Ein Mann umarmt eine Frau während einer Gruppentherapie.
Sucht

Alkoholsucht: Entzug mit Therapien

Lesedauer unter 9 Minuten

Redaktion

  • Internetredaktion Barmer

Qualitätssicherung

  • Dirk Weller (Diplom-Psychologe)
  • Andrea Jakob-Pannier (Diplom-Sozialpädagogin/ Psychologin/ Psychoonkologin, Barmer)
  • Marie-Victoria Assel (Psychologin, Barmer)

Einfach den Wein im Bad in den Abfluss gießen und aufhören? Kalter Entzug von heute auf morgen? Wer einen Alkoholentzug schaffen will, braucht oftmals mehr als nur ein wenig Willenskraft. Moderne Strategien gegen Alkoholabhängigkeit zwischen kontrolliertem Trinken, Anti-Craving-Medikamenten und Verhaltenstherapie können alkoholkranken Menschen helfen – um durch den Alkoholentzug Schritt für Schritt zu einem auf Dauer selbstbestimmten, neuen Leben zurückzufinden. 

Was ist eine Alkoholsucht?

Ein Glas Bier in Ehren… natürlich, das kann (fast) niemand verwehren. Doch wie schnell wird aus einem Gläschen Bier oder Wein ein zweites oder gar drittes?

Und schon trinkt man mehr als die vorgegebene, als risikoarm eingestufte Menge Alkohol pro Tag: Sie liegt bei Männern bei 20-24 g Alkohol (etwa 0,5 l Bier oder ¼ Liter Wein) und bei Frauen bei 10-12 g Alkohol (ca. 0,3 l Bier oder 1/8 Liter Wein).  Für Schwangere gilt sogar ein absoluter Verzicht auf Alkohol, um ein fetales Alkoholsyndrom (FAS) vorzubeugen.

Alkohol ist ein gefährliches Zellgift

Auch wenn die Gesellschaft es verharmlost: Alkohol ist ein gefährliches Zellgift, das dem Körper immer schadet, egal wie viel man trinkt. So sterben einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO zur Folge mehr Menschen durch Alkoholkonsum als durch Gewalt, Verkehrsunfälle und das HI-Virus zusammen - rund drei Millionen Menschen weltweit.

Die Zahl der Todesfälle ist derart hoch, da der riskante Alkoholkonsum nicht nur direkt zum Tod oder schweren Unfällen führen, sondern auch mehr als 200 Krankheiten verursachen kann, darunter Krebs, Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Gehirnschädigungen bis hin zur Schädigung des ungeborenen Kindes.

Alkoholismus: Bei etwa sechs Prozent ist der Alkoholkonsum mindestens problematisch

Knapp 1,6 Millionen aller 18- bis 64-Jährigen in Deutschland sind laut der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen von einer Alkoholabhängigkeit betroffen. Das sind etwas mehr als drei Prozent aller Deutschen (4,5 Prozent aller Männer, 1,7 Prozent aller Frauen). Dazu kommen in etwa gleich viele Betroffene, die zwar noch keine Alkoholkranken sind, deren Alkoholkonsum sich aber bereits körperlich, sozial und psychisch negativ auswirkt. 

Fast jeder fünfte Erwachsene (18,1 Prozent) hat 2018 einen riskanten Alkoholkonsum, ein geringer Rückgang gegenüber der Erhebung aus dem Jahr 2015 mit 21,4 Prozent. Dies spiegelt sich auch bei der Alkoholabhängigkeit wider. Beispielsweise waren 2018 3,1 Prozent der Erwachsenen abhängig gegenüber 3,4 Prozent im Jahr 2012

Weil sich die Alkoholabhängigkeit schleichend entwickelt und eine Alkoholsucht lange versteckt werden kann, vergehen bei Betroffenen nicht selten zehn Jahre von den ersten Krankheitszeichen bis zu einer Therapie und einem Alkoholentzug.

Wenn es überhaupt soweit kommt. Laut Suchtforscher Klaus Mann suchen nur 10 bis 15 Prozent der Menschen, die von Alkoholsucht betroffen sind, professionelle Hilfe.

Dabei ist gerade ein früher Behandlungsbeginn bei einer psychischen und/oder körperlichen Abhängigkeit entscheidend: Je eher man zum Beispiel mit einer stationären oder ambulanten Therapie startet, umso leichter fällt Betroffenen der Alkoholentzug.

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Alkohol-Entzugserscheinungen: Warum ein kalter Entzug gefährlich sein kann 

Den kalten Entzug bei einer Alkoholsucht – einfach von einem auf den anderen Tag die Finger von der Flasche lassen – schaffen manche mit eisernem Willen. Doch so ein kalter Alkoholentzug ist nicht nur enorm anstrengend, sondern auch gefährlich.

