Eine Jugendliche schaut nachdenklich auf ihr Handy.
Nachhaltigkeit

Interview: Was macht Jugendlichen die größten Sorgen?

Lesedauer unter 4 Minuten

Redaktion

  • Michèle Loetzner

Nachhaltigkeit und Umweltschutz waren vor Corona DAS große Thema junger Menschen. Hat die Pandemie das beendet? Ist uns unser Planet jetzt egal? Dr. Marc Calmbach ist Geschäftsführer des SINUS-Instituts und kennt die Antworten.

Herr Dr. Calmbach, erinnern Sie sich noch, was Ihre größte Sorge war, als Sie volljährig wurden?

Damals Mitte der Neunziger habe ich gerade meine Ausbildung zum Industriekaufmann beendet. Mein größte Sorge war es, diesen Beruf ein Leben lang ausüben zu müssen.

Waren diese Bedenken begründet?

Ja, sicherlich. Denn wenn man schon nach zweieinhalb Jahren Ausbildung merkt, dass der Beruf nichts für einen ist, ergibt es keinen Sinn, daran festzuhalten. Ich hab dann erst einmal Zivi auf einer Jugendfarm gemacht. Danach bin ich für ein Jahr nach Kolumbien, um mich in einem Armenviertel für Kinder und Jugendliche zu engagieren. Das hat alles verändert. Ich habe mein Leben neu ausgerichtet.

Wie genau sah das aus?

Ich holte die Hochschulreife nach und arbeitete zur Finanzierung meines Studiums als Gabelstaplerfahrer. Außerdem hatte ich eine Band, mit der ich regelmäßig weltweit tourte. In den 2000ern studierte ich dann Wirtschaftsingenieurwesen, arbeitete beim Musiksender VIVA Zwei in Köln und promovierte an der musiksoziologischen Forschungsstelle der PH Ludwigsburg. Seit fast 15 Jahren arbeite ich jetzt beim SINUS-Institut, wo ich unter anderem die Forschungsreihe „Wie ticken Jugendliche?“ betreue.

Worüber sorgen sich junge Leute von heute denn am meisten?

Die persönlichen Sorgen betreffen vor allem Übergänge, die kurz- oder mittelfristig anstehen und für die die Jugendlichen mehr oder weniger in Eigenregie verantwortlich sind: ein guter Schulabschluss sowie die Job- beziehungsweise Wohnungssuche – und damit verbunden die Loslösung von den Eltern. Da viele davon ausgehen, ihre Lebensziele erreichen zu können, zeigt mansich recht optimistisch, was die persönliche Zukunft anbelangt. Nur die wenigsten äußern sich aber euphorisch. Man kann von einem Bewältigungsoptimismus sprechen: „Es wird schon werden“, wenn man an sich glaubt und realistisch bleibt.

Vor Corona hatte die Fridays-for-Future-Bewegung einen enormen Zulauf. Die Pandemie und die damit einhergehenden Versammlungseinschränkungen setzten dem ein jähes Ende. Ist das Interesse an Umweltschutz und Nachhaltigkeit verschwunden?

Nein, Klimaschutz ist ein Megathema der Zukunft. Das haben die jungen Leute genau auf dem Schirm. Ich bin mir daher sicher, dass sich Jugendliche auch weiter dafür einsetzen werden. Was bleibt ihnen auch übrig? Die Jugend traut der älteren Generation nicht zu, die Klimakatastrophe abzuwenden. Eine unserer Studien zeigt, dass zwei Drittel der Jugendlichen beklagen, dass sie sich beim Thema Klimaschutz von der älteren Generation im Stich gelassen fühlen. Die Problematik haben sie daher zu einer Frage der Generationengerechtigkeit erhoben. Drei von vier Jugendlichen stimmten der Aussage „Ich habe das Gefühl, wir Jungen müssen die Fehler der Älteren beim Klimaschutz ausbaden“ zu.

Wie prägt der Wunsch nach Nachhaltigkeit den Alltag Jugendlicher?

Klimaschutz fängt für die junge Generation bei der Mobilität an. 56 Prozent und damit mehr als die Hälfte der Jugendlichen erklärt, dass sie immer oder fast immer bei kurzen Strecken den ÖPNV, das Rad nutzen oder zu Fuß gehen. Etwa ein Drittel gibt jeweils an, wegen des Klimas auf ein eigenes Auto und auf Fernreisen zu verzichten. Bei vielen Konsum- und Lifestyle-Entscheidungen besteht hingegen noch wenig Sensibilität für Klimabelastungen. So ist in der Jugend kaum verankert, wegen der Klimabelastung von Fleischkonsum und Billigkleidung Abstand zu nehmen. Nachhaltiges Verhalten und das Interesse am Thema Klimawandel sind – wie bei den Erwachsenen – nicht in allen sozialen Milieus gleichermaßen ausgeprägt. Die bildungsnahen Gruppen haben hier erwartungsgemäß eine größere Nähe zum Thema.

Wie steht es um das Bewusstsein über die persönlichen Privilegien?

Die Jugendlichen sind recht geerdet. Nur ein Drittel glaubt an sozialen Aufstieg. Natürlich sind sie sensibel dafür, dass es ihnen im Vergleich zu Jugendlichen anderer Länder gut geht.

Was erwarten Jugendliche von Erwachsenen in Sachen Zukunft?

Die Jugend fühlt sich prinzipiell politisch zu wenig gehört und nicht ernst genommen. Das verärgert viele, weil sie ein breites Spektrum an gesellschaftlichen Herausforderungen bewegt, zuvorderst der Klimawandel. Das erklärt auch den hohen Zulauf zu Fridays for Future. Aber auch Fragen der Migration und der sozialen Gerechtigkeit bewegen die jungen Leute.

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Was würden Sie sich persönlich wünschen von älteren Generationen bei deren Umgang mit jungen Menschen?

Dass ein breites Verständnis dafür besteht,  dass Jugendliche schon mit 16 wählen können sollten. Ihre Interessen werden gerade in einer alternden Gesellschaft wie der deutschen nicht hinreichend berücksichtigt. Bei der nächsten Bundestagswahl wird jeder Dritte über 60 sein.

Was machen die genau?
Das SINUS-Institut ist ein unabhängiges, inhabergeführtes Institut für psychologische und sozialwissenschaftliche Forschung und Beratung mit Standorten in Berlin, Heidelberg, Wien und Singapur.

  • Das Interview wurde im März 2021 geführt.

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