Zwei Menschen gehen aufeinander zu
Coronavirus

Wie Pandemien entstehen und was sie aufhalten kann

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Redaktion

  • Barmer Internetredaktion

Qualitätssicherung

  • Dr. med. Ursula Marschall (Fachärztin für Anästhesie)

Es ist schon ein bisschen verrückt: In China bricht ein neues Virus aus und ein paar Wochen später sind Zehntausende Menschen in Deutschland damit infiziert. Aber wie verbreitet sich ein Virus eigentlich rund um den Globus und warum ging es bei SARS-CoV-2 so schnell? Welche Mechanismen beeinflussen die Ausbreitung einer Pandemie? Und wie lässt sich die Verbreitung der Erreger und der Infektionen stoppen oder zumindest verlangsamen?

Wann genau sich der erste Mensch mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 infizierte, ist unklar. War es im November vergangenen Jahres, im Oktober oder sogar schon im September? Öffentlich wurden die ersten Fälle im Dezember, aber da waren in der chinesischen Provinz Hubei wohl schon einige Dutzend Menschen infiziert. Am 13. Januar wurde in Thailand der erste Fall außerhalb Chinas bestätigt, zehn Tage später gab es in den USA den ersten Infizierten außerhalb Asiens. Es dauerte nur wenige Wochen, bis die Infektionskrankheit COVID-19 viele weitere Länder erfasste und Infektionen mit dem neuartigen Erreger letztlich weltweit verbreitet waren.

Was ist eine Pandemie?

Vor einer Pandemie steht eine Epidemie. Von einer Epidemie sprechen Epidemiologen, wenn sich immer mehr Menschen in einer Region mit einem Virus anstecken. Die Epidemie ist nicht zwangsläufig an ein Land gebunden, aber an ein abgrenzbares Gebiet. So wie beim aktuellen Ausbruch, als das Virus fast ausschließlich in der chinesischen Provinz Hubei und in China auftrat.

Ist ein Virus so ansteckend, dass es sich über die Ursprungsregion hinaus ausbreitet, wird aus der Epidemie eine Pandemie. Wann dieser Übergang genau stattfindet, ist meist schwer zu sagen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO definiert den Begriff daher auch relativ locker: „Eine Pandemie ist die weltweite Ausbreitung einer neuen Krankheit.“ Am 11. März 2020 stufte sie die Krankheit COVID-19 als Pandemie ein. Zu diesem Zeitpunkt waren mehr als 118.000 Menschen in über 110 Ländern betroffen.
Eine Grippe-Pandemie läuft laut Definition der WHO in vier verschiedenen Phasen ab:

  • Die interpandemische Phase: Zeitraum zwischen Grippe-Pandemien
  • Die Alarm-Phase: Erste Erkrankungen eines neuen Virus treten beim Menschen auf
  • Die pandemische Phase: globale Ausbreitung des Virus
  • Die Übergangs-Phase: Entspannung der Lage, Gegen-Maßnahmen werden abgebaut

Wie kann eine Infektionskrankheit sich weltweit ausbreiten?

Der vorherrschende Übertragungsweg vieler Viren ist der Kontakt zwischen Menschen. Mit zunehmender Globalisierung und steigender Mobilität geht das heute immer schneller. „Früher hat sich ein Virus von Dorf zu Dorf ausgebreitet“, erklärt Rafael Mikolajczyk, Direktor des Instituts für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. „Heute beschleunigt die große Mobilität, die wir haben, die Prozesse enorm. Vor allem die vielen Flugreisen spielen dabei eine große Rolle.“

Ein weiterer Grund: Ein neues Virus verbreitet sich schneller als ein bereits bekanntes. Wurde das menschliche Immunsystem nämlich schon einmal mit einem Erreger konfrontiert, bildet es Antikörper gegen diesen. Sie schützen den Menschen vor einer Neuansteckung mit der Infektionskrankheit. Je neuer ein Virus jedoch ist, desto weniger Menschen haben bereits Antikörper. Der potenziell ansteckbare Personenkreis ist damit umso größer. Zudem gibt es bei unbekannten Viren noch keine Impfung, mit der sich die Bevölkerung prophylaktisch immunisieren kann.

