- Depressionen und Ängste
- TelefonSeelsorge
- Petra Schimmel, Pressesprecherin TelefonSeelsorge
- Weitere Anlaufstellen bei Fragen zu Depressionen:
- Einsamkeit unter Senioren
- Silbernetz
- Elke Schilling, Vorsitzende des Vereins Silbernetz e.V.
- Kinder und Familien
- Nummer gegen Kummer
- Nina Pirk, Fachberaterin Kinderschutz im Internet
- Suchtprobleme
- Kreuzbund
- Gunhild Ahmann, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei Kreuzbund
- Weitere Anlaufstellen bei Fragen zu Sucht:
- Gewalt gegen Frauen
- Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“
- Antje Mäder, Pressesprecherin des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben
Das neuartige Coronavirus bedeutet nicht nur Infektionsrisiko. Kontaktverbote und Isolation zu Hause können zur Gefahr für die Psyche werden. Viele Organisationen und Verbände dienen in dieser Situation als Anlaufstelle und bieten sinnvolle Hilfestellungen an, für psychisch erkrankte Menschen, Senioren und Familien. Mit fünf von ihnen haben wir gesprochen.
„Und auch darauf wird es ankommen“, mahnte Bundeskanzlerin Angela Merkel in ihrer Ansprache an die Nation im März 2020 an, „niemanden allein zu lassen, sich um die zu kümmern, die Zuversicht und Zuspruch brauchen“. Dass die „neue Normalität“ der Coronakrise, von der hier die Rede war, auch Opfer worden würde, die nichts direkt mit dem Coronavirus zu tun haben würde, wurde schnell deutlich: Kontaktverbote und Isolation in den eigenen vier Wänden verlangen jedem Menschen viel ab. Menschen mit psychischen und Suchtproblemen oder einem Zuhause, in dem Gewalt auf sie wartet, umso mehr.
Beziffern lassen sich diese Begleitschäden der Coronakrise noch nicht, weil die Daten fehlen. Prognosen sind auch deswegen so schwierig, weil Menschen, die unter Einsamkeit leiden, in der öffentlichen Wahrnehmung kaum eine Stimme haben. Umso wichtiger ist es, sich Hilfe zu holen, wenn die Situation ausweglos oder bedrohlich erscheint. Es tut gut, über Probleme zu sprechen. Dies gilt für Coronazeiten genauso wie sonst auch.
Wir haben mit fünf Anlaufstellen gesprochen, die es in den vergangenen Wochen geschafft haben, weiterhin ansprechbar zu bleiben und ein offenes Ohr für verschiedene Probleme anzubieten.
Depressionen und Ängste
Wer ohnehin psychisch labil ist, den kann die Krise einer Pandemie umso härter treffen. Feste Strukturen und soziale Kontakte, die ansonsten Halt und Struktur geben, fallen plötzlich weg.
TelefonSeelsorge
Beratungsangebot in psychischen Krisen per Telefon, E-Mail und Chat
Motto: „Jeder braucht mal Hilfe. Wir sind für dich da.“
Träger: Evangelische Kirche und Katholische Kirche
Mitarbeiter: rund 6.000 ehrenamtliche qualifizierte Beraterinnen und Berater
Angebot: jährlich mehr als 1,5 Millionen Telefongespräche rund um die Uhr sowie die App „KrisenKompass“ zur Suizidprävention
Kontakt: 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 sowie www.telefonseelsorge.de
Petra Schimmel, Pressesprecherin TelefonSeelsorge
Was war bei ihren Anrufern zuerst da, die Coronakrise oder das psychische Problem?
Sicherlich löst die Gefahr für die Gesundheit, die direkt vom Coronavirus ausgeht, Ängste aus. Das Virus selbst ist aber meistens gar nicht so sehr das Problem unserer Anrufer. Eher sind es die Verunsicherung und Isolation, die mit Kontaktbeschränkungen einhergehen und Gefühle verstärken, die vorher bereits da waren. Die häufigsten Gründe, uns anzurufen, sind Suizidgedanken und Depressionen, Ängste und Einsamkeit.
Lässt sich das beziffern?
Vor der Krise hatten wir im Durchschnitt rund 2.500 Gespräche pro Tag. In den vergangenen Wochen waren es bis zu 3.500 Anrufe. Unsere Schichten waren teilweise doppelt besetzt. Sobald die Kontaktverbote zurückgefahren wurden, ging auch die Anzahl der Anrufe wieder zurück. Es scheint hier also einen direkten Zusammenhang zu geben. Während dieser Zeit hat uns vor allem erschreckt, dass sich deutlich mehr junge Menschen mit selbstverletzendem Verhalten als normalerweise bei uns gemeldet haben.
