Eine Gruppe Jugendlicher schaut in ein Smartphone
Gesellschaft

Ständig on: Wie ticken Jugendliche in Sachen Digitalisierung und Gesundheit?

Lesedauer unter 14 Minuten

Redaktion

  • Barmer Internetredaktion

Qualitätssicherung

  • Dirk Weller (Diplom-Psychologe)

Für Jugendliche 2020 sind das Internet und seine Dienste ein wichtiger Teil ihres Lebens. Welche Rolle Gesundheit dabei spielt, zeigt die aktuelle SINUS-Jugendstudie in Kooperation mit der Barmer.

Die Welt der Jugendlichen 2020 ist digital. Schon die Kleinsten versuchen wischend das Handy der Eltern zu bedienen, wenn es in Reichweite ist. Mit 12 Jahren sind fast alle Kinder online, ihr Smartphone ist immer dabei. Saßen ihre Eltern im gleichen Alter noch vor dem Fernseher oder hingen am Festnetztelefon, binden heute WhatsApp, YouTube und Google die Aufmerksamkeit. Diese neuen Medien sind selbstverständlich geworden – mit ihren Chancen wie verbesserter Bildung und sozialer Teilhabe, aber auch mit ihren Risiken wie Cybermobbing und Onlinesucht.

Wie nutzen die 14- bis 17-Jährigen Netzwerke und Messengerdienste und welche Rolle spielt das Thema Gesundheit dabei? Wie kritisch oder selbstkritisch sehen sie den eigenen Konsum? Diese Fragen hat die Barmer in Zusammenarbeit mit dem SINUS-Institut erörtert. Die Antworten liegen nun mit der SINUS-Jugendstudie 2020 vor, einer qualitativ-empirischen Untersuchung der Lebenswelten und Soziokulturen der Jugendlichen in Deutschland (siehe Kasten).

Studien zeigen, dass viele der sogenannten „Digital Natives“ mehrere Stunden täglich online sind. Sie schicken sich Textnachrichten oder Fotos, schauen sich Videos an, spielen mit anderen Online-Spiele oder recherchieren für die Schule. Auch für die im Rahmen der SINUS-Studie befragten Jugendlichen bedeuten Smartphones, das Internet und die Digitalisierung in erster Linie einen Zugang zu den Sozialen Medien und damit zu ihren Freunden – und das unabhängig von ihrem jeweiligen Bildungsniveau. Etwa die Hälfte von ihnen nennt als Erstes Dienste wie WhatsApp, Instagram, Snapchat oder YouTube. Auch Begriffe wie „Kommunikation“, „Kontakte“, „Freunde" oder "Freundinnen“ und „Leute kennenlernen“ fallen. Ihr Smartphone verbindet sie mit anderen – und mit einer Welt, die spannend, komplex und für Erwachsene nicht immer auf Anhieb zu verstehen ist.

Nicht ohne mein Smartphone

„Mein Handy ist eigentlich mein täglicher Begleiter“, sagt ein 14-Jähriger aus der Gruppe der Konsum-Materialisten. „Also ich habe meinen Wecker auf meinem Handy, ich habe meinen Schulplan auf meinem Handy, ich habe alle meine Kontakte auf dem Handy.“ Das eigene Smartphone schenkt Jugendlichen ein Stück Unabhängigkeit. Es ist auch ein Statussymbol. Das bedeutet jedoch nicht, dass ihr Umgang mit der Technologie naiv ist. Als potenzielle negative Effekte für Gesundheit und Psyche nennen sie Onlinesucht und Cybermobbing, seltener auch Kopfschmerzen, Augenleiden oder mangelnde Konzentrationsfähigkeit. Sorgen vor Handystrahlung sind nur vereinzelt Thema. Die 15-jährige Gymnasiastin aus der Gruppe der Postmateriellen, die ihr Handy vor dem Zubettgehen bei den Eltern abgibt – „das soll dann raus wegen der Strahlen und so“ –, ist eine Ausnahme.

