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Pressemitteilungen aus Sachsen

Die „unsichtbaren“ Pflegebedürftigen - Immer mehr jüngere Pflegebedürftige in Sachsen

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Leipzig, 04. Januar 2017 - Die Zahl der „jüngeren“ Pflegebedürftigen im Alter von 15 bis 60 Jahre ist in Sachsen seit der Jahrtausendwende auf rund 15 600 Personen angestiegen. Das ist fast jeder zehnte von insgesamt rund 166 800 Pflegebedürftigen im Freistaat, verweist die Barmer auf Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Bettlägerig? Hilflos? Vor allem aber alt? Nein! „Pflege hat viele Gesichter. Pflegebedürftigkeit ist nicht nur ein Thema der Alten und Hochbetagten. Besonders die jüngeren Pflegebedürftigen werden oft vergessen“, sagt Dr. Fabian Magerl, Landesgeschäftsführer der Barmer in Sachsen. Sie haben andere Krankheitsbilder und andere Bedarfe. Laut Barmer Pflegereport 2017 geht das Angebot für junge Pflegebedürftige oft an deren Bedürfnissen vorbei.

Wunsch und Wirklichkeit klaffen häufig auseinander

Obwohl keine kleine Gruppe, sind junge Pflegebedürftige in Sachsen fast „unsichtbar“ und spielen in der öffentlichen Diskussion kaum eine Rolle.

„Ein 30-Jähriger mit einem Down-Syndrom kann ganz anders am Leben teilhaben, als ein 80-Jähriger, der bettlägerig oder schwer dement ist“, beschreibt Magerl die Problematik. Tendenziell wollen junge Pflegebedürftige individueller und selbstbestimmter leben, als es ihnen bisher möglich ist. Aus einer repräsentativen, bundesweiten Umfrage im Pflegereport der Barmer geht hervor, dass die Angebote für ein selbstbestimmtes Wohnen der jüngeren Pflegebedürftigen fehlen. Demnach würden gern 35 Prozent der 10 bis 29-Jährigen in eine Wohngruppe ziehen. Jedoch hat etwa jeder zweite Pflegebedürftige in dieser Altersklasse angegeben, dass sich sein Wechsel in eine Wohngruppe, aber auch in ein Pflege- oder Behindertenheim, deswegen zerschlagen hat, weil kein Platz in der Einrichtung vorhanden war. 

Pflegeplätze und Personal nicht ausreichend

David Eckardt, Landesgeschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt in Sachsen, differenziert: „Nicht nur die Anzahl an Pflegeplätzen reicht für jüngere Pflegebedürftige nicht aus, sondern es mangelt auch an genügend Personal mit pflegerischer Kompetenz. Generell müssen in Sachsen die Rahmenbedingungen angepasst werden, damit auch jüngere Menschen in Pflegeeinrichtungen, die konzeptionell auf alte und demenziell erkrankte Menschen ausgerichtet sind, betreut werden können.“

Andere Krankheitsbilder, andere Hilfe notwendig

In Sachsen wird die Mehrzahl der Pflegebedürftigen bis 60 Jahre daheim von der eigenen Familie, in der Regel den Eltern, gepflegt und erhält dafür das sogenannte Pflegegeld. „Es fehlt zum einen an bedarfsgerechten gemeindenahen Wohn- und Betreuungsangeboten, in denen Leistungen der Pflege und der Eingliederungshilfe verzahnt erbracht werden können. Zum anderen werden zur Entlastung der Angehörigen altersentsprechende Angebote der Kurzzeit- und Verhinderungspflege für jüngere Pflegebedürftige benötigt, die auch tage- oder stundenweise in Anspruch genommen werden können“, so AWO-Landesgeschäftsführer Eckardt. Außerdem gehe die „Altenpflege“ zu wenig auf die speziellen Bedürfnisse und Fähigkeiten ein. Das hängt vor allem mit den Ursachen der Pflegebedürftigkeit zusammen: Insgesamt haben die jüngeren Betroffenen andere Krankheitsbilder und leiden eher selten an Demenz oder den Folgen von Schlaganfällen. Nach der Analyse des Reports haben

  •  35 Prozent Lähmungen,
  •  32 Prozent Intelligenzminderungen,
  •  24 Prozent eine Epilepsie und
  •  10 Prozent Down-Syndrom.

