Studien und Reporte

Barmer GEK Arzneimittelreport 2016

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Allein in den nächsten fünf Jahren könnten ohne großen Aufwand mehr als vier Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) eingespart werden. Das Potenzial, überflüssige Mehrausgaben zu verhindern, liegt nach Angaben der Barmer GEK in den sogenannten Biosimilars, Nachahmerprodukten der biotechnologisch hergestellten Arzneimittel (Biologika). Das belegt der Barmer GEK Arzneimittelreport 2016.

Verschreibung von Biosimilars kann unnötige Ausgaben verhindern

"Allein bei der Barmer GEK lässt sich in den nächsten fünf Jahren durch eine konsequente Verschreibung von Biosimilars eine halbe Milliarde Euro an unnötigen Ausgaben verhindern. Bei einer Therapie mit biotechnologisch hergestellten Arzneimitteln sollten Biosimilars verstärkt angewendet werden, zumal die Versorgungsqualität nachweislich nicht darunter leidet", sagte der Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, Dr. Christoph Straub. Durch den konsequenten Einsatz von Biosimilars könnten in der GKV Mittel frei werden, die in andere innovative Medikamente fließen könnten.

Ärztinnen und Ärzte müssen Verordnungsverhalten ändern

Einige der umsatzstärksten biotechnologisch hergestellten Medikamente haben kürzlich ihren Patentschutz verloren beziehungsweise werden diesen in Kürze verlieren. Damit werden mehr Biosimilars auf den Markt drängen. Ein Biosimilar ist im Schnitt etwa 25 Prozent günstiger als das Originalpräparat, also das entsprechende Referenzbiologikum. Straub: "Es entsteht über die Biosimilars eine Wettbewerbssituation, in der die behandelnden Ärzte zwischen zwei oder mehreren therapeutisch gleichwertigen, aber unterschiedlich teuren Alternativen wählen können." Aufgabe der Ärzte sei es, medizinisch richtig, aber eben auch wirtschaftlich sinnvoll zu verordnen.

Biopharmazeutika verursachen 21 Prozent aller Arzneimittelkosten

Dem Report zufolge ist zwischen den Jahren 2010 und 2015 der Anteil der Versicherten, die ein biotechnologisch hergestelltes Arzneimittel erhalten haben, im ambulanten Sektor von 3,1 auf vier Prozent gestiegen. Im selben Zeitraum sind die Ausgaben für diese Arzneimittel um mehr als 40 Prozent gewachsen und machen inzwischen 1,2 Milliarden Euro aus. Biotechnologisch hergestellte Arzneimittel verursachen damit 21,3 Prozent der gesamten Arzneimittelkosten der Barmer GEK (5,7 Milliarden Euro).

Starke regionale Unterschiede bei Biosimilarverordnung

Ob ein Patient ein Biosimilar erhält, hängt nicht unwesentlich davon ab, wo er wohnt. Denn die Biosimilarquoten differieren je nach Kassenärztlicher Vereinigung um fast 100 Prozent. Während die Ärztinnen und Ärzte in Bremen in 54,2 Prozent der Fälle Biosimilars verordnen, sind es im Saarland nur 27,4 Prozent. Wenn man die einzelnen Präparate betrachtet, unterscheiden sich die Verschreibungsquoten sogar um das bis zu 19-Fache. Mecklenburg-Vorpommern weist gar eine „Null-Quote“ für ein Biosimilar aus. "Medizinisch lassen sich diese enormen regionalen Differenzen bei den Verordnungsquoten nicht erklären. Dass viele Ärzte Biosimilars nur selten verordnen, könnte an der Informationspolitik der Pharmahersteller liegen, die schwindende Umsätze bei ihren teureren Originalpräparaten befürchten", so der Autor des Arzneimittelreports, Professor Daniel Grandt, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin I des Klinikums Saarbrücken. Umso mehr komme es auf die Kassenärztlichen Vereinigungen in den einzelnen Ländern an, noch stärker über Biosimilars zu informieren und mögliche Vorurteile aus der Welt zu räumen.