Bedeutet dieser Anstieg, dass Menschen in dieser Krise tatsächlich verstärkt Hilfe in Anspruch nehmen – oder dass andere Anlaufstellen ausgefallen sind?
Beides ist vermutlich richtig. Tatsächlich waren die Praxen vieler Psychiater und Psychotherapeuten zeitweise geschlossen. Auch in solchen Ausnahmesituationen sind wir rund um die Uhr ansprechbar. Wir können aber keine Therapie anbieten, wir können nur an geeignete Stellen weitervermitteln. Den meisten Anrufern tut es gut, wenn man ihnen zuhört und versucht, ihre scheinbar ausweglose Situation zu verstehen. Daraus ergeben sich häufig Lösungsansätze. Zur Not wählen wir, wenn es um suizidale Absichten geht, mit dem Einverständnis des Anrufers den Notruf.
Psychische Gesundheit - die Leistungen der Barmer:
Für eine notwendige psychotherapeutische Behandlung übernimmt die Barmer die Kosten. Bei Kindern wie bei Erwachsenen. Voraussetzung ist, dass der gewählte Psychotherapeut oder psychotherapeutisch tätige Arzt eine Kassenzulassung hat. Wer unter einer Depression, Ess-, Angst- oder Zwangsstörung leidet, kann außerdem MindDoc, die Psychotherapie per Video-Chat, kostenlos nutzen.
Weitere Anlaufstellen bei Fragen zu Depressionen:
- SeeleFon: Bundesweite Information und Hilfe durch Telefon- und E-Mail-Beratung
- Deutschen DepressionsLiga e.V.: E-Mail-Beratung
Einsamkeit unter Senioren
Das Coronavirus verunsichert viele ältere Menschen, die zur Risikogruppe gehören. Kontaktverbote erhöhen daneben das Gefühl von Einsamkeit und Isolation.
Silbernetz
Hotline mit einem offenen Ohr
Motto: „Gemeinsam gegen Einsamkeit im Alter“
Träger: Silbernetz e.V., in Kooperation mit dem Humanistischen Verband Berlin-Brandenburg
Mitarbeiter: 16 festangestellte und mehr als 50 ehrenamtliche ausgebildete Mitarbeiter
Angebot: seit März 2020 deutschlandweit, kostenlos und täglich von 08:00 bis 22:00 Uhr
Kontakt: 0800 – 470 80 90 sowie www.silbernetz.org
Elke Schilling, Vorsitzende des Vereins Silbernetz e.V.
Wie können Sie Ihren Anrufern helfen?
Wir hören zu und wir teilen Ängste und Sorgen. Mehr als ein offenes Ohr braucht es häufig gar nicht.
Die Einsamkeit und das Gefühl der Isolation hat sich bei vielen älteren Menschen durch die Coronakrise noch einmal dadurch verschärft, dass die noch bestehenden Kontakte zu Pflegern oder Nachbarn plötzlich weggefallen sind. Wir bieten ein echtes Gespräch an, das so viel erfüllender ist als der dauerlaufende Fernseher zu Hause. Den Satz „Nicht schon wieder diese Geschichte …“ werden Sie von uns jedenfalls nicht hören.
Hat sich in der Coronakrise der Durchschnittsanrufer verändert?
Es gibt nun zwei Gruppen: Menschen, die auch vor der Krise schon einsam waren, und Menschen, für die diese Erfahrung relativ neu ist – dadurch aber nicht weniger ernst zu nehmen ist. Erstaunlicherweise ist das Durchschnittsalter in den vergangenen Wochen um etwa zehn Jahre gesunken. Daneben waren vorher zehn Prozent unserer Anrufer männlich – auf einmal waren es rund 30 Prozent. Hier bewegt sich etwas.
Hier klingt Optimismus durch …
Ja, wir haben festgestellt, dass Einsamkeit durch Corona plötzlich etwas Normales geworden ist, was viele Menschen erlebt haben. Über Einsamkeit kann man sprechen, man kann sie zugeben und muss sie nicht tabuisieren.
Lesetipp: Das Barmer Themen-Special Psychische Gesundheit geht uns alle an
Kinder und Familien
Wenn Spielplätze, Jugendzentren, Kindergärten und Schulen geschlossen sind, rückt die Familie zwangsläufig noch enger zusammen. Bei Konflikten ist es gut, wenn Kinder und Eltern eine Anlaufstelle haben, um Probleme zu besprechen.
