die Fähigkeit zur Selbstreflexion („Ich denke, also bin ich“). Der Gedanke, dass Maschinen in diesem Sinne „intelligent“ werden könnten, soll hier aber nicht weiterverfolgt werden. Festzuhalten bleibt, dass es bisher keine Maschine gibt, die in diesem Sinne „intelligent“ wäre, und es auch sehr zweifelhaft ist, ob es jemals eine geben wird.
Im Verlauf der Entwicklung der Computertechnik taucht der Begriff der KI immer wieder auf, allerdings in unterschiedlichen Zusammenhängen. Grundsätzlich handelt es sich um eine Maschine (oder ein Computerprogramm), die in der Lage ist, komplexe Operationen und Prozesse durchzuführen und dabei korrekte Entscheidungen zu treffen. Sehr früh entstanden Systeme, die geschaffen wurden, aufgrund von gegebenen Regeln oder durch Vergleich mit ähnlichen Fällen in Datenbanken Hinweise zu geben, die sogenannten Expertensysteme. Diese Systeme erzeugen also kein neues Wissen, sondern wenden implizit vorhandenes Wissen auf neue Fälle an.
Die neueren selbstlernenden KI-Systeme („machine learning“) sind in der Lage, Wissen aus allgemeinen Datenquellen wie etwa dem Internet zu erzeugen und werden deshalb als „generative KI“ bezeichnet. Ob wirklich neues Wissen erzeugt wird, ist umstritten, denn genau genommen wird das vorhandene Wissen nur immer wieder neu zusammengesetzt und angewendet. Wird der verfügbare Wissensraum dünn, d.h. ist nicht genug Wissen vorhanden, dann neigen generative KI-Systeme dazu, unsinnige Zusammenhänge herzustellen, die in der realen Welt so nicht vorkommen. Dem außenstehenden Betrachter erscheint es dann so, also ob die Maschine „lügen“ würde (was natürlich nicht richtig ist, denn für eine Lüge benötigt man Bewusstsein des eigenen Ichs). Der Fachbegriff für derartige Falschergebnisse lautet „Halluzination“. Da die Maschine nicht in der Lage ist, eine Halluzination zu erkennen, müssen Ergebnisse generativer KI-Systeme immer überprüft werden.
Bei der technischen Realisation von KI-Systemen herrschten lange Zeit herkömmliche Programme in imperativer Programmiertechnik vor. Die jüngsten Erfolge wurden allerdings mit einer Technik erzielt, die zwar schon sehr lange bekannt ist, aber wegen der mangelnden Leistungsfähigkeit der Computersysteme bis vor kurzem kaum Anwendung fand: die künstlichen neuronalen Netzwerke (KNNs).
Grundsätzlicher Aufbau eines KNN
KNNs sind der Versuch, die Funktionsweise biologischer Gehirne in einer einfacheren Form zu kopieren. Sie werden zwar von Programmierern zusammengesetzt, aber ihr Wissen wird nicht explizit programmiert. Sie lernen selbstständig, wenn sie mit entsprechenden Daten gefüttert werden. Ein KNN ist strukturell eine Ansammlung von künstlichen „Nervenzellen“, die durch gewichtete Verbindungen miteinander verknüpft sind. Eine künstliche Nervenzelle beeinflusst also über ihre Verknüpfungen den Zustand anderer.
Nach dem Zusammenbau ist ein solches Netz zunächst unbrauchbar, denn seine Ergebnisse werden entweder falsch oder nur zufällig richtig sein. Deshalb muss es nun trainiert werden. Das KNN erhält Eingaben und erzeugt Ausgaben. Wenn die Ausgaben falsch sind, werden die Gewichte der Verknüpfungen so lange verändert, bis sie richtig sind. Das ist ein sehr rechenintensiver und langwieriger Prozess. Außerdem wird eine große Menge von Daten benötigt, die klassifiziert („gelabelt“) ist, also zu der Eingabe die korrekte Ausgabe bekannt ist.
Einsatzfähige KNNs haben Hunderte von Schichten („deep neuronal network“) und Millionen von „Nervenzellen“. Wie genau ein solches Netz zu seinem Ergebnis kommt, ist schlussendlich nicht transparent, da es keine festgelegten Regeln gibt. Weil wir nicht genau wissen, wie so ein Netzwerk im Inneren funktioniert, gibt es auch keine Gewissheit darüber, dass künftige Ergebnisse richtig sind. Zwar wird die Qualität der Ergebnisse mit zunehmendem Training immer besser aber eine Garantie gibt es nicht. Es existiert sogar ein Effekt, der in „übertrainierten“ Netzwerken auftritt: Diese Systeme haben gelernt, auf zufällige und insuffiziente Kleinigkeiten im Trainingssatz zu reagieren und sind damit nicht mehr in der Lage, adäquat auf neue Datensätze zu reagieren.
