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Gicht

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Gicht ist eine Stoffwechselstörung, die zu den entzündlich-rheumatischen Erkrankungen gehört. Ablagerungen von Harnsäurekristallen können, wenn sie unbehandelt bleiben, zu Langzeitschäden an Gelenken und Nieren führen.

Was ist Gicht?

In Deutschland leiden etwa 1,6 Millionen Menschen an Gicht. Sie ist daher eine der häufigsten Stoffwechselerkrankungen in den Industrieländern. Gicht wird durch eine erhöhte Konzentration von Harnsäure im Blut (Hyperurikämie) ausgelöst. In den meisten Fällen ist eine angeborene Störung der Harnausscheidung dafür verantwortlich.

Zu Beschwerden kommt es allerdings erst, wenn sich dieses Überangebot in Form nadelförmiger Kristalle in Gelenken, verschiedenen Organen und Geweben absetzt, wo sie entzündliche Reaktionen auslösen können. Diese führen zu den typischen wiederkehrenden Gichtattacken mit rheumatischen Beschwerden, die meist das Grundgelenk des großen Zehs betreffen. Dieses ist dann stark gerötet, geschwollen und extrem schmerzempfindlich.

Bei einem Großteil der Betroffenen klingen die Beschwerden zwar innerhalb weniger Tage bis Wochen ab. Ein Fortschreiten der Erkrankung lässt sich allerdings nur durch eine dauerhafte Normalisierung des Harnsäurespiegels verhindern. Die richtige Ernährung, eine gesunde Lebensweise und Medikamente helfen, die Harnsäurewerte zu senken, Gichtattacken vorzubeugen und langfristige Komplikationen wie Gelenkschäden, Nierensteine und Nierenschäden zu vermeiden.

Welche Ursachen hat die Gicht?

Die Harnsäuremenge steigt an, wenn ein Ungleichgewicht zwischen Bildung und Ausscheidung von Harnsäure über die Niere besteht. Je ausgeprägter und je länger diese Hyperurikämie besteht, desto wahrscheinlicher kommt es zu einer Gicht.

Harnsäure entsteht als Endprodukt des Abbaus von Purinen. Diese werden zum einen mit der Nahrung aufgenommen. Zum anderen sind Purine ein normaler Baustein von Körperzellen und fallen deshalb auch während des Zellstoffwechsels an, das heißt, sie werden beim Abbau oder Zerfall von Zellen im Organismus selbst freigesetzt. Stecken im Essen zu viele Purine oder zerfallen vermehrt Zellen im Körper, entsteht verstärkt Harnsäure.

Je nach Ursache, unterscheidet man zwei Formen der Hyperurikämie

  • Primäre Form: Sie ist erblich bedingt und die häufigste Form der Hyperurikämie. In 99 von 100 Fällen wird sie durch eine genetisch bedingte Störung der Harnsäureausscheidung über die Nieren verursacht. In den übrigen Fällen sorgt ein defektes Enzym, das am Auf- oder Abbau von Purinen beteiligt ist, für den Harnsäureanstieg. Kommen dann noch Risikofaktoren wie vermehrter Konsum purinreicher Lebensmittel hinzu, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass eine Gicht entsteht.
  • Sekundäre Form: Die sekundäre Hyperurikämie ist die Folge von anderen Erkrankungen oder bestimmten Medikamenten. So führen beispielsweise Blutkrebs, bestimmte Formen der Blutarmut (Anämie), Schuppenflechte sowie die Chemotherapie bei Krebspatienten zu vermehrtem Zellabbau oder Zellumbau. In der Folge steigt der Harnsäurespiegel an. Außerdem gibt es Krankheiten, die einen Harnsäureanstieg auslösen, indem sie die Ausscheidung der Harnsäure über die Nieren beeinträchtigen. Dazu gehören etwa Typ-2-Diabetes und Nierenerkrankungen. Zu den Medikamenten, die zu einer Hyperurikämie führen können, gehören unter anderem wassertreibende Mittel (Diuretika), Abführmittel, Arzneimittel gegen Tuberkulose oder Krebs sowie niedrig dosierte Azetylsalizylsäure (ASS).

So kommt es zum Gichtanfall

Primäre und sekundäre Hyperurikämie können zu primärer und sekundärer Gicht führen: Die überschüssige Harnsäure wird in Form von Kristallen im Gelenkspalt abgelagert. Das ruft die körpereigene Abwehrtruppe, die sogenannten Fresszellen, auf den Plan. Diese nehmen die Harnsäurekristalle auf und setzen so viele entzündungsfördernde Botenstoffe frei, dass es schließlich zu einem schmerzhaften Gichtanfall kommt.