Über die SINUS-Jugendstudie 2020
Die SINUS-Jugendstudie ist eine qualitativ-empirische Untersuchung, die alle vier Jahre vom Heidelberger SINUS Markt- und Sozialforschung GmbH unter 14- bis 17-Jährigen durchgeführt wird. Durch Einzelinterviews, Fragebögen und Fotos wird erforscht, wie die Jugendlichen den Alltag erleben, woran sie sich orientieren und wie sie das Geschehen um sich herum einordnen. Wie im SINUS-Milieumodell der Erwachsenen werden die Befragten dabei systematisch in soziokulturellen Lebenswelten verortet. Diese Lebenswelten unterscheiden sich zum einen nach dem Bildungsgrad, aber auch nach danach, wie wichtig ihnen Absicherung und Autorität, Bestätigung und Besitz oder Kreativität und Herausforderungen sind. Im Einzelnen werden die Gruppen vom SINUS-Institut wie folgt aufgeteilt und beschrieben:

Adaptiv-Pragmatische: Der leistungs- und familienorientierte Mainstream mit hoher Anpassungsbereitschaft
Expeditive: Die erfolgs- und lifestyleorientierten Networker auf der Suche nach neuen Grenzen und unkonventionellen Erfahrungen
Experimentalisten: Die spaß- und szeneorientierten Nonkonformisten mit Fokus auf Leben im Hier und Jetzt.
Konsum-Materialisten: Die freizeit- und familienorientierte untere Mitte mit ausgeprägten markenbewussten Konsumwünschen
Postmaterielle: Weltgewandte bildungsaffine Teenage-Bohemiens mit ausgeprägtem Gerechtigkeitsempfinden
Prekäre: Die um Orientierung und Teilhabe bemühten Jugendlichen mit schwierigen Startvoraussetzungen und Durchbeißermentalität
Traditionell-Bürgerliche: Die natur- und heimatorientierten Familienmenschen mit starker Bodenhaftung

Diese Gruppen sind unterschiedlich groß: Am häufigsten sind Jugendliche den Adaptiv-Pragmatischen zuzurechnen, am seltensten den Prekären. Da die SINUS-Jugendstudie ursprünglich genau zu dem Zeitpunkt abgeschlossen war, als sich die Corona-Pandemie in Europa auszubreiten begann, wurde entschieden, die Veröffentlichung zu verschieben und um ein Spezialkapitel zu erweitern. Für dieses Corona-Sonderkapitel wurde eine Nachbefragung im April und Mai 2020 unter einer Teilgruppe der bereits in der Hauptstudie befragten Jugendlichen durchgeführt.

Stress und Entspannung bei Jugendlichen

Zu viel zu tun, zu wenig Zeit – mit diesem Gefühl haben viele Erwachsene zu kämpfen. Auch Jugendliche kennen Stress: Laut der SINUS-Jugendstudie erleben sich die meisten Befragten zumindest manchmal gestresst, einige stehen häufig oder sogar ständig unter Druck. Als Hauptgrund nennen sie die Anforderungen in der Schule. Doch eine exzessive Internet- und Smartphonenutzung kann ebenfalls ein Stressfaktor sein – auch wenn das den Jugendlichen nicht bewusst ist. An manchen Tagen können bis zu hundert Nachrichten hereinrauschen und die anderen im Chat erwarten, dass jede schnell beantwortet wird. „Wir schreiben ja wirklich durchgehend“, formuliert es eine 17-Jährige Expeditive, „Wenn man einen Smiley zum Beenden der Gespräche sendet oder so, sendet man einen Smiley zurück. Und danach stellt man wieder eine Frage.“ Solches Dauer-Posten kann stressen.

Das Smartphone ist jedoch auch ein Mittel, um Stress abzubauen: Die Jugendlichen telefonieren, chatten, schauen Netflix oder Youtube-Videos, surfen ziellos oder spielen Videogames. Die verbreitete Meinung lautet zwar, dass nur ein Waldspaziergang oder Sport richtig erholsam sein können. Unter Hirnforschern ist jedoch noch strittig, ob Stressabbau auch am Bildschirm möglich ist oder nicht.

Schlafstörungen durch die Nutzung von Handy oder Tablet

„Meine Mama legt die Schlafenszeiten fest. Sie tut auch mal den Stecker vom WLAN ziehen, deswegen kann ich dann nichts mit meinen Freunden machen, sondern nur irgendwas offline und kein YouTube und nix und ... Dann muss ich auch schlafen gehen, weil mir dann nichts einfällt, was ich tun kann.“ Nicht nur für diesen 14-Jährigen Prekären gehört das Smartphone zur Zubettgehroutine. Die Mehrheit der 14- bis 17-Jährigen klickt sich vor dem Einschlafen noch durch WhatsApp, Instagram, Snapchat oder YouTube oder guckt Filme und Serien.