Bei einem längeren und exzessiven Alkoholmissbrauch hat ein kalter Alkoholentzug für den Patienten schwere körperliche und psychische Folgen: Neben epileptischen Anfällen ist gerade das sogenannte Delirium tremens lebensbedrohlich und wird oft begleitet von psychischen Symptomen und körperlichen Symptomen.

Angstzuständen, Halluzinationen, Zittern, Krämpfen, erhöhtem Puls, Blutdruck und erhöhter Atemfrequenz bis hin zum Koma sind Symptome, die mit Delirium tremens einhergehen können. 

Inzwischen gibt es für den kalten Entzug wissenschaftlich geprüfte, sanftere Alternativen, um diese Symptome zu vermeiden. 

Die ersten Schritte beim Alkoholentzug: Zum Hausarzt oder einer Suchtberatung

Wer den Verdacht hat, ein Alkoholproblem zu haben, sollte zunächst ärztlichen Rat suchen und mit seinem Hausarzt oder seiner Hausärztin offen über den eigenen Alkoholmissbrauch sprechen.

Der Arzt oder die Ärztin wird vermutlich einige Fragen zum Trinkverhalten stellen (Häufigkeit, Menge, Abhängigkeit) und die Leberwerte durch ein Blutbild bestimmen lassen. Je nach Ergebnis entscheiden Arzt und Patient dann gemeinsam, welche nächsten Schritte auf dem Weg zum Alkoholentzug sinnvoll sind. Auch eine Suchtberatung kann eine gute, erste Anlaufstelle sein, um den Entzug anzugehen. 

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Entzug: Welche Therapiemöglichkeiten gibt es? 

Ist der Wille da, nicht mehr zu trinken oder zumindest den Alkoholkonsum zu reduzieren, gibt es dann verschiedene Möglichkeiten der Therapie:

Kontrolliertes Trinken

Alkoholabhängigkeit ist eine chronische Krankheit: Wer abhängig ist oder war, wird immer gefährdet sein, wieder in die Sucht zu rutschen. Lebenslange Abstinenz ist deshalb das ausgewiesene Ziel jeder Therapie – eigentlich.

Doch viele Menschen mit einem schädlichen Alkoholgebrauch schaffen das nicht. Oder wollen es nicht: Für sie ist nicht wegzudenken bei einem guten Glas Wein zusammenzusitzen, auf ein freudiges Ereignis anzustoßen, das Feierabendbier zu genießen.

Dann ist das reduzierte oder kontrollierte Trinken nach bestimmten, selbst gestalteten Regeln vielleicht eine Lösung. Das macht zwar nicht alles besser, aber immerhin einiges. Das geht allerdings nur, wenn noch keine Alkoholabhängigkeit vorliegt. 

Mit einem Trinktagebuch Kontrolle gewinnen bei Alkoholabhängigkeit

Zusammen mit einem Suchtexperten legt man dabei wöchentlich eine klare Menge an Alkohol fest, die man nicht überschreiten möchte und entscheidet: Wann, wo und mit wem wird getrunken?

Dazu lernt man, mehr Kontrolle über den eigenen Alkoholkonsum zu gewinnen. Durch ein Trinktagebuch etwa, durch Selbstbeobachtung, alternative Freizeitgestaltung und den Umgang mit Rückschlägen. Grundlage dieser Therapie ist die klassische Verhaltenstherapie: Man geht davon aus, dass hoher Alkoholkonsum erlernt ist – und somit auch auf Dauer wieder verlernt werden kann.

In Deutschland bekannt gemacht hat das Programm der Psychologieprofessor Joachim Körkel. Auf der Homepage seines Instituts heißt es: „Behandlungen mit dem Ziel des Kontrollierten Trinkens sind mindestens so erfolgreich wie Behandlungen mit dem Ziel der Abstinenz und Alkoholabhängige profitieren davon in gleicher Weise wie Menschen mit einer geringer ausgeprägten Alkoholproblematik.“

Durch das Ambulante Gruppenprogramm zum Erlernen des kontrollierten Trinkens (AkT), das seit 1999 läuft, sinkt der Alkoholkonsum auf die Hälfte und bleibt auch ein Jahr nach Ende des Programms stabil.

Etwa jeder zweite nehme dadurch zusätzliche Hilfe an und manche schaffen es so doch noch, aus neuer Überzeugung ganz von ihrer Alkoholsucht wegzukommen. Das Programm ist aber ebenfalls nur geeignet, wenn noch keine Alkoholabhängigkeit vorliegt. 

Mit medikamentöser Unterstützung riskanten Alkoholkonsum reduzieren

Sofern alkoholsüchtige Menschen noch keine körperlichen Folgen in Form von Entzugserscheinungen wahrnehmen, können auch bestimmte Tabletten helfen, den Alkoholkonsum einzudämmen.

