Illustration mehrerer Viren auf grünem Hintergrund
Coronavirus

Ist COVID-19 mit anderen Krankheiten vergleichbar?

Lesedauer unter 7 Minuten

Redaktion

  • Barmer Internetredaktion

Qualitätssicherung

  • Dr. med. Utta Petzold (Dermatologin, Allergologin, Phlebologin bei der Barmer)

Die vom aktuellen Coronavirus ausgelöste Krankheit COVID-19 hat Gemeinsamkeiten mit anderen Erkrankungen. Besonders häufig wird COVID-19 mit der Grippe verglichen, weil beide Erreger Atemwegssymptome auslösen können. Doch in wichtigen Punkten unterscheidet sich das Virus SARS-CoV-2 von anderen geläufigen Erregern. 


Die vom neuartigen Coronavirus ausgelöste Krankheit COVID-19 scheint einerseits etwas völlig Neues zu sein, andererseits erinnern die Symptome sehr an bekannte Krankheiten. Tatsächlich hat der aktuell grassierende Coronavirus viele Gemeinsamkeiten mit Grippeviren: Beide machen krank, beide befallen den Mund- und Rachenraum und manchmal die Lunge. Die Krankheiten, die die Viren auslösen, können sowohl sehr milde als auch ernsthaft verlaufen, beide Infektionen können tödlich sein. Zusätzlich gefährden beide Virenerkrankungen insbesondere immungeschwächte Personen, sehr oft sind alte Menschen von Komplikationen betroffen.

„Auch die Grippe ist keine harmlose Erkrankung“, sagt Andreas Podbielski, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene an der Universität Rostock. „Wir nehmen sie nur nicht als gefährlich wahr, weil wir sie schon lange kennen.“ Zudem gibt es gegen die Grippe jedes Jahr einen mehr oder weniger wirksamen Impfstoff. So hat jeder die Wahl, eine Erkrankung zu riskieren oder sich impfen zu lassen. Dies verschiebt die Verantwortung zum Einzelnen und verhindert ein Ohnmachtsgefühl, wie wir es derzeit bei der Corona-Pandemie erleben, weil noch nicht genügend Impfstoff für alle Impfwilligen verfügbar ist.

Dennoch sind die Unterschiede zwischen den Krankheiten von enormer Bedeutung und erklären, warum die Situation derzeit so anders ist als bei einer Grippewelle: Zunächst einmal ordnen Virologen beide Virentypen dem gleichen „Bereich“ zu, nämlich dem der sogenannten RNA-Viren. Doch bereits auf der nächsten Stufe gehören sie zu völlig unterschiedlichen „Stämmen“. Würde man die Einordnung der Virentypen mit denen in der Zoologie vergleichen, so wären Grippeviren und Coronaviren in etwa so verwandt wie Eichhörnchen mit Ameisen – die beiden sind sich also nicht besonders nah.

Corona steckt mehr Menschen an

So unterscheiden sich die beiden Virentypen zum Beispiel in der Ansteckungsrate: „Zwar werden sowohl Grippe- also auch Coronaviren über die Atemluft übertragen“, sagt der medizinische Mikrobiologe Podbielski. Das bedeutet, dass sich die Erreger in kleinen Flüssigkeitstropfen oder Atemnebel, dem sogenannten Aerosol, befinden, die Menschen beim Sprechen, Niesen oder Husten in die Luft befördern. „Doch das Coronavirus infiziert momentan effizienter und steckt mehr Menschen an als die Grippe. Vermutlich liegt die vergleichsweise höhere Ansteckungsrate durch Sars-CoV-2 in erster Linie an einer bisher nicht vorhandenen und auch jetzt noch rudimentären Immunität in der deutschen Bevölkerung.“

Dass sich trotz der vielen Abstands- und Hygieneregeln relativ viele Menschen mit dem neuartigen Corona-Virus infizieren, liegt vermutlich daran, dass sich die Coronaviren an einem für die Weiterverbreitung günstigen Ort im Körper vermehren: Selbst Erkrankte, die kaum unter Krankheitssymptomen leiden, weisen eine hohe Virendichte im oberen Rachenraum auf. „Und vom oberen Rachenraum ist der Weg zum nächsten Patienten kurz – anders als bei Grippeviren, die sich wahrscheinlich häufiger als bei SARS-CoV-2 im Flimmerepithel tiefer im Atemtrakt vermehren und von dort einen längeren Weg nach draußen antreten“, sagt Podbielski. Eine überraschende Einschränkung gibt Podbielski jedoch mit: „Alle Daten und Fakten zur Ansteckungsrate muss man mit einer gewissen Skepsis betrachten, denn wir haben inzwischen zur COVID-Verbreitung in Deutschland sehr viel bessere Daten, als dies für Influenza jemals der Fall war.“

Warum trifft uns Corona viel härter als SARS im Jahr 2003?