Obwohl Schlafforscher dazu raten, leuchtende Bildschirme mindestens eine Stunde vor dem Einschlafen zu meiden und Handy oder Tablet nicht mit ins Schlafzimmer zu nehmen, scheint die Schlafqualität der Jugendlichen nicht spürbar zu leiden. Die große Mehrheit gibt an, sie schlafe gut. Von belastenden Schlafstörungen berichten nur wenige Jugendliche, darunter vor allem Adaptiv-Pragmatische und Prekäre. Einige bringen diese mit ihrem Computerspielverhalten vor dem Zubettgehen in Verbindung. Doch der Verzicht auf das Smartphone löst das Problem nicht automatisch, wie die Aussage eines 16-Jährigen Experimentalisten zeigt: „Also eine Zeit lang habe ich es probiert, dass ich das Handy schon um 18 Uhr beiseitegelegt habe, aber dadurch wurde ich mehr hibbelig und da konnte ich nicht schlafen und wusste auch nicht, was ich tun kann.“ Die Sorge, etwas zu verpassen, erschwert das Abschalten – in doppeltem Sinn.

Unrealistische Körperbilder als Vorbild

Die Jugendlichen von heute fotografieren sich mehr als die Generationen vor ihnen. Sie konsumieren auch mehr Fotos anderer. Einem realistischen Körperbild scheint das eher abträglich. Als schön gilt, was Influencerinnen und Influencer auf Instagram, TikTok und YouTube vorleben – obwohl die Jugendlichen sich durchaus bewusst sind, dass die Posts inszeniert und bearbeitet sind. Besonders Instagram prägt das Körperbild mit, zeigt wie dieser zu optimieren und disziplinieren ist. Hashtags wie #thighgap, #abcrack, #A4waist oder #collarbonechallenge dienen zum gegenseitigen Ansporn. Was vor Jahren als Pro-Magersucht-Bewegung in geschlossenen Internet-Foren begann, findet hier nun in abgeschwächter Form öffentlich statt. Die sogenannten Challenges richten sich vorwiegend an Nutzerinnen. Die „Herausforderung“: einem Körperbild zu entsprechen, das häufig exzessiven Sport und Diäten voraussetzt.

Schön erfolgreich?

Während die meisten Experimentalisten das nötige Selbstbewusstsein und die Mehrheit der Postmateriellen die entsprechende Gelassenheit mitbringen, um die von Influencerinnen und Influencern definierten Körper- und Gesundheitsbilder mit Abstand zu betrachten, fällt dies den Jugendlichen anderer Milieus weniger leicht. Für Adaptiv-Pragmatische haben Bloggerinnen und Influencer einen hohen Stellenwert – gerade diese Jugendlichen schwanken aber auch am stärksten zwischen Souveränität und Selbstzweifeln. „Manchmal sehe ich halt Menschen, die so um die Welt reisen, und es ist immer dasselbe, dass sie einen guten Körperbau haben. Und dann guck ich auf meinen Körper, dann bin ich wieder ganz traurig“, sagt ein 15-Jähriger aus der Gruppe der Adaptiv-Pragmatischen.

Prekäre und Konsum-Materialisten orientieren sich ebenfalls stark an medial vermittelten Körperidealen. In der Gruppe der Konsum-Materialisten finden sich auch die meisten Jugendlichen, die sich als nicht attraktiv genug wahrnehmen und mit sich hadern. Diejenigen Konsum-Materialisten, die mit sich zufrieden sind, ziehen daraus das Gefühl, mithalten zu können. Wenn es um Bildung geht neigen sie dazu, sich als unterlegen wahrzunehmen. Aber körperlich, so empfinden sie es, kann ihnen keiner was. Ähnlich, wie es eine 17-Jährige Expeditive beschreibt: „Natürlich macht das was mit deinem Ego ein bisschen, wenn du da ein schönes Bild von dir postest und Leute das irgendwie feiern.“ 

Die von etlichen Instagram-Accounts vermittelte Botschaft lautet: Der Körper ist ein Rohstoff, der sich durch Leistung formen lässt. Eltern, Freunde und die Schule sind gefragt, damit Jugendliche sich von dieser Inszenierung nicht vereinnahmen lassen. Sie können eine souveräne Mediennutzung und ein gesundes Körperbild fördern.