Nummer gegen Kummer
Kinder- und Jugendtelefon sowie Elterntelefon
Motto: „Allein mit deinen Problemen? Darüber reden hilft!“
Träger: Nummer gegen Kummer e.V.
Mitarbeiter: mehr als 3.000 qualifizierte ehrenamtliche Beraterinnen und Berater
Angebot: kostenlose und anonyme Beratung per Telefon und online
Nummer gegen Kummer: 116 111 (Montag bis Samstag von 14:00 bis 20:00 Uhr sowie Montag, Mittwoch und Donnerstag von 10:00 bis 12:00 Uhr) sowie per E-Mail und Chat unter www.nummergegenkummer.de
Elterntelefon: 0800 – 111 0 550 (Montag bis Freitag von 09:00 bis 17:00 Uhr sowie Dienstag und Donnerstag von 17:00 bis 19:00 Uhr)
Nina Pirk, Fachberaterin Kinderschutz im Internet
Per Chat haben Ihnen im vergangenen März 26 Prozent mehr Kinder und Jugendliche geschrieben als einen Monat zuvor. Hat Sie dieser Ansturm überrascht?
Nein. Wenn gewohnte Strukturen wegfallen und Familien plötzlich rund um die Uhr sehr eng zusammenleben müssen, ist zu erwarten, dass Konflikte schneller eskalieren. Deswegen haben wir auch die Zeiten erweitert, zu denen wir erreichbar sind. Überrascht hat uns, wie stark die Nachfrage beim Elterntelefon angestiegen ist.
Melden sich bei Ihnen aktuell vor allem Kinder und Eltern, die vor der Coronakrise bereits Probleme hatten? Oder haben sich ganz neue Themen ergeben?
Beides gibt es, ist für uns aber gar nicht so relevant. Familien waren in der letzten Zeit sehr gefordert. Häufig mussten sie Homeoffice und Homeschooling unter einen Hut bringen, die Kinder neben der Arbeit betreuen. Gleichzeitig haben sie Zukunftsängste, zum Beispiel vor Jobverlust. In einigen Familien gibt es Suchtprobleme oder Erfahrungen mit Gewalt. All das kann eskalieren, wenn Kinder kaum noch Erlebnisräume außerhalb der Familie haben. Auch Langeweile ist ein großes Thema von Heranwachsenden.
Welche Hilfe können Sie anbieten, wenn andere Anlaufstellen nicht erreichbar sind?
Dass sie aktuell keine Ansprechpartner in Jugendzentren oder in der Schule haben, vermissen viele Jugendliche und Kinder. Auch dass sie ihre Freunde nicht wie gewohnt sehen können, kann durch digitale Kontakte nicht aufgefangen werden. Dann können wir ein vertraulicher, ruhiger und anonymer Gesprächspartner sein und Unterstützung anbieten, indem wir zuhören, für sie da sind und Raum für Gefühle geben. Im Gespräch ergeben sich häufig ganz neue Ansätze, wie sich Familien wieder zusammenraufen und ihr Chaos ordnen können.
Lesetipp: Das Barmer Themen-Special Kinder gesund großziehen
Suchtprobleme
Seit Beginn der Coronakrise verkauft der Einzelhandel mehr Alkohol als zuvor. Existenzängste, soziale Isolation, Überforderung im Homeoffice und in der Kinderbetreuung können den Einstieg in die Spirale der Abhängigkeit von Alkohol, Medikamenten oder Drogen bedeuten.
Kreuzbund
Mehr als 1.300 Selbsthilfegruppen für Suchtkranke und ihre Angehörigen
Motto: „Offen(er) leben“
Träger: Deutscher Caritas-Verband
Mitglieder: mehr als 11.000 Verbandsmitglieder
Angebot: wöchentlich stattfindende Gruppentreffen und Online-Chat
Kontakt: Regionale Gruppen finden Sie unter www.kreuzbund.de
Gunhild Ahmann, Referentin für Öffentlichkeitsarbeit bei Kreuzbund
Warum belastet die Coronakrise Menschen mit Suchtproblemen besonders?
Zum einen haben viele Menschen neben der Abhängigkeit auch andere Erkrankungen wie Diabetes, COPD oder Bluthochdruck. Damit gehören Sie zur Corona-Risikogruppe. Vor allem aber brechen durch Kontaktbeschränkungen mühsam aufgebaute Strukturen im Alltag einfach weg. Einsamkeit und Leerlauf in den eigenen vier Wänden erhöhen das Risiko für einen Rückfall. Wir haben keine statistischen Daten, aber viele unserer Gruppenmitglieder haben uns in den vergangenen Wochen davon berichtet – selbst Menschen, die seit Jahren stabil und abstinent waren. Wenn in der Ausnahmesituation andere Bewältigungsstrategien nicht mehr greifen, suchen viele einen Ausweg in der vermeintlich wirksamen Selbstmedikation durch Alkohol, Medikamente oder Drogen. Auslöser ist nicht die Krise selbst, sondern tieferliegende Probleme oder Ängste und Depressionen. Diese kommen aber nun an die Oberfläche.