Wunsch nach Kurzzeitpflege doppelt so hoch wie machbar

Vor allem bei der Kurzzeitpflege gibt es Versorgungslücken. So nutzen derzeit laut Befragung neun Prozent der jungen Pflegebedürftigen mindestens einmal im Jahr die Kurzzeitpflege. Tatsächlich aber würden gern 19 Prozent auf dieses Angebot zugreifen. Damit ist der Wunsch nach Kurzzeitpflege um mehr als 100 Prozent höher, als er tatsächlich realisierbar ist. Eine weiter steigende Nachfrage könnte sich auch aus dem Pflegestärkungsgesetz II ergeben, das den auf Kurzzeitpflege anspruchsberechtigten Personenkreis seit vergangenem Jahr deutlich ausgeweitet hat.

Zahlen, Daten, Fakten zu den jüngeren Pflegebedürftigen in Sachsen

15-60-Jährige Pflegebedürftige in Sachsen (2015) nach Art der Betreuung

  • Pflegegeld: Eine Mehrheit von fast 60 Prozent (10 553 Betroffene) wird von Angehörigen daheim und ohne externe Hilfe gepflegt. Dafür erhalten Sie Pflegegeld.
  • Ambulante Pflege: 16 Prozent (2 885 Betroffene) holen sich ambulante Unterstützung.
  • Pflegeheim: Weitere 12 Prozent leben in einem Pflegeheim - das sind lediglich 2 156 Pflegebedürftige.
  • In der Gesamtbetrachtung aller 166 800 Pflegebedürftigen erhalten 40 Prozent (rund 68.100) ein monatliches Pflegegeld. Jeder dritte lebt in einem Pflegeheim. Quelle: www.gbe-bund.de

Aus dem Barmer Pflegereport 2017

  • Eigenanteile: Der Gesamteigenanteil für Heimbewohner in Sachsen liegt im Durchschnitt bei monatlich 1.131 Euro (Bund: 1.691 Euro). Auf Länderebene gibt es massive Unterschiede. So reicht der Gesamteigenanteil von 1.107 Euro in Sachsen-Anhalt bis hin zu 2.252 Euro in Nordrhein-Westfalen (Report Seite 30f.).
  • Pflegebedürftige: Die Zahl der Pflegebedürftigen ist in Sachsen von insgesamt 118.124 (Bund: 2,02 Millionen) im Jahr 1999 um 41 Prozent (Bund: 51 Prozent) auf 166.792 (Bund: 3,04 Millionen) im Jahr 2015 angestiegen. Hier sind alle Personen mit den Pflegestufen null bis drei beinhaltet. Davon waren 108.083 (Bund: 1,93 Millionen) weiblich und 58.709 (Bund: 1,11 Millionen) männlich. Zuletzt waren bundesweit 79,5 Prozent der männlichen Pflegebedürftigen 60 Jahre und älter, während 90,5 Prozent der weiblichen Pflegebedürftigen zu dieser Gruppe gehören. 41,2 beziehungsweise 64,1 Prozent waren 80 Jahre und älter (Seite 65).
  • Stellen in der Pflege: In der ambulanten Pflege ist in Sachsen die Zahl der Stellen, wenn man Teil- und Vollzeitstellen zusammenrechnet, zwischen den Jahren 2001 und 2015 von 12.050 (Bund: 189.600) auf 24.201 (Bund: 355.600) Personen angestiegen. Im selben Zeitraum ist die Anzahl der Pflegebedürftigen, die sie versorgen 2001, von 32.980 (Bund: 434.700) auf 2015 49.618 (Bund: 692.300 Personen (Seite 131 f.) angestiegen.
  • Stellen in der Stationären Pflege: Zwischen den Jahren 2001 und 2015 ist in Sachsen die Anzahl der Beschäftigten von 20.732 auf 38.504 gestiegen.
  • Heimplätze: Im Jahr 2015 gab es in Sachsen 885 (Bund: 13.600) Pflegeheime mit insgesamt 55.266 (Bund: 928.900) Heimplätzen. Davon entfielen 50.146 (Bund: 877.100) Plätze auf die vollstationäre Pflege, 4.115 (Bund: 51.800) auf die Tagespflege und Nachtpflege und auf die Kurzzeitpflege 1.005 (Bund: 37.300)  (Seite 136 f.).

Weitere bundesweite Zahlen und Grafiken finden Sie unter:

www.barmer.de/p008518

www.statistik.sachsen.de/html/472.htm 

www.gbe-bund.de