Weil jeder Infizierte oft mehr als eine andere Person ansteckt, steigen die Fallzahlen bei Virus-Pandemien exponentiell an. So wurden aus ein paar Dutzend Corona-Infizierten gegen Ende des Jahres 2019 binnen weniger Monate über 100.000 Fälle weltweit. Die Geschwindigkeit, mit der sich eine Pandemie ausbreitet, messen Virologen und Epidemiologen mit der sogenannten Verdopplungszeit. Das ist die Zeitspanne, in der sich die Zahl der Infizierten in der Gesellschaft verdoppelt. In Deutschland betrug die Verdopplungszeit für COVID-19 Mitte März 2,3 Tage, Ende März lag sie bereits bei vier bis fünf Tagen. Eine positive Tendenz, denn der Anstieg legt nahe, dass die Maßnahmen wirken, mit denen die Ausbreitung des Virus verlangsamt werden soll.

Welche Mechanismen beeinflussen die Ausbreitung einer großen Pandemie?

Die Viren siedeln sich in einem Organismus an und vermehren sich – das Coronavirus tut das beim Menschen in den oberen oder unteren Atemwegen. Beim Niesen oder Husten, aber auch schon beim Sprechen, gelangen die Viren über kleinste Speichel-Tröpfchen aus dem Nasen- und Rachenraum der Infizierten in die Luft. Atmen andere Personen sie ein, können sie sich anstecken. Wenn Infizierte husten und sich dabei die Hand vor den Mund halten, gelangen die Viren auf die Handoberflächen. Schütteln wir dann anderen Menschen zur Begrüßung die Hand und fassen uns nachfolgend mit der Hand ins Gesicht, ist der Virus übertragen. Besonders Raucher sind hier gefährdet, denn sie fassen sich noch häufiger als andere Menschen ins Gesicht.

Auch auf Oberflächen können manche Viren eine Zeit lang überleben. Erste Studien zeigen, dass das auch für das derzeit verbreitete Coronavirus gilt. In einem Labor-Versuch konnten Forscher zeigen, dass das Virus nach einer starken Kontamination bis zu vier Stunden auf Kupfer und bis zu 24 Stunden auf Karton aktiv blieb. Auf Edelstahl und Plastik blieben die Viren sogar zwei bis drei Tage lang infektiös. Virologen bezweifeln aber, dass diese Zeiten auch unter realen Umweltbedingungen erreicht werden, denn Faktoren wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit oder UV-Strahlung könnten die Viren schneller absterben lassen.

Ob sich ein Virus nun hauptsächlich beim Händeschütteln oder Küssen ausbreitet, wenn jemand im Bus niest oder im Fußballstadion laut schreit, kann kaum nachverfolgt werden. „Es ist schwierig zu sagen, welcher dieser Verbreitungswege vorherrschend ist“, sagt Rafael Mikolajczyk. Die Bedeutung der verschiedenen Übertragungswege ändere sich auch, je nachdem welche Gegenmaßnahmen Regierungen gegen die pandemische Ausbreitung träfen. „Am Anfang verbreitet sich das Virus vielleicht beim Händeschütteln, dann halten die Leute Abstand und waschen ihre Hände“, so der Epidemiologe. „Plötzlich spielt die Oberflächenübertragung eine größere Rolle.“

Warum es beim aktuellen Coronavirus so kompliziert ist, die Verbreitung zu bremsen

Epidemiologen unterscheiden die infektiöse Zeit – in der Erkrankte ansteckend sind – und die symptomatische Zeit – in der Betroffene Symptome erleben. „Die infektiöse Zeit kann dabei auch vor der symptomatischen Zeit beginnen“, erklärt Mikolajczyk. Infizierte Personen fühlen sich gesund und merken gar nicht, dass sie einen gefährlichen Keim mit sich herumtragen.

Je früher die infektiöse vor der symptomatischen Zeit beginnt, desto schwerer ist eine Ausbreitung zu verhindern, sagt Mikolajczyk. Das erkläre auch, warum das jetzige Coronavirus sich schneller verbreite als das SARS-Virus im Jahr 2003. „Beim SARS-Virus waren die Personen erst dann ansteckend, wenn sie auch Symptome hatten. So konnte man den Ausbruch leichter stoppen“, so Mikolajczyk. Wie ansteckend COVID-19-Erkrankte in der Frühphase sind und welche Rolle dies bei der Verbreitung spielt, können die Experten im Moment noch nicht genau sagen.

