Eine Gruppe junger Leute steht gemeinsam vor Monitoren, eine Dame trägt eine Augmented Reality Brille
Gesunde digitale Gesellschaft

Die Digitale Gesundheits(r)evolution

Lesedauer unter 16 Minuten

Redaktion

  • Barmer Internetredaktion

Verglichen mit anderen Branchen ist der Gesundheitssektor sicherlich nicht die Speerspitze der Digitalisierung. Das hat gute Gründe: Zum Beispiel die starke Regulierung und hohe Anforderungen an Sicherheit, Datenschutz und Risikominimierung. Was sich trotz allem bereits getan hat und warum die Digitalisierung des Gesundheitssystems Leben retten, Therapien vereinfachen und Kosten sparen kann? Das verrät dieser Überblick über die wichtigsten digitalen Veränderungen, die im Gesundheitswesen gerade vor sich gehen. 

Im Abschnitt „Individuelle Gesundheit“ geht es um digitale Helfer, die ein gesünderes Leben erleichtern können, aber auch um die negativen Auswirkungen, welche durch zu viel Bildschirmzeit entstehen können.

Im zweiten Teil, „Medizinischer Fortschritt“, beleuchten wir, wie Künstliche Intelligenz, die Auswertung bislang ungekannter Datenmengen, aber auch technische Innovationen wie Datenbrillen die medizinische Forschung, Diagnostik oder Medikamentenentwicklung voranbringen können.

Im dritten Abschnitt schließlich werden die Folgen für das Gesundheitssystem beschrieben. Wie wirkt sich die digitale Transformation dort aus und welche Chancen könnte sie bieten, die bestmögliche Gesundheitsvorsorge bezahlbar zu halten.

Eines ist klar: Die Digitalisierung hält für das Gesundheitswesen immenses Potential bereit, von dem erst ein kleiner Teil realisiert wird. Diese positiven Effekte möglichst schnell und effektiv zu nutzen und dabei gleichzeitig eventuelle Nachteile außen vor zu lassen, ist derzeit eine zentrale Herausforderung. Ein zentrales Ziel ist dabei die digitale Mündigkeit der Versicherten.

Diese sollen gut informiert die Entscheidung treffen können, welche digitalen Dienstleistungen und Möglichkeiten sie jeweils nutzen möchten und welche vielleicht (noch) nicht. Digitale Angebote sind dabei kein pauschales Allheilmittel, ihre Chancen und Risiken müssen transparent gemacht und sorgsam analysiert und bewertet werden. Zugleich zeigen die bereits vorhandenen Lösungen, dass die Chancen der Digitalisierung im Gesundheitssystem noch schneller und beherzter ergriffen werden sollten. 

Individuelle Gesundheit

Apps & Tracker: Gesundheitscoach in der Hosentasche

Eine junge Frau in Sportkleidung liegt auf dem Rücken und schaut auf ihre Smartwatch

Der Bereich, in dem Versicherte die Auswirkungen des digitalen Wandels am eigenen Leib erfahren, ist zweifellos der der individuellen Gesundheit. Sei es am Arbeitsplatz, in der Schule oder im Privatleben. Die individuelle Messung und Analyse von Gesundheitswerten beispielsweise war lange Zeit Profisportlern vorbehalten, ebenso wie Personal Trainer in der Vergangenheit ein Privileg von Stars und Prominenten zu sein schienen.

Dank der Digitalisierung ist beides in Form von Smartphone-Anwendungen und tragbaren Fitness-Geräten für die breite Masse verfügbar geworden. Vier von fünf Deutschen nutzen beispielsweise eine Fitness-App, die ihnen etwa durch Trainingspläne oder Anleitungen hilft, regelmäßig Sport zu treiben, die Fortschritte erfasst und in vielen Fällen durch Erinnerungen, Lob oder virtuelle Abzeichen für Motivation sorgt. Wearables wie Smartwatch oder Fitnesstracker sind mit einer Verbreitung von 19 Prozent langsam im Kommen.