Der Wirkstoff Nalmefen aus der Wirkstoffgruppe der Opioid-Antagonisten etwa blockiert das Glücksgefühl, das der Alkohol auslöst. Weil die stimmungsaufhellende Wirkung nicht einsetzt, haben alkoholkranke Menschen nach ein oder zwei Bier genug – oder sie verspüren gar kein Verlangen (auch englisch Craving genannt) nach alkoholischen Getränken. Diese Methode kann helfen, zunächst weniger zu trinken und damit den Weg in die Abstinenz zu finden.

Es darf aber nur in Einzelfällen eingenommen werden. Auch der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) kommt zu dem Schluss, dass Präparate zur Reduktion des Alkoholkonsums nur in Einzelfällen und nur übergangsweise in Betracht kommen, beispielsweise wenn ein Therapieplatz zeitnah nicht zur Verfügung steht.

Das Medikament nimmt man ein bis zwei Stunden bevor man vorhat Alkohol zu trinken (etwa abends nach der Arbeit). Das Kassenrezept dafür stellt der Hausarzt aus. Einige Studien zeigten, dass sich so die Alkoholmenge deutlich reduziert, um 40 bis 60 Prozent. Allerdings hat der Wirkstoff auch Nebenwirkungen: Er kann zu milder bis moderater Übelkeit, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit und Benommenheit führen.

Medikamente bei Alkoholismus nur zusammen mit einer Psychotherapie

Viele Experten sind bezüglich einer rein medikamentösen Behandlung bei Alkoholsucht skeptisch, da nur Symptome gelindert würden, nicht aber die Ursachen für das oft über Jahre gefestigte Trinkverhalten, etwa soziale Umstände, psychische Probleme oder Stress.

Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) empfiehlt deshalb, Alkoholismus nicht allein mit Tabletten zu behandeln, sondern den Entzug von einer Psychotherapie begleiten zu lassen.

Therapien in einer Suchtklinik

Manchmal ist der stationäre Alkoholentzug in einer Suchtklinik der beste und auch einfachste Weg: Hier kommt man als Patient aus dem gewohnten Umfeld, kann sich ganz auf sich und sein Ziel konzentrieren, Geist und Körper können vom schädlichen Alkoholkonsum entgiftet und entwöhnt werden.

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Je nach Schweregrad des Entzugssyndroms, der Höhe der Alkoholisierung und der restlichen somatisch-medizinischen Situation kann der Entzug ambulant, bei schweren Symptomen vor allem stationär durchgeführt werden. Schwere Symptome können lebensbedrohlich sein und erfordern eine ärztliche Überwachung, daher ist ein ambulanter Entzug dann nicht empfehlenswert.

Nach der körperlichen Entgiftung ist die psychische Behandlung ein wesentlicher Bestandteil des Alkoholentzugs. Grundlage hierfür sind motivierende Gespräche im Rahmen einer Verhaltenstherapie, die in Gruppen- und Einzelsitzungen stattfindet.

Dabei lernt der Patient zu verstehen, wann und warum man Alkohol trinkt und trainiert alternative Verhaltensweisen. Dazu kommen je nach Bedarf Bausteine wie Stressmanagement, Achtsamkeitstraining und andere hilfreiche Strategien. Auch den Umgang mit vermeintlichen Rückfällen wird geübt. Denn Rückfälle in den Konsum – das müssen alle Süchtigen verstehen – sind Teil der Krankheit und des Lernprozesses, kein persönliches Versagen.

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Tabletten helfen beim Entzug

Begleitend dazu werden in der Klinik Medikamente eingesetzt, wenn dies vom Ärzteteam für sinnvoll erachtet wird. Sie machen die Entgiftung und den körperlichen Entzug besser ver- und erträglich und lindern psychische oder körperliche Entzugserscheinungen.

Darunter ist oft das oben erwähnte Nalmefen. Nalmefen soll die Trinkmenge bei Patienten verringern, deren Konsum sich auf einem hohen Risikoniveau befindet, die aber keine körperlichen Entzugssymptome haben und keine sofortige Entgiftung benötigen. 

Alternativen sind Wirkstoffe wie Naltrexon (Behandlung mit Naltrexon erfolgt zur Entwöhnung bei einer - oder nach erfolgreicher Entgiftung) oder Acamprosat, die ebenfalls den Belohnungseffekt, den der Alkohol stimuliert, abschwächen können.

Dazu werden häufig Medikamente gegen Schlafstörungen, Krampfanfälle, Wahnvorstellungen, Übelkeit und andere körperliche und psychische Entzugserscheinungen verabreicht. 

Die Behandlung findet entweder ambulant (berufsbegleitend mit ein bis zwei Therapiesitzungen pro Woche, mindestens sechs Monate, häufig länger als ein Jahr) oder stationär statt (meist zwischen sechs und 16 Wochen lang plus anschließender therapeutischer Nachsorge).

Da Alkoholsucht heute als Krankheit verstanden wird, kommen die gesetzliche Krankenkasse und der Rentenversicherungsträger für die Therapiekosten auf. 

Literatur

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