Cyberchondrie bei Jugendlichen eher selten

Morbus Google? Die Frage danach beantworten die meisten Jugendlichen mit Schulterzucken. Die Neigung, bei jeglichem Unwohlsein im Netz Symptome zu recherchieren, ist ihnen fremd. Gesundheitsthemen beschäftigen sie generell nicht so sehr wie Erwachsene – und sie sind Experten zufolge auch nicht so anfällig für digitale Hypochondrie. Gegoogelt werden vor allem konkrete aber als harmlose empfundene Beschwerden: Erkältungen, Kopfschmerzen, Nasenbluten oder Übelkeit. „So was wie Kopfschmerzen suche ich“, sagt ein 14-Jähriger aus der Gruppe der Prekären, „Einfach, wenn da steht: Das hilft gegen ... Dann klicke ich da drauf und lese es mir kurz durch.“ 

Wenn es darum geht, die Seriosität der Quellen einzuordnen, finden sich die Bildungsnahen besser zurecht. Sie hinterfragen in aller Regel die Quelle, verlassen sich seltener auf die erstbesten Ergebnisse. „Also zum Beispiel als ich das mit meinem Auge hatte, da habe ich auf jeden Fall einfach Schilddrüsenüberfunktion eingegeben, also das Wort, und habe mich da dann eben informiert auf verschiedenen Websites. Ja, also ich versuche natürlich als Erstes, auf ganz viele verschiedene Websites zu gehen und das dann so ein bisschen zu vergleichen. Und wenn eben ein Fakt häufiger aufkommt, dann ist das natürlich vertrauenswürdiger, und dann glaubt man das auch mehr“, so eine 17-Jährige Expeditive. Bildungsferne hingegen machen die Zuverlässigkeit der Information auch daran fest, wie hoch ein Suchergebnis gelistet ist und wie oft eine Seite aufgerufen wurde.

Gesunde Medienkompetenz

Mehr Medienkompetenz wäre hier wichtig. Denn Krankheiten zu googlen kann Angst machen. Zwar rechnen die allermeisten Jugendlichen damit, bei solchen Recherchen zwangsläufig auch auf fatale Befunde zu stoßen. Das schützt sie aber nicht immer. „Da dachte ich, ich habe Darmkrebs. Deswegen habe ich auch Panik geschoben. Ich habe nur geweint. Am Ende war es doch nicht. Psychisch ging es mir gar nicht gut. Ich habe mich sozusagen selbst krank gemacht, obwohl ich es nicht war“, sagt zum Beispiel eine 17-Jährige aus der adaptiv-pragmatischen Lebenswelt. Auch in den anderen Lebenswelten gibt es Jugendliche, die von solchen Situationen berichten. Um nicht verunsichert zu werden, verzichten einige mittlerweile weitgehend darauf, Krankheiten zu googlen.

Vielleicht ist vielen Eltern gar nicht bewusst, wie wichtig sie in dieser Frage für ihre Kinder sind. Denn diese schätzen sie als vertrauenswürdige und kompetente Ansprechpartner. Bei ernsthaften Erkrankungen führt aus Sicht der 14- bis 17-Jährigen jedoch nichts am Gang zur Arztpraxis vorbei. Die Fachkompetenz der Medizinerinnen und Mediziner ist meist unbestritten und die Jugendlichen vertrauen darauf, dass diese im direkten Gespräch ausführlich und individuell auf ihre Beschwerden eingehen und Fragen beantworten.

Manche bildungsnahe Jugendliche nutzen das Internet, um sich auf ihr Arztgespräch vorzubereiten. Eine alleinige Deutungshoheit sprechen sie den Internetdiagnosen aber ab. Denn in einer Sache sind sich die Jugendlichen aus allen Lebenswelten einig: Bei Krankheitsthemen sei nicht immer unkompliziert nachzuprüfen, ob Webinhalte fachlich kompetent verfasst seien. Eltern können hier helfen, indem sie mit ihren Kindern gemeinsam Zeit im Netz verbringen und vertrauenswürdige Seiten ansteuern. Schulen wiederum können den Jugendlichen nahebringen, wie man herausfindet, wer hinter einer Webseite steckt, Quellen checkt und unklare Aussagen validiert.