Gerade zu Beginn einer Epidemie ist die Zeitspanne zwischen Infektion und Symptom entscheidend: Denn die Menschen sind nicht vorgewarnt. „Wer nicht mit einer Erkrankung rechnet, ignoriert gerne mal leichtere Symptome. Er geht mit einem kleinen Schnupfen noch zur Arbeit“, sagt Mikolajczyk. Und verbreitet so eventuell das Virus. Mittlerweile passiert das seltener: Die Menschen sind sensibilisiert und bemerken Symptome schneller. Auch lassen sich Betroffene schneller testen. „Dadurch reduziert sich die Übertragungszeit“, sagt Mikolajczyk.

Mit welchen Maßnahmen lässt sich eine Pandemie wieder stoppen oder verlangsamen?

Ist ein neues Virus erstmal in der Welt, bemühen sich Weltgesundheitsorganisation (WHO), nationale Gesundheitsbehörden und Regierungen, seine Verbreitung aufzuhalten. Sie entwickeln spezielle Pandemie-Pläne, in denen verschiedene Maßnahmen gegen die Ausbreitung der Krankheit aufgelistet werden: pharmakologische und nichtpharmakologische Maßnahmen, also Maßnahmen mit und ohne Medikamenten.

Wie lässt sich die Krankheit COVID-19 mit Medikamenten behandeln?

Im Augenblick gibt es weder Medikamente, noch eine für alle verfügbare Impfung, die gegen COVID-19 eingesetzt werden können. Aber weltweit forschen viele Arbeitsgruppen an unterschiedlichen Ansätzen. Dabei werden auch bekannte Medikamente untersucht, ob sie vielleicht auch bei den neuen Viren wirksam sein könnten. „Wird im Verlauf einer Pandemie eine Therapie entdeckt, hilft diese nicht unbedingt gegen die weitere Ausbreitung“, sagt der Epidemiologe Rafael Mikolajczyk. Dennoch ist es ein enormer Fortschritt, wenn Infizierte und Erkrankte behandelt werden können. „Am wichtigsten ist aber: Wir könnten die Epidemie unkontrolliert ablaufen lassen und hätten trotzdem weniger Todesfälle.“

Anders sieht es mit der Impfung aus: Ist eine solche erstmal gefunden und in ausreichenden Mengen produziert, kann das die weitere Ausbreitung in kürzester Zeit aufhalten. „Erst die Impfung ist die Maßnahme, die das Problem beheben wird“, so Mikolajczyk.

Wie lässt sich die Verbreitung des neuartigen Coronavirus auch ohne Medikamente und Impfungen stoppen?

Bis jedoch eine Impfung – oder auch eine Therapie – gefunden beziehungsweise flächendeckend verfügbar ist, sind es die nichtpharmakologischen Maßnahmen, mit denen der Ausbreitung einer Pandemie begegnet werden kann. Welche Maßnahmen eine Gesellschaft ergreifen kann, um eine Pandemie zu stoppen oder zu verlangsamen, das ist hierzulande etwa im Nationalen Pandemieplan des Robert Koch Instituts festgehalten. Erwiesenermaßen hilfreich sind unter anderem demnach:

  • Hände waschen (mit Seife)
  • professionelle Masken für Krankenhaus- und Praxispersonal
  • die Isolation von Erkrankten
  • Quarantäne von Kontaktpersonen der Erkrankten
  • Absagen von öffentlichen Versammlungen und Massenveranstaltungen
  • Schließung von Schulen und Kindergärten
  • Grenzschließungen werden laut Pandemieplan „generell nicht als sinnvoll angesehen“

Ohne Gegenmaßnahmen würden sich etwa 80 Prozent der Bevölkerung in den nächsten Monaten mit dem Virus infizieren. Das sind die Ergebnisse einer Computersimulation, in der Forscher des Imperial Colleges London verschiedene Verlaufsszenarien von COVID-19 in Großbritannien und den USA durchspielten und die sie Mitte März veröffentlichten. Durch eine Kombination von intensiver Fall-Aufklärung, Quarantäne, Schul- und Unischließungen und Social Distancing könnten die Fallzahlen aber über einen längeren Zeitraum verteilt werden, um so das Gesundheitssystem zu entlasten.

Das Wichtigste bei allen dieser Maßnahmen sei jedoch die Umsetzung, sagt Epidemiologe Mikolajczyk. Wenn die Schulen geschlossen würden und sich die Kinder am Nachmittag trotzdem zum Spielen träfen, hebele das den Effekt aus. „Nur wenn sich die Menschen auch daran halten, können die Maßnahmen wirken“, so Mikolajczyk.