Hier macht die Technik durch immer kleinere und leistungsfähigere Sensoren gerade schnelle Fortschritte: Vom reinen Schrittzähler haben sich die Geräte binnen weniger Jahre zu kleinen Analysezentren gewandelt: Smartwatches können Kalorienverbrauch messen, in Sekundenschnelle ein EKG erstellen und warnen, wenn der Träger zu lange gesundheitsschädlichem Lärm ausgesetzt ist.

Digitale Personenwaagen geben nicht nur das Gewicht an, sondern auch Puls und Pulswellengeschwindigkeit, ein Messwert, der Aufschluss über die Herz-Kreislaufgesundheit des Nutzers liefert. Dazu kommen Smartphone-Apps, die an die pünktliche und regelmäßige Medikamenteneinnahme erinnern, Rat in Sachen ausgewogener Ernährung oder psychischer Gesundheit liefern oder die Nutzer dabei unterstützen, mit dem Rauchen aufzuhören.

All dies ist mehr als eine Spielerei von Technikfans, sondern hilft Menschen, gesünder zu leben und weit verbreitete Krankheiten wie Diabetes mellitus, Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische Atemwegserkrankungen oder psychische Störungen besser zu bewältigen. Bei Bluthochdruck, worunter laut Robert-Koch-Institut rund jeder dritte Erwachsene in Deutschland leidet und der mitverantwortlich für zahlreiche Erkrankungen ist, ist das Präventionspotential beispielsweise sehr hoch.

Ein negativer Effekt der Digitalisierung kann sich durch übermäßigen Konsum von abendlichem Videostreaming, Spielen oder Social Media für das gesunde Schlafpensum ergeben. Medizinisch nachgewiesen ist, dass gerade das bläuliche Licht von Monitoren und Smartphone-Displays die Melatoninausschüttung und damit den Schlaf negativ beeinflussen kann.

Zu wenig Schlaf wiederum kann auf Dauer das Risiko von Depressionen, Übergewicht, Diabetes sowie Herz-Kreislauf-Problemen erhöhen. Da ein ausreichender und gesunder Schlaf für die Gesundheit sehr wichtig ist, kann eine gute Schlafhygiene, wie beispielsweise konstante Zubettgeh- und Aufsteh-Zeiten durch digitale Schlaftracker ins Bewusstsein gerückt und verbessert werden. Hier ist die Genauigkeit und Aussagekraft der handelsüblichen Messgeräte, gerade was die verschiedenen Schlafphasen angeht, allerdings noch umstritten.

Zwei Mädchen sitzen auf einer Couch und schauen auf ein Smartphone

 

Immer on: Kinder und Jugendliche im Netz

Bei Kindern und Jugendlichen kann es angebracht sein, die Nutzung digitaler Medien im Blick zu behalten. So konnten verschiedene Studien Zusammenhänge zwischen einer häufigen Nutzung von Smartphones oder Tablets und Konzentrationsschwäche, Hyperaktivität oder Sprachproblemen nachweisen. Das Problem: Dieser statistische Zusammenhang muss nicht automatisch eine kausale Verbindung bedeuten.

So wäre es beispielsweise auch möglich, dass Kinder, welche die genannten Probleme aufweisen, die digitalen Geräte besonders häufig nutzen, etwa weil sie besonders davon fasziniert sind oder sie häufiger von ihrem Eltern bekommen als andere Kinder. Ähnliches gilt bei an Jugendlichen beobachteten Zusammenhängen zwischen Nutzung von Sozialen Netzwerken wie Instagram oder Snapchat und Problemen wie Depression, Online-Mobbing, Schlafstörungen und niedrigem Selbstwertgefühl. Auch hier lässt sich jedoch nicht mit Sicherheit sagen, ob es sich um eine Ursache-Wirkung-Beziehung handelt oder womöglich andere Faktoren beides beeinflussen – die Probleme sowie die digitale Mediennutzung.