Das sind bemerkenswerte Einschränkungen. Warum findet diese Technik dann immer größere Verbreitung? Das liegt daran, weil sie so unglaublich leistungsfähig ist. Gerade Konversationssysteme wie ChatGPT zeigen äußerst eindrucksvoll, wie gut KI funktionieren kann. Fassen wir zusammen: Künstliche Intelligenz, von der wir heute sprechen, ist eine Form der Digitalisierung und nutzt KNNs. Für diese gelten folgende Punkte:
- Notwendig ist ein großer bis sehr großer, klassifizierter Datensatz für das Training.
- Für die Trainingsphase sind leistungsfähige Computer unentbehrlich.
- KNNs liefern keine Erklärung, wie ein Ergebnis entstanden ist und wir wissen auch nicht, ob zukünftige Ergebnisse immer korrekt sein werden.
Zu Punkt 2 muss ergänzt werden: Solange sich ein KNN in der Lernphase befindet, ist das Training rechenintensiv und es sind leistungsfähige und teure Computer erforderlich. Ist ein Netz aber erst einmal bis zu einem gewissen Grad trainiert und verzichtet man darauf, es kontinuierlich weiter zu verbessern, kann die KI in relativ kleine und preiswerte Geräte integriert werden.
Es gibt derzeit noch keine KNN-Systeme im Routineeinsatz in der Pflege, was aber unmittelbar bevorsteht. Es gibt aber aussichtsreiche Szenarien, von denen im Folgenden einige besprochen werden.
Entscheidungsunterstützende Systeme
Die Datenflut heutiger Überwachungssysteme ist kaum noch beherrschbar. Patientendatenmanagementsysteme (PDMS) generieren Daten im Minutentakt, Laborsysteme liefern lange Listen von Werten und die Radiologie ist bei bildgebenden Verfahren kaum in der Lage, mehr als die unmittelbare Umgebung eines Herdes zu beurteilen. Dabei kann in einer Liste von Hunderten von Werten ein einziger Datenpunkt entscheidend für Diagnose, Therapie und Prognose sein. Sobald Daten aber maschinenlesbar und -interpretierbar vorliegen, könnten sie von einer KI viel schneller und effizienter geprüft werden. Grundsätzlich muss die letzte Entscheidungsinstanz – nicht nur aus ethischen Gesichtspunkten – immer der Mensch sein, aber für eine Vorselektion der Daten wäre die KI ein geeignetes Werkzeug. In der Folge bleibt Fachexperten mehr Zeit, den Menschen zu betreuen und auf seine persönlichen Bedürfnisse einzugehen, wie es keine Maschine kann.
Auch in der Pflege nehmen Daten einen immer größeren Raum ein. Welche Daten müssen in der Routinedokumentation erhoben werden, wie entwickeln sich Import- und Exportprotokolle, und gibt es Auswirkungen der Medikation auf Vitaldaten? Gerade die gemeinsame Auswertung verschiedener Datenquellen könnte durch den Einsatz von KI in der Pflege zunehmend an Bedeutung gewinnen. Die KI ist in der Lage, die Pflegefachpersonen bei schwierigen Entscheidungen zu unterstützen. Die notwendigen Datensätze sind weltweit in ausreichendem Maße vorhanden, eine permanente Lernfähigkeit ist nicht unter allen Umständen erforderlich. Durch den Einsatz von KI könnte Pflege wesentlich stärker an tatsächlichen Handlungsbedarfen orientiert werden und Monitoring-Tätigkeiten reduziert werden. Pflegeprozesse würden sich grundlegend verändern. Im Hinblick auf sich verknappende Ressourcen könnte hier die Digitalisierung vollkommen neue Szenarien schaffen.
Ein großes Problem könnte allerdings die zunehmende Abhängigkeit von der Technologie sein. Damit ist gemeint, dass niemand mehr Ergebnisse kritisch hinterfragt, sondern sie einfach „blind“ übernimmt. Dies würde im Extremfall zu einem Kompetenzverlust der Akteure führen, der auch durch noch so aufwändige Lernprogramme kaum nachhaltig abgefangen werden kann.
KI im Therapieroboter
Über das Thema Roboter und Pflege ist schon viel geschrieben worden, ihr Einsatz hinkt aber den Erwartungen deutlich hinterher. Das könnte sich mit dem Einsatz von KI ändern, denn aus reinen Werkzeugen werden Systeme, die aktiv unterstützen können. Kollaborative Roboter (wie z.B. die Robbe „Paro“) könnten sich an die Bedürfnisse der Patienten anpassen und Therapieroboter, etwa für die neurologische Frührehabilitation, mit Sensoren ausgestattet werden, die eine deutlich effektivere Therapie ermöglichen.
Robotik ist kein reines KI-Thema, aber mit KI werden Roboter besser und sicherer. Allerdings gibt es nur wenig valide Datensätze. Eine weitere Herausforderung ist die Haftungsfrage bei einem Einsatz mit Patientenschaden. Pflegefachpersonen werden zu Recht davon Abstand nehmen, ein Risiko auf sich zu nehmen, wenn es aufgrund des Ablaufs einer Bewegungstherapie nicht möglich ist, rechtzeitig einzugreifen.
Andererseits kann der Einsatz intelligenter Robotik die teilweise anstrengende Tätigkeit des Pflegepersonals erleichtern, sodass es sich lohnt, nach geeigneten Lösungswegen zu suchen.