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Online-Training für psychische Gesundheit

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In Deutschland gibt es jährlich schätzungsweise vier Millionen behandlungsbedürftige Depressionen. Nur rund 300.000 Menschen werden fachärztlich richtig behandelt. Immerhin 2,6 Mio. Menschen befinden sich in hausärztlicher Behandlung. Demnach sind also nur 7,5 Prozent richtig versorgt.

Wanderer in Bergen

Ist es die Angst, sich bei psychischen Problemen an einen Facharzt zu wenden? Aber selbst wenn dies kein Grund wäre, so erscheint eine Vollversorgung mit konventionellen Methoden nicht erreichbar. Die Wartezeiten auf einen Therapieplatz bewegen sich heutzutage üblicherweise zwischen vier bis neun Monaten.

Gemeinsam mit der Leuphana Universität Lüneburg hat die Barmer GEK ein in Deutschland neues Versorgungsprogramm entwickelt: Online-Trainings für psychische Gesundheit. Über vier Jahre wurden zwei Programme in wissenschaftlichen Studien erfolgreich evaluiert.

„GET.ON Fit im Stress“ ist ein Online-Training zur Stressbewältigung. Mittlerweile ist es das weltweit best-evaluierte Online Stressbewältigungstraining. Es wurde von der Zentralen Prüfstelle Prävention zertifiziert und erfüllt somit die Voraussetzungen zur Bezuschussung nach § 20 SGB V.

Das zweite Online-Training „GET.ON Stimmung“ ist das weltweit einzige Training, für das erfolgreich die Prävention von Depression nachgewiesen wurde. Auch dieses Training wird im Rahmen mehrerer groß angelegter Studien ausführlich evaluiert.

Wir sprachen mit Hanne Thiart (Diplompsychologin), Geschäftsführerin und Mitgründerin des GET.ON Instituts.

Hanne Thiart


Hanne Thiart, Foto: privat

Frau Thiart, Sie haben maßgeblich die Online-Trainingsprogramme entwickelt. Was war der Auslöser dafür?

Wir haben anfangs über den Tellerrand geschaut und uns an internationalen Vorbildern orientiert: an England, den Niederlanden und Schweden; Länder, in denen internetbasierte Gesundheitstrainings in die Versorgung integriert sind. Dann haben wir die Zusammenarbeit mit internationalen Experten (Prof. Heleen Riper und Prof. Pim Cuijpers) gesucht und in einem großen EU-geförderten Forschungsprojekt an der Uni Lüneburg umgesetzt.

Dieses Projekt ist so gut gelaufen, dass wir über 20 randomisiert-kontrollierte Studien durchgeführt haben. Dabei haben sich die von uns entwickelten Trainings als sehr wirksam erwiesen. Gegen Ende des Projektes wurde dann eine Ausgründung in das GET.ON Institut vorbereitet.

Beschreiben Sie uns kurz, was die Teilnehmer erwartet.

Es gibt zwei Trainings, eins für Stresssymptome und eins für Stimmungsproblematiken. In beiden gibt es jeweils zwei Hauptkomponenten: systematisches Problemlösen & Emotionsregulation (Training Stress) bzw. systematisches Problemlösen & Verhaltensaktivierung (Training Stimmung). Die Trainings haben das Ziel, Fähigkeiten zu verbessern, um Probleme lösen und mit schwierigen Gefühlen umgehen zu können.

In den fünf bis acht interaktiven Trainingseinheiten bekommen die Teilnehmer informative Texte, aussagekräftige Bilder, Audioübungen und Videos. Training heißt praktisch ausprobieren, einüben und den Fortschritt sehen. Dabei helfen Tagebücher, Reflektionen und Rückblicke zu Anfang jeder Einheit.

Werden die Teilnehmer begleitet?

Ja, die Teilnehmer werden von Experten begleitet. Am Anfang jeder Trainingseinheit werden in kurzen Videos entscheidende Zusammenhänge und die Wichtigkeit der Übungen erklärt. Trotzdem kann jeder trainieren wie es gefällt - es gibt drei verschiedene Möglichkeiten: Entweder mit intensiver Unterstützung durch einen persönlichen Coach, Coaching nur wenn es nötig ist oder ganz für sich allein.

Wie ist sichergestellt, dass das Training nachhaltig ist?

Der Fokus liegt klar auf einer Verhaltensänderung im Alltag. Die Teilnehmer werden intensiv dabei begleitet, Verhalten tatsächlich umzustellen. In jeder Lektion berichten sie von Erfolgen und Misserfolgen. Dabei können sie auch sehen, was „Leidensgenossen“ von ihren Erfahrungen, vom Scheitern, Neubeginnen und von ihren Erfolgen berichten. Bilder und Identifikationsfiguren spielen dabei ebenfalls eine ganz wichtige Rolle, denn sie ermöglichen eine stärkere emotionale Beteiligung, die für die Veränderungsprozesse wichtig ist und die Teilnehmer gleichzeitig motiviert.

Die Übungen werden über das ganze Training wiederholt. Mit konkreten Tagesplänen und dem Führen eines Tagebuchs wird es zusätzlich unterstützt. Alles wird in einem persönlichen virtuellen Trainingsraum abgelegt, so dass auf das Erarbeitete jederzeit zurückgegriffen werden kann. Der Zugang zum Training besteht für zwölf Monate.

Welche Ergebnisse/Erfolge sind bisher erzielt worden?

Seit dem Programmstart vor acht Monaten haben mehr als 800 Versicherte das Training durchgeführt und abgeschlossen. Schlafbeschwerden, depressive Beschwerden und Stressbeschwerden sind nachweislich stark zurückgegangen. Die Symptomverbesserungen in den eingesetzten standardisierten Fragebögen sind vergleichbar mit denen, die GET.ON in den vorgelagerten wissenschaftlichen randomisiert-kontrollierten Studien in Lüneburg gefunden hat.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Thiart. Das verdeutlicht auch sehr schön, was die Barmer GEK unter „Gesundheit weiter gedacht“ versteht.

Ergebnisse aus den Studien in Lüneburg:

Online-Training zur Stressbewältigung: Teilnehmende berichten auch ein Jahr nach Teilnahme von deutlich verringertem Stressempfinden, depressiven Beschwerden, weniger Fehltagen und verbesserter Produktivität am Arbeitsplatz. Zu Beginn stark gestresste Teilnehmer näherten sich nach 15 Wochen dem durchschnittlichen Stressniveau aller Arbeitnehmer an (Heber und andere, The Journal of the American Medical Association (JAMA) 2016; 315(17):1854-1863).

Online-Training Stimmung: Bei den Teilnehmenden ist auch ein Jahr nach Abschluss des Trainings eine deutliche Reduktion von Erschöpfungsbeschwerden festzustellen. Von den Probanden ohne Online-Training litt nach zwölf Monaten fast jeder Zweite an einer Depression. Unter den Teilnehmern, die dagegen das Online-Training einsetzten, traf dies nur auf gut jeden Dritten zu. Es beugt damit nachweislich der Ausprägung einer Depression vor (Buntrock und andere, JOURNAL OF MEDICAL INTERNET RESEARCH 2016 | vol. 18).

Hinweis: Eine Psychotherapie wird mit dem ProMind-Online-Training von der Barmer GEK nicht ausgeschlossen.

Fotos: GET.ON Institut GmbH und Privat

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