Gesundheitspolitische Positionen der BARMER

Zukunftsfähiges Gesundheitswesen nach Corona

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Während der Corona-Krise stellt das deutsche Gesundheitswesen seine hohe Leistungsfähigkeit unter Beweis. Auch reagiert der Gesetzgeber zügig mit weitreichenden Maßnahmen auf die Herausforderungen. Im Zuge der Krise sind aber auch Probleme zu Tage getreten, die das deutsche Gesundheitswesen bereits seit Langem begleiten – etwa strukturelle Defizite in den Bereichen der stationären Versorgung oder der Digitalisierung. Sehr deutlich zeigt sich, wo die Stärken und Schwächen unseres Gesundheitssystems liegen und an welchen Stellen zukünftige Reformen ansetzen müssen. Nur wenn die Effizienzreserven im System gehoben werden, wird eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau auch dauerhaft bezahlbar bleiben.

Grundlage einer funktionierenden medizinischen Versorgung ist ein gut strukturiertes und vernetztes Gesundheitssystem. Die Basis dafür bilden flächendeckende ambulante Strukturen. Anders als in anderen europäischen Staaten kann in Deutschland während der Pandemie ein Großteil der COVID-19-Patientinnen und -Patienten ambulant – und besonders im hausärztlichen Bereich – versorgt werden, gleichzeitig stehen die Kapazitäten in den Krankenhäusern für schwer erkrankte Menschen zur Verfügung.

Die flächendeckende und wohnortnahe Primärversorgung durch Hausärztinnen und Hausärzte ist wesentlich für die Grundversorgung der Bevölkerung. Sie muss erhalten und gestärkt werden. Im Zusammenspiel mit einem ausdifferenzierten Angebot von niedergelassenen Fachärztinnen und -ärzten ist Deutschland auch in der Krise gut gewappnet.

Der technische Fortschritt erlaubt es, immer mehr medizinische Eingriffe aus dem stationären in den ambulanten Bereich zu verlagern. Dem sollte durch eine konsequente Ambulantisierung Rechnung getragen werden. Die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte müssen zudem bei der Weiterentwicklung sektorenübergreifender Versorgungsansätze stärker in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden, die ursprünglich den Krankenhäusern vorbehalten waren.

Besonders spezialisierte und maximal versorgende Krankenhäuser stellen die Behandlung von schwer erkrankten COVID-19-Patientinnen und -Patienten während der Corona-Pandemie sicher. Diese Erkenntnis ist wichtig für eine notwendige Strukturreform im Krankenhausbereich:

Noch immer gibt es in Deutschland zu viele kleine Krankenhäuser, die häufig nicht über die erforderliche personelle und apparative Ausstattung sowie die ausreichende Routine verfügen, um lebensbedrohliche Notfälle wie einen Schlaganfall adäquat behandeln zu können. Die hohe Krankenhausdichte führt ferner dazu, dass zu viele Kliniken um geringe personelle und begrenzte finanzielle Ressourcen konkurrieren und einer medizinisch nicht gewollten Mengenausweitung Vorschub geleistet wird.

Notwendig ist deshalb eine grundlegende Strukturreform im Krankenhausbereich. Hierbei sollte die Konzentration stationärer Leistungen im Vordergrund stehen. Das Ziel ist dabei jedoch nicht die Schließung einzelner Krankenhaus-Standorte, sondern die Weiterentwicklung zu intersektoralen Gesundheitszentren.

Mit der Corona-Krise hat die Digitalisierung des Gesundheitswesens einen enormen Schub erfahren. Es wird aber auch deutlich, dass ein noch stärkerer Ausbau der Digitalisierung notwendig ist. Digitale Angebote werden zur DNA eines zukunftsorientierten Gesundheitswesens, welches die technischen Möglichkeiten zur Verbesserung der Versorgung annimmt und weiterentwickelt. Die elektronische Patientenakte spielt dabei eine zentrale Rolle: Zum einen trägt sie dazu bei, die Versorgung besser zu koordinieren, zum anderen liefert sie wichtige Datengrundlagen für die Versorgungsforschung und die Versorgungsplanung.

Das Interesse an digitalen Gesundheitsanwendungen ist deutlich gewachsen – Gesundheits-Apps können durch Ärztinnen und Ärzte verordnet und durch Krankenkassen angeboten werden. Versicherte sowie Ärztinnen und Ärzte erwarten hier zu Recht eine Beratung auch durch die gesetzlichen Krankenkassen.

Daneben werden immer mehr Videosprechstunden von Patientinnen und Patienten nachgefragt und von Ärztinnen und Ärzten angeboten. Damit Versicherte und Leistungserbringer die digitalen Möglichkeiten nutzen können, muss der Ausbau des Breitbandnetzes in Deutschland beschleunigt werden. Davon hängt auch die künftige Akzeptanz und Nutzung von digitalen Versorgungsangeboten wie Telemedizinprojekten ab. Der Ausbau ist auch für den flächendeckenden Einsatz der Telematikinfrastruktur in dünn besiedelten Regionen essentiell wichtig.

Mit Beginn der Corona-Krise ist die Bedeutung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) als eigene Säule des Gesundheitswesens sehr deutlich geworden. Bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie nehmen die Gesundheitsämter eine zentrale Rolle ein, trotz jahrelanger Unterfinanzierung und massiven Personalmangels in den Bundesländern. Dass Bund und Länder den Öffentlichen Gesundheitsdienst stärken, ist richtig. In Krisensituationen wie einer pandemischen Lage ist es notwendig, eine intensivere Abstimmung zwischen Bund und Ländern zu etablieren, damit schnell und einheitlich gehandelt wird. Neben dem personellen und finanziellen Ausbau der Gesundheitsämter muss weiter für eine bessere technische Ausstattung gesorgt werden. Ärztlichem Personal muss die Entscheidung für eine Tätigkeit beim ÖGD erleichtert werden. Deshalb muss die Höhe der ärztlichen Gehälter an andere Bereiche des Gesundheitswesens angepasst werden. Dabei handelt es sich um Aufgaben der Daseinsvorsorge, die vollständig aus Steuermitteln finanziert werden müssen.