Eine Laborantin beugt sich über ihren Tisch und führt eine Testreihe aus.
Zukunft des Gesundheitswesens

Biobanken: Mehr Gesundheit für alle?

Lesedauer unter 8 Minuten

Redaktion

  • Barmer Internetredaktion

Qualitätssicherung

  • Dr. med. dent. Petra Mülker (medizinwelten-services GmbH)

Biobanken sind aus der Medizin schon längst nicht mehr wegzudenken. Und ihre Bedeutung wächst zunehmend: Vor allem bei der Forschung zu individuellen Behandlungsmöglichkeiten sind Biobanken unverzichtbar und leisten einen wichtigen Beitrag für eine sich ständig verbessernde medizinische Versorgung.

Das betrifft auch Aspekte der geschlechtersensiblen Medizin. Doch was sind Biobanken eigentlich genau, wie werden sie in der biomedizinischen Forschung eingesetzt und welche Möglichkeiten eröffnen sie für unsere zukünftige Gesundheitsversorgung?

Was sind Biobanken?

In Biobanken – auch Biomaterialbanken genannt – wird biologisches Material für Forschungszwecke oder für Menschen mit bestimmten Krankheiten gesammelt. Das Körpermaterial liegt als sogenannte Bioprobe vor, etwa in Form von Gewebe, Zellen, Haaren oder Körperflüssigkeit wie z. B. Tränenflüssigkeit oder Urin.

Das Körpermaterial kann im Rahmen der Diagnosestellung oder auch im Verlauf der Behandlung entnommen werden. Generell können aber auch gesunde Spender Proben (beispielsweise der Mundschleimhaut) abgeben. So kann jeder dazu beitragen, Datenbanken etwa für potenzielle Stammzellspenden aufzubauen, um an Blutkrebs erkrankten Menschen zu helfen.

Basis von Biobanken: Material- und Datenspenden

Stilisierte Darstellung: Fingerabdruck auf einem Microchip

Digitalbasierte Systeme ermöglichen medizinische Individualisierung

Biobanken erfassen zusätzlich zum Material gleichzeitig auch alle Daten und Informationen, die im Zusammenhang mit der jeweiligen Probe relevant sind. Dazu gehören idealerweise die Krankengeschichte, familiäre Vorbelastung, Ernährung, Begleiterkrankungen, Untersuchungsdaten etc. – also alles, was genaueren Aufschluss in Zusammenhang mit der Erkrankung geben kann.

Die Proben werden bei minus 80 bis minus 185 Grad Celsius unter Angabe von Lagerort, Anlass und Datum konserviert. So können Proben jahrzehntelang bei gleichbleibender Qualität aufbewahrt werden.

Biobanken erhalten die Materialien und Daten in Form von Spenden. Das ist nur mit der ausdrücklichen und freiwilligen Zustimmung der jeweiligen Person möglich. Jeder Mensch kann also selbstbestimmt über seine Proben- und Datenspenden entscheiden, die einer Biobank übergeben werden. Jede einzelne Spende an eine Biobank leistet so einen wichtigen Beitrag zum medizinischen Fortschritt.

Präzisionsmedizin: Maßgeschneiderte Therapien zum Patientenwohl

Die Faktoren, die zum Entstehen und Fortschreiten von Krankheiten beitragen, können von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich sein. Das zeigt die medizinische Forschung immer deutlicher. Die sogenannte Präzisionsmedizin, auch personalisierte oder individualisierte Medizin genannt, berücksichtigt diese unterschiedlichen Aspekte (z. B. genetische Faktoren, Lebensstil).

Ziel der Präzisionsmedizin ist es, individuelle Behandlungen mit möglichst hoher Wirksamkeit und minimalen Nebenwirkungen zu entwickeln. Eine Grundvoraussetzung dafür ist das Verständnis, wie Krankheiten sich entwickeln und fortschreiten sowie an welchen molekularen Schaltstellen sich die Ausprägung einer Erkrankung entscheidet.

Biobanken für individuelle Medizinanwendungen?

Biobanken unterstützen diese Entwicklungen in der individualisierten Medizin. Denn je mehr Informationen zur Verfügung stehen, desto genauer und statistisch aussagekräftiger können Erkrankungen und Krankheitsverläufe analysiert werden. Das ist u. a. gerade bei Krebserkrankungen wichtig: Individuelle Ausprägungen eines Tumors können unter anderem über sogenannte Genom-Analysen bestimmt werden. Informationen wie diese unterstützen die Forschenden und die Ärzteschaft darin, neue und maßgeschneiderte Behandlungsansätze zu entwickeln und gezielt einzusetzen.

Montage eines vitruvianischen Menschen um den herum Faktoren stehen, die individuelle Medizin berücksichtigt

Personalisierte Medizin berücksichtigt Faktoren, die sich äußeren, inneren, kollektiven und individuellen Bereichen zuordnen lassen.