Aus dem Barmer GEK Arzneimittelreport 2016

  • Ausgaben im Jahr 2015: Die Ausgaben für Fertigarzneimittel Barmer GEK Versicherter stiegen im Jahr 2015 um 5,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Insgesamt wandte die Barmer GEK 4,62 Milliarden Euro auf. Das entspricht 510,62 Euro je Versicherten, wobei für Frauen mit 520,17 Euro deutlich höhere Ausgaben entstanden als für Männer (497,74 Euro). Der Anstieg ist zu etwa gleichen Teilen auf teurere Arzneimittel und auf Mehrverordnungen zurückzuführen. Nicht ausschließlich erklärt werden kann das Ausgabenplus durch demografische Faktoren, da im Berichtszeitraum das Durchschnittsalter der Versicherten lediglich um 0,4 Jahre gestiegen ist (im Report auf Seite 22).
  • Arzneimittelwirkstoffe mit den höchsten Umsätzen: Mit 127,7 Millionen Euro weist der Wirkstoff Adalilumab (Humira®) den höchsten Umsatz für Barmer GEK Versicherte auf. Er wird zur Behandlung rheumatischer Erkrankungen und chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen eingesetzt. Auf Platz zwei folgt mit 95,3 Millionen Euro Sofosbuvir/Ledipasvir (Harvoni®) zur Behandlung von Hepatitis C. Den dritten Rang nimmt Bevacizumab (Avastin®) mit einem Umsatz von rund 85 Millionen Euro ein, das zur Behandlung von Krebserkrankungen dient (Seite 24 ff).
  • Facharztgruppen: Im Jahr 2015 erhielten 77 Prozent aller Barmer GEK Versicherten Arzneimittel verordnet. Eine Zuordnung der Arzneimittelausgaben nach Facharztgruppen zeigt, dass 44 Prozent der Ausgaben auf Verordnungen durch hausärztlich tätige Mediziner entfallen. Neun Prozent der Ausgaben entstanden durch Verordnungen von Neurologen und 5,6 Prozent durch die von Hämatologen beziehungsweise Onkologen (Seite 41).
  • Verteilung der Ausgaben unter den Versicherten: Die Ausgaben für die Versorgung von rund sieben Millionen Barmer GEK Versicherten, die im Jahr 2015 Arzneimittel verordnet bekamen, verteilen sich sehr ungleich. Das Ausmaß der Ungleichverteilung wird daran deutlich, dass auf 2,9 Prozent der Versicherten der Barmer GEK mit Arzneimittelverordnung 50 Prozent ihrer Arzneimittelausgaben entfallen. Im Jahr 2010 umfasst diese Gruppe noch 4,6 Prozent der Versicherten. Während im Jahr 2010 etwa 30 Prozent aller Arzneimittelausgaben von etwa 1,1 Prozent aller Versicherten benötigt wurden, entfällt derselbe Kostenanteil mittlerweile auf nur 0,63 Prozent (Seite 32/33).

Glossar: Was sind eigentlich …?

  • … Biologika: Biologika unterscheiden sich durch den Herstellungsprozess von konventionell chemisch synthetisierten Arzneimitteln. Durch gentechnologisch veränderte (Mikro-)Organismen hergestellte Biologika haben Behandlungsmöglichkeiten für bisher unzureichend oder nicht behandelbare Erkrankungen oder deren Ausprägungen ermöglicht und stellen einen wichtigen Fortschritt der Arzneimitteltherapie dar. Ein großer Teil der biotechnologischen Wirkstoffe wird in Mikroorganismen produziert. Die Qualität der Herstellung und des Produktes werden durch das seit 1995 verbindliche zentralisierte EU-Zulassungsverfahren streng überwacht. In Deutschland sind 151 gentechnisch hergestellte Wirkstoffe in 195 Arzneimitteln zugelassen (Stand März 2016), davon 137 über das zentralisierte EU-Zulassungsverfahren und nur 14 Wirkstoffe (in 19 Arzneimitteln) nach dem früheren nationalen Zulassungsverfahren. Da einige biologische Arzneimittelwirkstoffe unter unterschiedlichen Markennamen vertrieben werden, ist die Anzahl der Arzneimittel größer als die Anzahl der biologischen Arzneimittelwirkstoffe (Report Seite 70).
  • Biosimilars: Ein Biosimilar ist ein biologisches Arzneimittel, das eine Version des Wirkstoffs eines im europäischen Wirtschaftsraum bereits zugelassenen biologischen Arzneimittels (Referenzarzneimittels) enthält. Die Ähnlichkeit zum Referenzarzneimittel in Qualität, biologischer Aktivität, Sicherheit und Wirksamkeit muss basierend auf einem umfangreichen direkten Vergleich etabliert werden. Hierzu gehören im Unterschied zur Zulassung generischer nicht-biologischer Arzneimittel auch immer klinische Studien in einer von der Zulassungsbehörde ausgesuchten besonders kritischen Indikation für dieses Arzneimittel. Ähnlichkeit, auch als Mikroheterogenität bezeichnet, ist eine normale Eigenschaft jedes biotechnologisch hergestellten Arzneimittels, nicht spezifisch für Biosimilars und auch kein Hinweis auf eine andere Wirksamkeit oder Verträglichkeit als das Referenzarzneimittel. Aus wissenschaftlicher und regulatorischer Sicht handelt es sich bei dem Wirkstoff des Biosimilars nur um eine andere Wirkstoffversion des Referenzprodukts. Ein Biosimilar nach dem europäischen Verständnis muss dem Referenzarzneimittel strukturell und funktionell so ähnlich sein, dass es keine klinisch relevanten Unterschiede in Sicherheit und Wirksamkeit gibt (Report Seite 132).

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