Besteht bereits eine Neigung zu Gicht, wirken äußere Faktoren krankheitsfördernd oder als Auslöser für einen Anfall. Dazu gehören:

  • reichhaltige Mahlzeiten mit purinreichen Lebensmitteln (wie Innereien, Schwein, Geflügel, Hülsenfrüchte)
  • übermäßiger Alkoholkonsum, insbesondere Bier (auch alkoholfreies!)
  • Getränke mit Fruchtzucker wie Orangensaft und Limonade
  • strenges Fasten, starker Gewichtsverlust
  • körperlicher Stress
  • Infektionen

Welche Beschwerden können auftreten?

Der erste Gichtanfall tritt meist ohne Vorwarnung und vorwiegend während der Nacht- oder in den frühen Morgenstunden auf. Plötzlich einsetzende heftige Schmerzen in einem einzelnen Gelenk reißen den Betroffenen aus dem Schlaf. Das Gelenk ist in der Regel extrem berührungsempfindlich und schmerzt bei Bewegung, es ist geschwollen, gerötet und warm. Der Anfall wird gelegentlich auch von Fieber, Kopfschmerzen, Herzjagen oder Übelkeit begleitet. Bei 80 von 100 Gichtattacken ist ein Gelenk der Beine betroffen, und zwar meist das Großzehengrundgelenk (Podagra). Gelegentlich macht sich der Gichtanfall am Kniegelenk (Gonagra), Sprunggelenk oder Schultergelenk bemerkbar. Ohne Behandlung dauert es ein bis zwei Wochen, bis die Beschwerden abklingen. Wird der erhöhte Harnsäurespiegel nicht gesenkt, besteht die Gefahr, dass sich die Gichtattacken in unregelmäßigen Abständen wiederholen.

Mediziner unterteilen die Gicht in vier Krankheitsstadien:

  • Stadium I: Erhöhter Harnsäurespiegel, aber noch keine Beschwerden
  • Stadium II: Akuter Gichtanfall (meist nach 20 bis 40 Jahren mit erhöhtem Harnsäurespiegel)
  • Stadium III: Beschwerdefreie Phasen zwischen zwei Gichtanfällen, in denen der Harnsäure-Spiegel aber weiterhin erhöht ist
  • Stadium IV: Chronische Gicht. Sie entwickelt sich, wenn die Gicht über einen langen Zeitraum schlecht oder gar nicht behandelt wird. Die Harnsäurekristalle lagern sich dann in verschiedenen Geweben und Organen ab – unter der Haut (Weichteil-Gicht), in mehreren Gelenken zugleich (Gelenk-Gicht) oder in den Nieren (Nieren-Gicht). Es kommt zu anhaltenden Schmerzen und Schwellungen der Gelenke und langfristig zu Komplikationen wie Gelenk- und Knochenschäden, zunehmende Unbeweglichkeit der Gelenke, Schleimbeutelentzündungen, Nierensteine sowie Nierenschwäche bis hin zu Nierenversagen. Durch die Ablagerungen der Harnsäurekristalle bilden sich zudem sogenannte Gichtknoten (Tophi).

Welche Untersuchungen gibt es?

Die Beschwerden und Zeichen des akuten Gichtanfalls sind oft sehr charakteristisch. So spricht eine plötzlich auftretende extrem schmerzhafte Entzündung am Zehengrundgelenk bei einem über 40-jährigen Mann, der am Abend zuvor ein opulentes Mahl zu sich genommen und Alkohol getrunken hat, für einen akuten Gichtanfall. Das gilt vor allem dann, wenn der Mann bereits männliche Verwandte mit Gicht hat.

Erhebung der Krankengeschichte

Im Gespräch mit dem Patienten wird der Arzt zunächst dessen Krankengeschichte erheben. Dabei fragt er zum Beispiel genau nach Beginn, Art und Ausmaß der Beschwerden, eventuellen Grunderkrankungen, Lebensweise und Fällen von Gicht in der Verwandtschaft.

Blutuntersuchung

Bei einer Blutuntersuchung wird der Harnsäurespiegel gemessen. Er gilt als erhöht, wenn er mehr als 6,5 Milligramm pro Deziliter Blut beträgt. Der Harnsäurespiegel ist bei einem akuten Anfall allerdings nicht immer auffällig. Oft finden sich im Blut aber deutliche Entzündungszeichen wie ein erhöhtes C-reaktives Protein (CRP), eine erhöhte Blutkörperchen-Senkgeschwindigkeit (BSG) und eine erhöhte Menge an weißen Blutkörperchen.

Gelenkpunktion

In unklaren Fällen lässt sich die Diagnose durch eine Gelenkpunktion mit Untersuchung der Gelenkflüssigkeit sichern. Bei einer Gicht werden sich darin Harnsäurekristalle finden.

Weitere Untersuchungen

Haben sich infolge der Gicht größere Mengen an Harnsäurekristallen in Gelenken oder Knochen abgelagert, lässt sich dies auf dem Röntgenbild erkennen. Der Arzt wird Patienten im fortgeschrittenen Krankheitsstadium auch auf Langzeitschäden in Gelenken (wie Gewebswucherung, Osteoporose etc.) sowie eingeschränkte Nierenfunktion hin untersuchen.