Die Barmer unterstützt die personalisierte Tumortherapie bei Lungenkrebs.

Zu den aktuell bedeutsamen in Deutschland ansässigen Biobanken zählen unter anderem für die individualisierte Krebstherapie die Indivumed GmbH, Hamburg, das nationale Netzwerk Genomische Medizin Lungenkrebs (nNGM) der Uniklinik Köln, die RWTH zentralisierte Biomaterialbank (RWTH cBMB) an der RWTH Aachen, die Zentrale Biobank der Charité (ZeBanC) an der Charité – Universitätsmedizin Berlin sowie die German Biobank Alliance (GBA) als deutsches Netzwerk von 35 akademischen Biobanken.

Die wichtigste in Europa vertretende Biobank ist die UK Biobank in Großbritannien. Als weltweit größte Biobanken gelten die Biobank Graz in Österreich, die Shanghai Zhangjiang Biobank in China und die US-amerikanische „All of Us“ Biobank. 

Biobanken und Geschlechtersensible Medizin

Das Prinzip einer individualisierten, „ungleichen“ Therapie geht aber noch viel weiter. Denn Menschen ticken auch je nach Geschlecht unterschiedlich – ob männlich, weiblich oder divers. So kann etwa ein Herzinfarkt bei Männern und Frauen ganz verschieden ausgeprägt sein. Auch können Medikamente bei Frauen stärkere Nebenwirkungen hervorrufen. Hier steht die Medizin erst am Beginn einer individualisierten Behandlung, die die oft großen Unterschiede zwischen den Geschlechtern berücksichtigt.

Bei diesem Prozess spielen Biobanken eine wichtige Rolle. Sie bilden die Basis und Ressourcen zur Erforschung von Geschlechterunterschieden und sind damit unverzichtbar für die Weiterentwicklung der Gendermedizin. In ihrer heutigen Ausprägung zeigt sich allerdings schon bei der Datenerhebung ein Dilemma.

Denn bislang können die Daten, die aktuell in Biobanken einfließen, noch unzureichend beziehungsweise einseitig sein. Beispielsweise nehmen an Studien zur Zulassung neuer Wirkstoffe in der Mehrheit weiße Männer teil. Dieser so genannte Gender-Bias (also ein verzerrtes Ergebnis) wird anschließend weiterberechnet, reproduziert und eventuell von auch von algorithmischen Systemen empfohlen. Das kann zu Therapieentscheidungen oder -dosierungen führen, die nicht optimal auf die betroffene Person zugeschnitten sind.

Welche Rolle spielen Biobanken in der Zukunft?

Ziel der Gesundheitsversorgung ist es, immer genauer und zuverlässiger zu verstehen, welche Umstände bei welchen Menschen in Bezug auf eine bestimmte Erkrankung zu einem individuellen Verlauf führen. So gibt es heute schon Biobanken mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten, zum einen für Forschungs-, zum anderen für therapeutische Zwecke.

Klinische Biobanken dienen der Ursachenerforschung von Erkrankungen wie Krebs, Diabetes oder Multiple Sklerose. Die bevölkerungsbasierten Biobanken werden zur Erforschung von Krankheitsanlagen bei bestimmten Bevölkerungsgruppen (Populationen) geführt. Sogenannte zentralisierte Biobanken fassen die Bioprobensammlungen von Universitätskliniken an einem Ort zusammen.

In Deutschland arbeiten Wissenschaftler, IT- und Ethik-Experten der nationalen Koordinierungsstelle GBN (German Biobank Node) in Berlin gemeinsam an Konzepten und Standards für das Biobanking der Zukunft.

Stilisierte Darstellung einer DNA-Doppelhelix

Zielgenaue Behandlung durch Kenntnis genetischer Besonderheiten

Für die zukünftige Nutzung von Biobanken ist vorstellbar, im Sinne einer gezielten Prävention daran zu arbeiten, bestimmte Gesundheitsprobleme gar nicht erst entstehen zu lassen. Auch gibt es Datenbanken, in denen Bioproben von Gesunden in groß angelegten Studien erfasst werden, damit ein möglichst umfassender Datenpool zusammenkommt. Ziel ist es jetzt schon, die Faktoren zu erforschen, die bestimmen, wann ein Mensch krank wird – und wann er gesund bleibt.

Diesen Zwecken stehen die begrenzten Geldmittel in der Gesundheitsversorgung entgegen. Aber gerade in Hinblick auf die demografische Alterung in Deutschland sollten die finanziellen Ressourcen möglichst effektiv und verantwortlich genutzt werden.