Diese hohe Virendichte im oberen Rachenraum unterscheidet das aktuelle Coronavirus SARS-CoV-2 auch von dem Virus SARS-CoV-1, das im Jahr 2003 eine Pandemie der Krankheit SARS – des Schweren Akuten Atemwegssyndroms – verursachte. „Die SARS-Welle lief sich schnell tot, sie kam in Deutschland gar nicht erst an“, berichtet der Mikrobiologe und Hygieniker. Das habe wohl auch daran gelegen, dass sich das Virus von 2003 nicht im oberen Rachenraum vermehrt habe, sondern weiter unten in der Lunge. „So konnte es nicht so stark verteilen, deutlich weniger Menschen steckten sich an“, sagt Podbielski. SARS-CoV-2 und SARS-CoV-1 sind beide Coronaviren und deshalb nah verwandt. Beide waren ursprünglich an andere Tierarten angepasst und sprangen auf den Menschen über. Doch das SARS-Virus von 2003 konnte sich offenbar nicht so gut an den menschlichen Körper anpassen. Viren können nur leben, wenn sie an ihre Wirtszellen andocken können, um Energie und Eiweiße daraus zu beziehen. Das Virus von 2003 schaffte diese Anpassungsleistung an menschliche Zellen weniger gut und war auch deshalb weniger ansteckend, vermutet Podbielski. All diese Unterschiede führten dazu, dass das erste Virus nicht zu einer ernsthaften Bedrohung in Deutschland wurde.

Bei COVID-19 schwere Krankheitsverläufe häufiger

Der Vergleich zur Grippe liegt also näher. Doch hier zeigt sich ein weiterer wichtiger Unterschied zum Coronavirus: Die Grippe kennen wir schon lange. „Zwar sind nur wenige vollständig immun, doch die meisten Menschen hierzulande sind schon einmal mit Grippeviren in Kontakt gekommen und haben eine Art Grundimmunität entwickelt“, erklärt Podbielski. Das führt dazu, dass die Symptome einer Grippeinfektion bei vielen Menschen nicht so heftig ausfallen wie bei einer gänzlich unbekannten Krankheit. Möglicherweise auch, weil unsere Körper noch keinerlei Abwehrmechanismen gegen SARS-CoV-2 entwickeln konnten, sei die Rate an schwer Erkrankten und beatmungspflichtigen Patienten bei COVID-19 deutlich höher als bei der Grippe. In einer Untersuchung des Robert-Koch-Instituts zum Krankheitsverlauf von Grippe- und COVID-19-Patienten zeigte sich, dass stationär behandelte Grippepatienten mit 14 Prozent seltener beatmet werden mussten als COVID-19-Patienten – hier lag der Prozentsatz bei 22. Die Erkrankten mussten außerdem deutlich länger beatmet werden als die Grippeinfizierten.

Lediglich die Risikogruppe für schwere Verläufe unterscheidet sich etwas: Influenza gefährdet besonders Kinder, Schwangere und Ältere. Beim Coronavirus sind Kinder und Schwangere meist nicht besonders schwer betroffen. Inwieweit Kinder bei der Verbreitung der Viren eine Rolle spielen, ist immer noch umstritten. Dadurch, dass Kinder seltener beziehungsweise milde Symptome entwickeln, werden sie nicht so häufig getestet und so die infizierten Kinder nicht immer erkannt. Wenn zukünftig SARS-CoV-2-Antigentests flächendeckender durchgeführt werden, könnte sich an diesem Bild etwas ändern.