Statt sich nur auf eine zeitliche Begrenzung der Online-Nutzung von Kindern und Jugendlichen zu verlassen, sollten Erwachsene jedoch auch auf eine stärkere Aufklärung und Einordnung der verschiedenen digitalen Angebote achten. Denn es ist schließlich nicht egal, ob eine Stunde „Smartphone-Zeit“ beispielsweise mit Lesen oder Recherche zu einem bestimmten Thema verbracht wird oder mit ziellosem Spielen oder Chatten. Auch letzteres kann Spaß machen und für die kindliche Entwicklung wertvoll sein, aber die Unterschiede der verschiedenen Angebote selbständig einschätzen und beurteilen zu können ist eine wichtige Fähigkeit, die es zu erlernen gilt.

Diese gesundheitsverträgliche und entwicklungsgerechte Medienkompetenz zu entwickeln und auszubauen, ist keine triviale Aufgabe und kann nur von Eltern, Schule und Kindern gemeinsam vollbracht werden. Auch kann es sinnvoll sein, Kinder und Jugendliche anzuleiten, digitale Werkzeuge kreativ und produktiv zu nutzen statt als rein passive Konsumenten.

Ob digitale Bildbearbeitung oder Musikerstellung, das spielerische Erlernen einer Programmiersprache oder das Veröffentlichen von Blogs oder Podcasts – die Möglichkeiten, sich in der digitalen Welt zu verwirklichen und auszudrücken, anstatt nur durch von Algorithmen zusammengestellte Feeds zu scrollen, sind vielfältig. Und können für das Entwickeln neuer Interessen und somit auch für Erfolgserlebnisse und ein höheres Selbstwertgefühl sorgen. 

Digitaler Stress: Veränderungen der Arbeitswelt

Bei Erwachsenen ist es häufig die Aufweichung der Grenze zwischen Arbeit und Privatleben, die durch die digitale Transformation vorangetrieben wird und für Gefühle von Belastung, Hektik und Überforderung sorgen kann. Berufliche Mails am Wochenende, das Gefühl permanenter Erreichbarkeit und digitaler Kontrolle durch den Arbeitgeber sowie eine Verkürzung der Reaktionszeiten sind nur einige Beispiele für „digitalen Stress“. Dieser kann wiederum zu gesundheitlichen Beschwerden von Rückenschmerzen oder Kopfschmerzen bis zu emotionaler Erschöpfung und allgemeiner Müdigkeit führen. Etwa jeder fünfte Arbeitnehmer leidet unter digitalem Stress.

Ein Mann sitzt im Schneidersitz mit geschlossenen Augen auf dem Fußboden

Dabei gilt: Je größer das Unternehmen, desto eher nehmen die Erwerbstätigen Stress wahr. Vergleicht man gleich große Unternehmen, gehen ausgeprägte Hierarchien und starke bürokratische Strukturen einer Studie zufolge interessanterweise mit einem geringeren Stresslevel einher. Als Präventionsmaßnahmen für digitalen Stress empfehlen Experten zum einen Vermittlung und Erwerb von digitalen Kompetenzen, aber auch einen maßvollen und individuell angemessenen Einsatz digitaler Technologien.

Aber auch gemeinsam mit den Kollegen, sei es in der Abteilung oder der gesamten Firma, Erwartungshaltungen und klar definierte Grenzen beispielsweise zum Thema Erreichbarkeit, Antwortzeiten und ähnliches zu definieren, kann helfen. Das ist auch im Interesse der Arbeitgeber, denn hoher digitaler Stress geht neben gesundheitlichen Problemen auch mit einer verringerten beruflichen Leistung, Arbeitszufriedenheit und Bindung der Erwerbstätigen an den Arbeitgeber einher.

Medizinischer Fortschritt

VR & AR: Besser sehen Dank Datenbrillen 

Die Medizin entwickelt sich kontinuierlich weiter – und dieser Fortschritt wird zunehmend digital. Ein Beispiel sind Datenbrillen, die Ärzte bei der Forschung und Behandlung unterstützen können: Virtuelle Realität (VR) erlaubt es dem Nutzer, dreidimensionale Umgebungen und Objekte auf intuitive Weise zu erkunden. Das kann beispielsweise Medizinstudenten aber auch Forschern erleichtern, den menschlichen Körper zu verstehen.