Häufig tritt Gicht gemeinsam mit typischen Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wie Übergewicht, Zuckerkrankheit (Diabetes mellitus), erhöhten Blutfettwerten und Bluthochdruck (arterielle Hypertonie) auf. Patienten werden daher auf diese Risikofaktoren hin untersucht, um gegebenenfalls umgehend eine entsprechende Behandlung einleiten zu können.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es?

Behandlung des akuten Gichtanfalls

Beim akuten Gichtanfall geht es darum, die Entzündung zu stoppen und die Schmerzen rasch zu lindern. Hierbei helfen vor allem bestimmte entzündungshemmende kortisonfreie Rheuma-Medikamente, sogenannte nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR). Bei eingeschränkter Nierenfunktion werden anstelle der NSAR Kortisonpräparate verordnet, meist in Tablettenform. Betrifft der Gichtanfall ein größeres Gelenk wie das Kniegelenk, kann das Kortison direkt in das Gelenk gespritzt werden. Hilfreich bei einem Gichtanfall können auch kühlende Gelenkumschläge sein.

Langzeitbehandlung

Die Therapie zielt darauf ab die Harnsäurekonzentration zu senken und neue Kristallablagerungen dadurch zu verhindern. Gichtanfälle und Folgeschäden (wie Gelenk- oder Nierenschäden) werden dadurch seltener. Ziel der Langzeittherapie ist es, den Harnsäurespiegel dauerhaft zu normalisieren (auf Werte zwischen 5,5 und 6,4 Milligramm/Deziliter). Dies lässt sich oft schon durch eine Umstellung der Ernährung auf purinarme Kost erreichen. Manchmal ist zusätzlich eine Behandlung mit Medikamenten nötig.

Ernährungsumstellung

Experten empfehlen grundsätzlich eine vollwertige Ernährung. Die tägliche Nahrung sollte zu 50 Prozent aus Kohlenhydraten (Getreide, Kartoffeln, Obst, Gemüse etc.), zu 30 Prozent aus Fett (maximal ein Drittel gesättigte Fettsäuren) und zu 20 Prozent aus Eiweiß (bevorzugt pflanzlichen Ursprungs) bestehen. Purinreiche Lebensmittel wie Innereien, Schalentiere, bestimmte Fischarten wie Ölsardinen, Sardellen und Heringe, Geflügel- und Schweinefleisch sollte man möglichst meiden. Auch Hülsenfrüchte sind reich an Purinen. Als purinfrei oder purinarm gelten dagegen Eier, Milch und Milchprodukte sowie Obst und Gemüse.

Patienten mit Hyperurikämie oder Gicht sollten mindestens zwei Liter pro Tag trinken, um die Harnsäureausscheidung zu fördern und einer Nierensteinbildung vorzubeugen. Geeignet sind Mineralwässer, Saftschorlen sowie ungesüßte Kräuter- und Früchtetees. Alkohol, besonders Bier sollte man meiden. Übergewichtige profitieren davon, ihr Gewicht langsam und ohne Radikalkuren zur reduzieren.

Behandlung mit Medikamenten

Für die Dauerbehandlung stehen sogenannte Urikosurika wie Benzbromaron oder Probenecid zur Verfügung. Sie steigern die Harnsäureausscheidung über die Nieren. Eine weitere Möglichkeit, die Harnsäure-Konzentration zu senken, besteht darin, den Abbau von Purinen zu Harnsäure mit Hilfe des Urikostatikums Allopurinol zu hemmen. Dieser Wirkstoff unterdrückt ein Enzym, das den letzten Schritt des Purin-Abbaus fördert. Dadurch entsteht nur eine Vorstufe der Harnsäure, die der Körper leichter ausscheiden kann. Zudem bilden sich entstandene Ablagerungen zurück.

Zu Beginn einer Therapie mit Allopurinol kann der Harnsäure-Spiegel allerdings vorübergehend ansteigen und neue Gichtanfälle auslösen. Als Vorbeugung dagegen kann in den ersten Monaten zusätzlich eine niedrige Dosis Colchicin verordnet werden – ein Wirkstoff, der aus der Herbstzeitlosen gewonnen wird.

Gibt es bei Gicht Unterschiede zwischen Mann und Frau?

In den Industriestaaten haben etwa 20 bis 30 Prozent der Männer, aber nur drei von hundert Frauen erhöhte Harnsäurewerte. Etwa jede/r Zehnte erkrankt an Gicht. Männer bekommen meist im Alter zwischen 40 und 60 Jahren ihren ersten Gichtanfall, Frauen dagegen erst mit 50 bis 60 Jahren. Beim weiblichen Geschlecht steigen die Harnsäurewerte nämlich erst nach den Wechseljahren an.