COVID-19 ist tödlicher als Grippe

Lange konnten Experten über die sogenannte Infektionssterblichkeit von COVID-19 nichts sagen, weil es keine belastbaren wissenschaftlichen Zahlen gab. Die Infektionssterblichkeit bezeichnet den Anteil der Menschen, die mit dem Virus infiziert sind und daran versterben. Da nicht bei allen Infizierten die Infektion festgestellt werden kann, vermuteten Forscher eine hohe Dunkelziffer und konnten keine klare Aussage treffen. Am 11. Dezember veröffentlichte das Statistische Bundesamt jedoch eine Sonderauswertung der vorläufigen Sterbefallzahlen in Deutschland. Die Ergebnisse sind eindeutig: Im April lagen die Sterbefallzahlen deutlich über dem Durchschnitt der Vorjahre. Gleichzeitig war laut Robert-Koch-Institut ein Anstieg der Todesfälle zu beobachten, die mit dem Coronavirus in Zusammenhang stehen. Anfang Mai gingen die Sterbefallzahlen dann zurück. Im August gab es einen erneuten Anstieg – vermutlich wegen der Hitzeperiode. Seit der zweiten Oktoberhälfte steigen die Sterbefallzahlen wieder überdurchschnittlich an. Auf das gesamte Jahr bezogen sterben etwa acht Prozent mehr Menschen als in den Jahren 2016 bis 2019.

Therapien bei Grippe vorhanden

Gegen die Grippe hat die Menschheit bereits Waffen entwickelt: Impfungen und einige Medikamente. Eine Arzneistoffgruppe, die sogenannten Neuraminidasehemmer, können nach einem gesicherten Kontakt zu einem Grippeerkrankten zur Vorbeugung und grundsätzlich zur Behandlung der Influenza eingesetzt werden. Sie hemmen die Vermehrung von Viren und bekämpfen die Krankheit also in ihrer Ursache. Dadurch wird ein erwartbarer Ausbruch der Krankheit verhindert beziehungsweise die Krankheitsdauer verkürzt. Diese Stoffe wirken aber nicht bei Coronaviren. Auch für COVID-19 stehen mittlerweile Impfungen zur Verfügung. Zusätzlich nimmt das Wissen um die Krankheit zu und es werden immer mehr bereits bekannte Medikamente identifiziert, die einen positiven Effekt bei COVID-19 zeigen.

Corona-Symptome steigern sich langsam 

„Die Symptome entwickeln sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit“, sagt Podbielski. „Eine Grippe bringt den Infizierten mit klassischen Symptomen wie Gliederschmerzen und Schwächegefühlen schnell ins Bett.“ Menschen, die mit SARS-CoV-2 infiziert seien, registrierten die Symptome wie Husten und Fieber zunächst kaum. „Die Symptome steigern sich langsam, die Menschen merken oft erst nach Tagen, dass sie richtig krank sind.“ Kranke Menschen sind so länger aktiv und stecken deshalb auch andere eher an als bei einer Grippe.

Schutzmaßnahmen helfen – egal, gegen welches Virus

Zusammengefasst ist SARS-CoV-2 also ansteckender als die Grippe, verläuft schwerer und tötet mehr Menschen. Die Gesundheitssysteme sind auf eine so hohe Zahl schwer Erkrankter auf einen Schlag nicht ausgelegt. Deshalb versuchen die Behörden vieler Nationen, die Infektionszahl niedrig zu halten, damit weniger Menschen gleichzeitig behandelt werden müssen. Man spricht davon, die Infektionskurve „flach“ zu halten – „flatten the curve“. Auf lange Sicht sollen so alle Menschen die Therapie bekommen können, die sie benötigen.

Die Grippe und COVID-19--COVID--19 sind zwar sehr unterschiedlich. Doch in einem gleichen sie sich sehr: Die Art und Weise, wie sich die Krankheiten übertragen und wie wir uns vor ihnen schützen können. Wenn Menschen wegen des Coronavirus die Hygieneregeln AHA+L (Abstand halten, Hände waschen oder desinfizieren, Atemmaske tragen und Lüften) stärker beachten und die genannten Schutzmaßnahmen wie das Einschränken der persönlichen Kontakte für sich entdecken, dann wird sich das auch auf die Ansteckungsrate bei der Grippe auswirken – und in jedem Fall Leben retten. 

Literatur