An der Uniklinik Heidelberg zum Beispiel sezieren Medizinstudenten über einen Touchscreen Leichen, während sie zu Hause am Schreibtisch sitzen. In einem Kinderkrankenhaus in Los Angeles üben junge Ärzte in digitalen Simulationen, im Notfall unter Zeitdruck die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das erstickende Kind ist dabei nicht echt – der empfundene Stress schon. Auch Spezialisten profitieren von solchen simulationsbasierten Trainings, indem sie mit ihrem Team anspruchsvolle Operationen wie eine Organtransplantation Schritt für Schritt durchgehen.

Augmented Reality (AR) wiederum ermöglicht es, Informationen in Echtzeit ins Sichtfeld einer Datenbrille einzublenden, und so das real Wahrgenommene zu ergänzen. Dadurch können beispielsweise Röntgenaufnahmen über die reale Ansicht eines Körperteils gelegt werden oder minimal-invasive Chirurgie einfacher und präziser gemacht werden. Bislang sind es vor allem die Operationsmikroskope, die zum Beispiel den Operationspfad ins Sichtfeld einblenden, damit Chirurgen nicht ständig den Kopf zwischen Patient und Monitor drehen müssen. In Zukunft könnten Augmented-Reality-Headsets diese Funktion übernehmen. Auch bei Depressionen sowie Angst- und Suchterkrankungen werden inzwischen VR-Anwendungen zu Therapiezwecken eingesetzt. 

Ein Junge sitzt auf einer Couch und trägt eine Augmented Reality Brille

Big Data: Große Hoffnung Datenberg

Indem sie massenweise Informationen darüber sammeln, was Nutzer im Internet suchen oder kaufen, haben Konzerne wie Amazon und Google den Markt revolutioniert. Auch das Gesundheitswesen könnte von Big Data profitieren – und damit die Patienten. Gesundheitsrisiken ließen sich frühzeitig identifizieren, Therapien sich individualisieren. Insbesondere in Genomdaten setzen Forscher große Hoffnungen, sei es im Kampf gegen Krebs oder psychische Erkrankungen wie Schizophrenie. Informationen über das Erbgut oder Erkrankungen sind jedoch äußerst sensibel.

Die Nutzung dieser und anderer Gesundheitsdaten ist in Deutschland deshalb streng geregelt: Viele Daten dürfen nur verwendet werden, wenn sie so anonymisiert wurden, dass die betroffene Person nicht mehr identifiziert werden kann.

Stilisierte Nahaufnahme eines Datenservers

Bislang lag der Großteil der in Deutschland erfassten Gesundheitsdaten in den Aktenschränken und auf den Servern von Krankenhäusern und Versicherungen. Experten zufolge entstehen während eines einzelnen Krankenhausaufenthalts Daten in der Größenordnung von 12 Millionen Romanen: administrative Daten wie die Länge des Aufenthalts, Informationen über Körpertemperatur oder den Blutzuckerspiegel, sogenannte Biomarker oder Röntgenbilder.

Sollen diese in der Forschung verwendet werden, müssen Patienten dem erst freiwillig, aktiv und explizit zustimmen. In der elektronischen Patientenakte (ePA) ist diese Möglichkeit der „Datenspenden“ vorgesehen. Ab 2023 soll jeder, der möchte, seine in der ePA gesammelten Daten freiwillig und anonymisiert der Wissenschaft zur Verfügung stellen können. Auch bei den Apps, Smartwatches oder Tracking-Armbändern, mit denen sich immer mehr Menschen selbst vermessen (siehe Abschnitt 1), fallen Gesundheitsdaten an.

Hier entscheiden jedoch meist die Hersteller, was damit passiert und nicht immer gelten die strengen deutschen Datenschutzrichtlinien. Auch die Daten solcher Wearables können jedoch zu Forschungszwecken dienen: Nachdem die Apple-Watch bei einigen Trägern Herzrhythmusstörungen dokumentiert hatte, initiierte das Unternehmen in Zusammenarbeit mit der Stanford University School of Medicine eine Herzgesundheitsstudie mit über 400.000 Freiwilligen.