Haben Ihre Selbsthilfegruppen vermehrt Zulauf?
Wir bemerken in den vergangenen Wochen deutlich mehr Anfragen für regionale Treffen. Wegen der Kontaktbeschränkungen konnten Gruppentreffen aber lange Zeit nicht mehr stattfinden. Viele Mitglieder haben mit Videochats oder Whatsapp-Gruppen kreative Wege gefunden, im Austausch zu bleiben. Genau diese Kontinuität ist, was vielen Menschen mit Suchtproblemen Stabilität gibt. Zum Glück können nun erste Treffen wieder starten – natürlich unter den vorgegebenen Hygiene- und Abstandsregeln. Auch unser Online-Chat konnte einiges auffangen.
Wie geht es nun weiter?
Vielleicht hat die Ausnahmesituation aus Sicht unserer Selbsthilfegruppen den positiven Nebeneffekt, dass die Teilnehmer bemerken, wie wichtig diese Treffen für sie sind. Das motiviert, in Zukunft dabeizubleiben. Für viele gibt es keinen Ersatz für vertrauensvolle Gespräche von Angesicht zu Angesicht in der Gruppe. Das Internet kann einen nicht in den Arm nehmen. In Zukunft wollen wir digitale Angebote aber weiter ausbauen.
Für Barmer-Versicherte: Online-Training, die ein suchtfreies Leben unterstützen
Weitere Anlaufstellen bei Fragen zu Sucht:
- SoberGuides: Begleitung durch geschulte Ehrenamtliche aus der Sucht-Selbsthilfe
Gewalt gegen Frauen
Für viele Frauen sind die eignen vier Wänden kein Ort der Geborgenheit. Auf sie wartet dort Gewalt innerhalb der eigenen Familie – sei es körperlich oder psychisch.
Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“
Beratung per Telefon, E-Mail oder Chat in 17 Sprachen
Motto: „Gemeinsam finden wir Antworten“
Träger: Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben
Mitarbeiter: rund 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Angebot: Beratung rund um die Uhr, anonym und kostenlos
Kontakt: 08000 – 116 016 oder www.hilfetelefon.de
Antje Mäder, Pressesprecherin des Bundesamts für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben
Hat die häusliche Gewalt gegen Frauen im Zuge von Ausgangsbeschränkungen tatsächlich zugenommen?
Zuletzt haben wir etwa 20 Prozent mehr Anrufe erhalten als sonst. Diese Zahlen geben aber nur wieder, in welchem Ausmaß Frauen tatsächlich Kontakt zum Hilfetelefon aufnehmen oder trotz beengter Situation aufnehmen können – nicht aber, ob es tatsächlich zu einem Anstieg häuslicher Gewalt gekommen ist. Die Situation der vergangenen Wochen könnte aber natürlich hierzu geführt haben. Wegen dieser Enge in den eigenen vier Wänden ist es sinnvoll, dass wir neben dem telefonischen Angebot auch per E-Mail und Chat beraten.
Warum wenden sich nicht mehr Frauen an Stellen, die ihnen helfen können?
Das eigene Zuhause sollte eigentlich ein Ort sein, der Schutz und Geborgenheit vermittelt. Jede dritte Frau in Deutschland ist aber mindestens einmal in ihrem Leben von physischer oder sexueller Gewalt bedroht. Nur 20 Prozent von ihnen wenden sich an Beratungs- oder Unterstützungseinrichtungen. Weil sie kein Vertrauen haben, dass ihnen jemand glaubt, weil sie Angst haben oder weil sie sich schämen. Sich aus dieser Situation herauszulösen und Hilfe zu suchen, erfordert viel Mut.
Was hilft dann?
Erst einmal hilft es ungemein, sich mitteilen zu können. Gemeinsam wollen wir dann mit ihnen den Weg zu professionellen Einrichtungen vor Ort ebnen, zum Beispiel zu Frauenberatungsstellen oder Frauenhäusern. Viele Frauen haben schon eine recht genaue Vorstellung davon, was der nächste Schritt sein könnte, und wollen sich rückversichern, ob die eigene Vorgehensweise die richtige ist.