Denn Biobanken stellen auf lange Sicht eine wertvolle Investition in die zukünftige Gesundheit der Bevölkerung dar. Außerdem können Daten aus Biobanken auch als Basis für die Weiterentwicklung künstlicher Intelligenz (KI) dienen. Schon heute können Algorithmen der KI einige Krebsarten zuverlässiger diagnostizieren als Ärzte.

Aktuell tragen Biobanken weltweit bereits zum enormen Wissenszuwachs zu Erkrankungen und neuen Behandlungsmöglichkeiten bei. Dieser Prozess wird weitergehen und in Zukunft einen noch höheren Stellenwert bekommen.

Die Rolle von Biobanken: Zwei Beispiele
Wissenschaftler arbeiten stetig daran, defekte Strukturen im menschlichen Erbgut, der DNA, zu erkennen und „reparieren“ zu können. Dafür werden menschliche Stammzellen benötigt, die aus dem Knochenmark oder aus Nabelschnurblut gewonnen werden. Diese Zellen sind „pluripotent“, das bedeutet, sie können programmiert werden – und zwar zu jeder beliebigen Körperzelle eines Menschen.

Schon heute speichern Biobanken Stammzellen, z. B. zur Knochenregeneration oder zur Behandlung bestimmter Erkrankungen. Ein Beispiel sind Nabelschnurblutdatenbanken. Mit Stammzellen können bereits jetzt schon über 80 verschiedenen Krankheiten therapiert werden.

Auf dem Gebiet der Gen-Analysen ermöglicht die sogenannte NGS-Technologie (Next Generation Sequencing) neue diagnostische Anwendungen: Das Genom, also das gesamte Erbgut eines Menschen, kann dadurch in immer höherem Tempo und immer genauer entschlüsselt werden.

Datenschutz und digitale Ethik bei Biobanken

An vielen Stellen unseres Gesundheitssystems fallen wichtige medizinische Informationen an. Das können Daten sein, etwa bei bildgebenden Untersuchungen, oder Körpermaterial, beispielsweise Blut, Speichel oder Gewebe bei Probenentnahmen. Unsere Gesundheitsversorgung der Zukunft ist auf diese Informationen aus dem genetischen und molekularen Material sowie auf Datenspenden angewiesen.

Im Rahmen einer jeden Behandlung könnten Patienten zukünftig danach gefragt werden, ob sie der Spende derartiger Daten für Forschungszwecke zustimmen. Hierzu sollten vorab Aufklärungsgespräche und Informationsmedien angeboten werden, wie sie heute schon bei der Organspende üblich sind.

All diese gewonnenen Proben und erhobenen Daten sind sehr persönlich – und damit höchst sensibel. Daher dürfen sie nur unter strengen Regeln der Pseudonymisierung (bei Spenden zu therapeutischen Zwecken) oder Anonymisierung (bei Spenden zu Forschungszwecken) erfasst und gespeichert werden. Die Versicherten müssen also bei ihrer Datenspende selbstständig und selbstbestimmt einwilligen – das ist das A und O für den Aufbau von Biobanken und deren Nutzung. Anders formuliert: Fehlt diese Einwilligung, dürfen die Informationen nicht genutzt werden.

Um diese enormen Material- und Datenmengen vor Missbrauch zu schützen, müssen sie zuverlässig verwaltet und regelmäßig kontrolliert werden. Dabei spielen medizinische Ethikkommissionen eine wichtige Rolle. Diese Ethikkommissionen sind unabhängige Beratungsgremien im Gesundheitswesen. Sie vertreten die Rechte und die Sicherheit der Patienten und Spender, indem sie strenge Regeln und Grenzen der Datennutzung vorgeben.

So muss die Verarbeitung des Materials und der dazugehörige Umgang mit Informationen in Biobanken stets transparent sein. Die Personen, die mit diesen höchst vertraulichen individuellen Informationen umgehen, müssen qualifiziert, professionell und absolut zuverlässig sein. Die Kommissionen führen zudem sogenannte Datenschutzaudits durch, das heißt, sie überprüfen, ob die geforderten Standards und Vorgaben erfüllt sind und ob der Datenschutz gegeben ist.

Insgesamt betrachtet sind Biobanken ein wichtiger Bestandteil der sogenannten Digital Health, also die Vernetzung von Gesundheit und Gesundheitsvorsorge über digitalbasierte Medizin- und Gesundheitstechnologien sowie (soziale) Netzwerke.

Digitale Gesundheitsprojekte auf der Basis von Biobanken entwickeln sich rasant weiter und stecken voller Chancen für die medizinische Zukunft. Ethisch können sie nur über klare Vorgaben und Grenzen verantwortet werden, wie Dr. Jan Mai im Interview erläutert.  Die Barmer hat für sich 8 Werte einer digitalen Ethik formuliert, um digitalbasierte Innovationen richtungssicher für ihre Versicherten nutzbar machen zu können. 

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Literatur