Festplatte statt Reagenzglas: Auf der Suche nach neuen Medikamenten

Neben den genannten Möglichkeiten kann die Digitalisierung auch helfen, neue Medikamente zu entwickeln. Die Suche nach innovativen Wirkstoffen ist in den vergangenen Jahren teurer und langwieriger geworden. Bevor ein neues Medikament auf den Markt kommt, muss sichergestellt sein, dass der Körper es abbauen kann: Der Wirkstoff soll sich nicht im Blut anreichern.

Arzneimittelfirmen prüfen neue Kandidaten deshalb auf solche Nebenwirkungen. Sie vergleichen diese mit ähnlichen, bereits erprobten Medikamenten, testen sie im Reagenzglas oder im Tierversuch. Insbesondere eine Anreicherung in der Leber lässt sich jedoch erst in einer klinischen Studie zuverlässig ausschließen: Hier zeigt sich, wie der Mensch auf das Medikament reagiert.

Bis dieses an ersten Freiwilligen untersucht wird, sind bereits mehrere Jahre vergangen. Bis zur Zulassung ist es aber immer noch ein langer Weg. Eine Reihe von Studien muss erst die Wirksamkeit belegen. Viele Substanzen erweisen sich in dieser langwierigen Testphase als unwirksam oder unverträglich. Weniger als die Hälfte der potenziellen Kandidaten erhält letztlich die Zulassung.

Künstliche Intelligenz soll diesen Prozess nun revolutionieren. Mit den entsprechenden Daten gefüttert identifizieren und validieren selbstlernende Systeme Moleküle, die sich als Wirkstoffe eignen oder suchen in Datenbanken nach neuen Anwendungsgebieten für erprobte Medikamente. Sie gleichen Substanzen ab, um mögliche Wechselwirkungen aufzuzeigen und unterstützen bei der Auswahl geeigneter Probanden für klinische Studien. KIs können inzwischen sogar eigenständig Medikamente entwickeln. Anfang 2020 wurde der erste so erzeugte Wirkstoff, ein Medikament zur Behandlung von Zwangsstörungen, zur Erprobung in klinischen Studien freigegeben.  

Eine Gruppe von Ärzten schaut sich eine Röntgen-Aufnahme an

Gesundheitssystem

Weniger Papierkram: Administration in Kliniken und Arztpraxen

Menschen zu behandeln ist Menschensache. Die Technik kann dabei jedoch assistieren. Manche Neuerungen der vergangenen Jahre haben sich nahezu selbstverständlich im Gesundheitswesen etabliert. So wie das Smartphone, mit dem sich E-Mails versenden lassen, das aber auch als Personenrufempfänger eingesetzt werden kann, beispielsweise um Ärzte im Bereitschaftsdienst zu alarmieren.

Andere technische Großprojekte, wie die elektronische Patientenakte (ePA), die allen Patienten seit 2021 zur Verfügung stehen wird, müssen organisiert und begleitet werden – sei es, um Mitarbeiter entsprechend zu schulen, aus Gründen des Datenschutzes und um ein grundlegendes Verständnis bei den Versicherten und dadurch die entsprechende Akzeptanz zu schaffen.

Zwei ältere Menschen umarmen sich

Zwei entscheidende Faktoren machen den Einsatz neuer Technologien unumgänglich: Im deutschen Gesundheitswesen fehlen Fachkräfte. Zeitnot und Überbelastung sind die Folge. Und die Zahl der älteren Menschen steigt. In Zukunft werden die vorhandenen Einrichtungen deshalb mehr mit altersassoziierten Erkrankungen wie Krebs oder Herzinsuffizienz und dementen Patienten zu tun haben.

Der oft zitierte Pflegeroboter ist zum Sinnbild dieser Entwicklung geworden – obwohl entsprechende Technik noch lange nicht einsatzfähig ist. Was Digitaltechnik dagegen heute schon kann: Mitarbeiter im Gesundheitswesen zum Beispiel bei administrativen Aufgaben zu entlasten, damit mehr Zeit für die Patienten bleibt.

So lassen sich dank sogenannter Krankenhausinformationssysteme Patientenlisten führen, Vitaldaten überwachen und dokumentieren und Befunde mobil verwalten, so dass Ärzte und Pflegekräfte jederzeit darauf Zugriff haben. Patientendatenmanagementsysteme bringen Ordnung in die massenhaft anfallenden Gerätedaten der Intensivmedizin.

