Dr. Dorle Gründewald-Funk, Projektleiterin der "Initiative ü6-gesund-essen-lernen"
STANDORTinfo für Berlin und Brandenburg

Interview – Gesund essen lernen

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Unter dem Namen „Initiative ü6-gesund-essen-lernen“ hat die Barmer Berlin/Brandenburg zum Beginn des Schuljahrs 2016/17 ein Modellprojekt für gesundheitsfördernde Ernährung und Ernährungsbildung in Berliner Schulhorten an Ganztagesschulen gestartet. Ziel ist es, Kinder für gesundheitsbewusstes Essen zu begeistern. Dabei werden neue pädagogische Konzepte entwickelt und Empfehlungen für die Mitarbeiter von Schulhorten erarbeitet. Die STANDORTinfo sprach mit der Projektleiterin Dr. Dorle Grünewald-Funk.

Frau Dr. Grünewald-Funk, wofür steht „Initiative ü6“?

Logo „Initiative ü6-gesund-essen-lernen“

Wir haben unser Projekt Initiative ü6 genannt, weil es uns um die Altersgruppe der über Sechs-Jährigen gehtIhre Betreuung und die gesundheitsförderliche Qualität von Ganztagseinrichtungen stehen nicht so stark in der Aufmerksamkeit wie die Betreuung von Kindern unter drei Jahren in Krippen oder Kindern in der Kita. Dies will die „Initiative ü6“ ändern, denn gerade der Übergang von der Kindertagesstätte in die Grundschule ist eine Phase in der Kinder ihr Bewegungs- und Essverhalten oft ändern und ihr Risiko, übergewichtig zu werden, steigt.

Wie eklatant ist das Problem übergewichtiger Grundschulkinder in Berlin?

Experten gehen davon aus, dass in Deutschland rund 15 Prozent der Kinder übergewichtig sind. Die Schuleingangsuntersuchungen in Berlin haben ergeben, dass im Jahr 2014 rund 9,1 Prozent der Erstklässler übergewichtig bis adipös waren. Übergewicht kann zu zahlreichen Erkrankungen führen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Problemen.

Welche Möglichkeiten gibt es im Hort, auf das Ernährungsverhalten der Kinder einzugehen?

Geschmack an gesunden Mahlzeiten entwickelt man nicht in der Theorie, sondern in der Praxis. In der Ergänzenden Förderung und Betreuung, wie Schulhorte in Berlin genannt werden, lässt sich beides bestens kombinieren. Die Kinder essen in Berliner Schulhorten zu Mittag und nehmen vielseitige pädagogische Angebote wahr. Was sie über Lebensmittel und deren Zubereitung lernen, können sie dort ausprobieren in dem sie selbst mit Lebensmitteln umgehen, sie probieren und kochen. Und wenn ihnen das im Schulhort Spaß macht, werden sie es auch zuhause tun. So soll die Initiative ü6-gesund-essen-lernen unter anderem eine Ausstrahlungskraft in die Elternhäuser hinein entwickeln.

Das klingt schlüssig. Aber warum brauchen Schulhorte ein Coaching?

Grundschulkinder werden zunehmend häufiger und länger in Schulhorten betreut, während ihre Eltern arbeiten. Lebensmitteleinkauf, Zubereitung von Mahlzeiten und Gespräche darüber haben Kinder früher in der Familie erlebt. Ganztagsgrundschulen mit ihren Horten übernehmen nun diese Aufgabe und betreten Neuland. Es bedarf deshalb neuer pädagogischer Konzepte und Unterstützung. Die Erzieher der Horte bekommen im Coaching der Initiative ü6-gesund-essen-lernen eine fachliche Begleitung, Instrumente und Schulungsmaterialen an die Hand, wie sie das Thema umsetzen können. Je nach Modul werden auch die Küchenkräfte im Hort, die Eltern und Lehrer in das Coaching miteinbezogen.

Kinder wollen meistens das essen, was ihnen schmeckt, egal ob es gesund ist oder nicht. Wie wollen Sie Kinder in diesem jungen Alter für gesundheitsfördernde Ernährung sensibilisieren?

Wissen Sie, Kinder sind von Natur aus neugierig und lassen sich für neue Ideen begeistern – gerade auch wenn es um Essen und Trinken geht. Die Initiative ü6 zielt deshalb darauf ab, dass Kinder die Vielfalt an Ess- und Trinkmöglichkeiten kennen lernen. Welche frischen Obst- und Gemüsesorten gibt es zu welcher Jahreszeit? Wie lassen sie sich zubereiten? Welche Nährstoffe stecken in ihnen? Was tut meinem Körper gut?

Geht die Initiative ü6 auch auf kulturelle Aspekte des Essens ein?

Ja. Die teilnehmenden Schulhorte betreuen Kinder mit unterschiedlicher kultureller und sozialer Herkunft. Darunter sind muslimische Kinder, die den Ramadan begehen und kein Schweinefleisch essen sowie Kinder aus osteuropäischen Ländern, die gerade viel Wert auf Koteletts und Schnitzel legen. Wir gehen auf diese unterschiedlichen Ernährungsweisen ein. So lernen die Kinder auch die Esskultur der Mitschüler kennen und können ein Verständnis füreinander entwickeln.

Nach welchen Kriterien haben Sie die teilnehmenden Schulhorte ausgewählt?

Die drei teilnehmenden Schulhorte der gss Schulpartner GmbH befinden sich in Spandau. Dort werden insgesamt 500 Schülerinnen und Schülern betreut und jährlich 106.600 Mittagessen angeboten. Die Horte sind von ihrer Schülerschaft und von ihrem Aufbau sehr unterschiedlich, so dass die „Initiative ü6-gesund-essen-lernen“ unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen erprobt wird. So werden Lösungen erarbeitet, die im Idealfall nach Abschluss des vierjährigen Modellprojekts von möglichst vielen Horten umgesetzt werden können.

Die Projektpartner der „Initiative ü6-gesund-essen-lernen“

Dr. oec. troph. Dorle Grünewald-Funk

Dr. oec. troph. Dorle Grünewald-Funk ist geschäftsführende Inhaberin des Unternehmens grünewald-funk | consulting | training | coaching. Das Unternehmen ist spezialisiert auf die Projektentwicklung und das Projektmanagement von Gesundheitsförderungsprojekten mit dem Schwerpunkt Ernährung. Dabei sind die ganzheitliche, partizipative Organisationsentwicklung und die Aus- und Fortbildung von Multiplikatoren die Stärken des Unternehmens. Dr. oec. troph. Dorle Grünewald-Funk ist Mitglied im wissenschaftlichen Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. und hat zahlreiche Gesundheitsförderungsprojekte begleitet unter anderem für den „Nationalen Aktionsplan IN FORM“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die Bertelsmann-Stiftung, das Kompetenzzentrum für Ernährung in Bayern und die Plattform Ernährung und Bewegung e. V..

gss Schulpartner GmbH

Die gss Schulpartner GmbH ist ein gemeinnütziger Freier Träger für schulbezogene Angebote und als Kooperationspartner für Ergänzende Förderung und Betreuung (EFöB) und Sozialarbeit an über 20 Schulen in Berlin aktiv. Die derzeit 72 Fachkräfte der Schulpartner GmbH entwickeln Gestaltungskonzepte für eine zeitgemäße Bildung und Erziehung am ganztägigen Lebens- und Lernort Schule und setzen sie mit Freude an der pädagogischen Arbeit um. Die Schulpartner GmbH kann auf mehr als zwölf Jahre Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Schulen zurückgreifen