Titelbild Barmer Arzneimittelreport 2020 mit stilisiertem Reagenzglas
STANDORTinfo für Niedersachsen und Bremen

Barmer-Arzneimittelreport: Bessere Aufklärung bei Polypharmazie durch TOP

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Es gibt ein Ziel im deutschen Gesundheitssystem, das sich alle Beteiligten seit vielen, vielen Jahren vorgenommen haben. Bei der Aufnahme ins Krankenhaus darf es keine Informationsdefizite zu Vorerkrankungen und bisher eingenommenen Arzneimitteln geben. Denn das kann die Patientinnen und Patienten schädigen und sogar lebensgefährlich sein. Informationslücken sind allerdings häufige, aber zugleich auch vermeidbare Qualitätsmängel an der Schnittstelle von ambulant und stationär. Dabei sollten diese Prozesse eigentlich perfekt eingespielt sein. Schließlich muss jeder siebte Barmer-Versicherte, das entspricht knapp 1,3 Millionen Personen, pro Jahr im Krankenhaus behandelt werden. Das geht aus dem aktuellen Arzneimittelreport der Barmer hervor. Bei der Behandlung gilt, je mehr Arzneimittel ein Patient einnehmen muss, desto wahrscheinlicher muss er stationär versorgt werden. Fast jeder zweite der stationär behandelten Versicherten wird laut Arzneimittelreport vor der Krankenhausaufnahme bereits mit fünf oder mehr Arzneimitteln behandelt. Man spricht hier von Polypharmazie-Patienten. In Niedersachsen erhalten 24,9 Prozent der Menschen, die zur Behandlung ins Krankenhaus kommen, Medikamente mit mindestens fünf Wirkstoffen. In Bremen sind es sogar 29,1 Prozent am Tag der Krankenhausaufnahme. Den immens wichtigen Informationsaustausch zur Medikation erschwert, dass 62 Prozent der Patienten vor der Krankenhausaufnahme bei mindestens drei Ärzten in ambulanter Behandlung waren, jeder Vierte sogar bei fünf oder mehr Ärzten. Gerade bei der besonders Gruppe der Polypharmazie-Patienten darf es keine Informationslücken geben! Eine Umfrage der Barmer unter rund 2.900 Versicherten mit Polypharmazie über 65 Jahren und stationärer Krankenhausbehandlung zeigt jedoch, dass nur 29 Prozent bei der Klinikaufnahme über den bundeseinheitlichen Medikationsplan verfügten. 17 Prozent hatten gar keinen vom Arzt erstellten Medikationsplan. Zudem war der Medikationsplan bei knapp jedem dritten Patienten, der durch mehrere Ärzte behandelt wurde, unvollständig. Es ist unverständlich, dass die Aufnahme in ein Krankenhaus als millionenfacher Prozess so fehleranfällig ist. Es muss verhindert werden, dass Patienten aufgrund von Informationsdefiziten zu Schaden kommen.

Barmer entwickelt neue Versorgungsform Top

Doch wie lässt sich die Versorgung der Patientinnen und Patienten an den Schnittstellen der Versorgungssektoren nachhaltig verbessern? Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass sich die Zahl der Medikationsfehler deutlich reduzieren lässt, wenn die behandelnden Ärzte elektronische Unterstützung erhalten, den Zugriff auf Abrechnungsdaten der Krankenkasse bekommen und Krankenhausapotheker miteinbezogen werden. Genau das realisiert die Barmer ab Oktober im Rahmen des vom Innovationsfonds geförderten Projektes Top, was für „Transsektorale Optimierung der Patientensicherheit“ steht. Top nutzt Abrechnungsdaten der Krankenkasse, um mit Einverständnis des Versicherten Ärzte über Vorerkrankungen, verordnete Medikamente und deren Behandlung zu informieren. Nur die Krankenkasse hat so umfassende Informationen. Bei Top stehen die Patientinnen und Patienten im Zentrum. Sie entscheiden dabei über die Nutzung ihrer Daten und können auch ihren Medikationsplan über eine App jederzeit eigenständig abrufen. Dazu gehören auch Hinweise zu möglichen Wechsel- und Nebenwirkungen. Bessere Aufklärung über Erkrankung und Therapie, elektronische Kommunikation mit dem Arzt und sichere Verfügbarkeit eines vollständigen und aktuellen Medikationsplans werden damit Realität. Aber auch die Zusammenarbeit von Ärzten und Apothekern im Krankenhaus und über die Sektoren hinweg wird strukturiert und elektronisch unterstützt. So wird ein zeiteffizienter und sicherer Informationsaustausch ermöglicht. Top zielt darauf, die seit Jahrzehnten beklagten Informationsbrüche bei der Krankenhausbehandlung zu beheben. Das Projekt sollte für die Versorgung aller Patientinnen und Patienten in Zukunft Standard sein und bald in die Regelversorgung überführt werden