Manche Kliniken bieten auch Apps an, mit denen die Patienten ihren Aufenthalt bewerten können. Die Informationen landen dann direkt beim Qualitätsmanagement. Das alles kann dazu führen, dass sich die medizinische Versorgung verbessern lässt, ohne dass dafür zwangsläufig mehr Geld aufgewendet werden muss – allein, weil weniger Zeit für Administration und Logistik verwendet werden muss und dadurch mehr für die Pflege und Betreuung bleibt.

Dr. KI: Künstliche Intelligenz in der Diagnostik

Weil digitale Technologien in manchen Bereichen schneller und präziser arbeiten als der Mensch, wird ihr Einsatz in Zukunft wohl auch darüber entscheiden, wie eine Krankheit verläuft. Ein Beispiel ist der Schlaganfall. Unterbricht dieser die Sauerstoffzufuhr zu einem Gehirnareal, kann das bleibende Schäden verursachen. Neurologen sagen deshalb: „Zeit ist Hirn“.

Eine Computertomografie (CT) ist der erste diagnostische Schritt. Ein erfahrener Radiologe erkennt darauf die unterversorgten Stellen. Eine künstliche Intelligenz, kurz KI, die entsprechend trainiert wurde, kann das ebenfalls – sie benötigt dafür aber nur einen Bruchteil der Zeit. Außerdem ermüdet sie nicht, auch wenn sie stundenlang Bilder klassifiziert. Und sie ist lernfähig: Ein gewöhnliches EKG-Programm, das den Herzschlag von 1000 Patienten erfasst hat, erkennt einen Aussetzer danach nicht besser als vorher. Eine KI wird mit wachsender Datenmenge jedoch immer treffsicherer.

Lungenerkrankungen, Brustkrebszellen, Netzhautveränderungen in Folge von Diabetes oder maligne Melanome identifizieren solche selbstlernenden Algorithmen bereits sehr zuverlässig. Eine von Wissenschaftlern der Universität Oxford trainierte KI entdeckt bereits kleinste Vorzeichen eines Herzinfarkts ¬wie Entzündungen oder Narbenbildung, so dass Patienten bis zu fünf Jahre früher als üblich gewarnt werden können. Ähnliche Erfolge zeigt ein in den Google-Laboren entwickelter Algorithmus: Dieser spürt die verräterischen Anzeichen anhand von Retina-Scans auf. 

Eine Roboterhand und eine menschliche Hand greifen nacheinander

Natürlich ist Vorsicht geboten: Wie bei allen KI-Systemen ist auch bei denen im Gesundheitssystem darauf zu achten, dass diese nicht „voreingenommen“ sind. So litten frühe Varianten von Gesichtserkennungssoftware beispielsweise darunter, dass sie vorwiegend mit Gesichtern von weißen US-Amerikanern trainiert worden waren und deshalb bei Menschen mit dunkler Hautfarbe oder Asiaten deutlich häufiger Fehler machten. Auch Frauen können unter einer geringeren Zuverlässigkeit von KI-Software leiden, wenn diese überwiegend auf Daten von Männern basiert, die mehrheitlich technikaffiner sind und damit die Mehrheit der ersten Nutzungsdaten stellen.

Da Algorithmen letztlich nur das reproduzieren, womit sie trainiert wurden, ist also entsprechend penibel auf die Qualität der Daten zu achten, mit denen sie gefüttert werden. Ebenso kann es helfen, von den Entwicklern zu verlangen, dass stets nachvollziehbar bleiben muss, wie ein Algorithmus zu seiner Entscheidung gelangt ist, um somit prüfen zu können, ob Verzerrungen vorliegen. Wenn diese Vorsichtsmaßnahmen beachtet werden, können solche Systeme jedoch Ärzte bei der Diagnostik sinnvoll unterstützen und so Gesundheit erhalten oder sogar Leben retten.

Visite per Video: Telemedizin und Mobilbehandlung

Eine Frau hält ihr Baby auf dem Arm, beide schauen in einen Laptop

In Deutschlands Praxen und Kliniken fehlen derzeit etwa 10.000 Ärzte. Insbesondere im ländlichen Raum ist dies ein Problem. Ältere Patienten empfinden die weite Fahrt bis zur nächsten Praxis als zusätzliche Belastung. Für chronisch Kranke kann die Organisation der Arzttermine zu einer Art Vollzeitjob werden. Um die Lücken im Versorgungsnetz zu schließen, einigte sich die Bundesärztekammer deshalb 2018 darauf, das „Verbot der ausschließlichen Fernbehandlung“ in Deutschland aufzuheben. Seitdem dürfen Ärzte ihre Patienten telefonisch oder per Internet behandeln, auch ohne diese vorher in der Praxis untersucht zu haben. In der Schweiz, England oder Skandinavien ist dies schon länger erlaubt.

Hierzulande musste erst die Berufsordnung geändert werden. Doch noch immer haben nicht alle Landesärztekammern die entsprechenden Regelungen umgesetzt. Deswegen ist die Telemedizin hierzulande nach wie vor Stückwerk – auch wenn der gemeinsame Bundesausschuss von Krankenkassen, Ärzten und Krankenhäusern bereits mehr als 100 Projekte in diesem Bereich fördert. Online-Sprechstunden sind dabei nur ein Teil der Telemedizin.

Unternehmen wie die im Rahmen eines Modellversuchs gestartete Teleclinic, aber auch Startups aus dem Ausland bieten die Möglichkeit, per Videotelefonie oder Online-Fragebogen einen Arzt zu konsultieren. Eine der großen ungeklärten Fragen ist derzeit noch die Finanzierung beziehungsweise Abrechnung bei vielen Dienstleistungen aus dem Bereich der Telemedizin.

Der Bereich Telemedizin umfasst aber auch die Versorgung ohne Online-Visite. Ein Beispiel ist das Projekt „Fontane“ der Universitätsklinik Charité in Berlin. Die teilnehmenden Herzpatienten übertragen täglich per Tablet Blutdruck, Puls und Gewicht an das Rostocker Care-Center. Verändern sich diese Daten auffällig, ruft das Center bei ihnen an. Die Patienten haben so das Gefühl, mit ihrer Erkrankung nicht alleine zu sein. Die Fachärzte hingegen können sofort eingreifen, wenn dies nötig wird. Auch den Austausch von Behandlern untereinander erleichtert die Telemedizin.

In Nordrhein-Westfalen beraten sich am Projekt „TELnet@NRW“ teilnehmende Ärzte und Gesundheitsfachkräfte gemeinsam mittels Audio-Videokonferenzen. Die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft wiederum versucht deutschlandweit sogenannte Tele-Stroke-Units zu etablieren: Kliniken, die über keine spezialisierte neurologische Abteilung verfügen, können sich digital mit Schlaganfallexperten abstimmen, ohne Zeit zu verlieren.

Die Voraussetzung für all diese Anwendungen sind eine leistungsfähige und sichere Internetverbindung, eine einheitliche Erfassung und Aufbereitung von Daten und Weiterbildungsangebote – nicht nur für die Mitarbeiter im Gesundheitswesen, sondern auch für die Patienten. Denn nur, wenn sie der Technik vertrauen, kann diese auch die notwendige Leistung bringen.

Gesundheits-Apps und Fitnesstracker; Augmented-Reality-Brillen und digitale Medikamentenentwicklung; Telemedizin und KI-Diagnostik: Neben den genannten Beispielen gibt es zweifellos noch unzählige andere Bereiche, in denen die Digitalisierung das Gesundheitssystem bereits verändert und in Zukunft noch in deutlich stärkerem Maße verändern wird.

Dieser Wandel wird sich oft radikal anfühlen und ein Umdenken sowie eine offene Zusammenarbeit aller Beteiligten erfordern. Doch wenn diese gelingt und die Chancen des digitalen Fortschritts zügig und mutig genutzt werden ohne dabei den Menschen aus dem Blick zu verlieren – dann ergeben sich enorme Vorteile für alle. 

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