Onlinesucht betrifft nur "die Anderen"

Keine Minute ohne Handy; Wutanfälle, wenn die Eltern die Spielekonsole wegnehmen; Schlafstörungen; Vereinsamung: Darüber, wie sich Onlinesucht äußert, herrscht Konsens in allen Lebenswelten. Die Jugendlichen sind sich aber noch in einem weiteren Punkt einig: Süchtig sind nur die anderen. Abhängigkeit von Apps und Online-Diensten gilt zwar als potenzielle Gefahr. Ihr eigenes Nutzungsverhalten empfinden sie jedoch nicht als problematisch. Aufgewachsen in einer digitalisierten Welt, können sie sich ein Leben ohne Internet nicht vorstellen. Ein 14-Jähriger Prekärer bringt es auf den Punkt: „Ohne Handy wäre möglich, aber sinnlos.“

Cybermobbing erlebt jeder fünfte Jugendliche

Früher waren es vor allem berufstätige Erwachsene, die sich Mobbing ausgesetzt sahen – sei es von Kollegen oder dem Chef. Cybermobbing hingegen findet im digitalen Raum statt. Betroffen sind häufig Kinder und Jugendliche. Von den in der SINUS-Jugendstudie Befragten hat ungefähr jeder Fünfte bereits Cybermobbing miterlebt, zumindest im näheren Umfeld. Beleidigungen, herabsetzende Bilder und Videos oder falsche Online-Identitäten sind demnach ein in allen Schultypen und Lebenswelten auftretendes Phänomen. „Das kam halt so aus dem Handy“, sagt zum Beispiel eine 15 Jahre alte Postmaterielle. „Und dann ist man allein zu Hause und kriegt eine asoziale Nachricht oder so, dann macht es einen viel mehr fertig, als wenn es jetzt dir ein Mensch ins Gesicht sagt.“

Die befragten Jugendlichen haben eine klare Haltung zu solchen Übergriffen: Diese sind ein No-Go, intolerabel, verantwortungslos und gemein. Sie wissen um die Ohnmachtsgefühle der Betroffenen und dass diese schlimmstenfalls zu Depressionen oder Suchtverhalten führen können. Entsprechend versuchen sie sich aus der Schusslinie zu nehmen: Wer sich im Internet öffentlich äußert oder Bilder hochlädt, muss damit rechnen, beleidigt oder beschimpft zu werden, so die recht einhellige Meinung. Die Lösung sind private Gruppen: Um beleidigenden und verletzenden Kommentaren zu entgehen, nutzen die meisten die Sozialen Medien nur noch in geschlossenen Bereichen oder passiv.

Ansprechpartner der Jugendlichen bei Cybermobbing

Genau wie bei Onlinesucht und Cyberchondrie sind die Eltern auch bei Cybermobbing die wichtigste Anlaufstelle für die Jugendlichen. Sie erwarten nicht unbedingt, dass die Erwachsenen das Problem lösen. Es geht ihnen mehr um Verständnis, Trost und Rückendeckung. Auch der Freundeskreis hat hier eine immense Bedeutung. In der Schule suchen sie Unterstützung bei Vertrauenslehrkräften oder Sozialpädagogen. Bildungsnahe schätzen darüber hinaus Experten wie Ärztinnen, Psychologen und Therapeutinnen. Dass die Polizei bei Cybermobbing helfen kann, ist den meisten Jugendlichen zumindest bewusst. Kostenlose Anlaufstellen wie „Nummer gegen Kummer“, „SCHAU HIN!“, „JUUUPORT“, „klicksafe“ oder die bke-Onlineberatung sind nicht so bekannt, wie sie sein sollten: Manche Jugendliche äußern den Wunsch, es gäbe mehr professionelle Hilfsangebote. Die Barmer hat auf dieses Studienergebnis bereits reagiert und eine neue Kooperation mit dem Start-up „krisenchat.de“ gestartet, für dessen Bekanntheit sie sich mithilfe ihrer reichweitenstarken Kommunikationskanäle besonders einsetzen wird. Per Textnachricht können junge Menschen hier in allen Lebenslagen die benötigte Unterstützung finden.

Bewussterer Umgang und Beschränkung der "Screen Time"

Seit der Einführung des iPhones 2007 wird immer wieder vor den gesundheitlichen Folgen der zunehmenden „Screen Time“ gewarnt: Gerade für Kinder und Jugendliche sei die am Bildschirm verbrachte Zeit schädlich für die Psyche, begünstige Angstzustände oder Depressionen. Doch Screen Time kann alles Mögliche sein: Textnachrichten an Freunde, Online-Shopping, Videos anschauen oder Training mit der Vokabel-App für den Unterricht. Nur die online verbrachte Zeit zu bewerten, ergibt kein differenziertes Bild. Dass sie viel Zeit am Smartphone verbringen, streiten die Jugendlichen auch nicht ab. Die Mehrheit stuft die Nutzungsintensität als hoch ein.

Insbesondere die sich im Mainstream oder als Netzwerker verortenden Befragten räumen ein, das Niveau habe sich in den vergangenen zwei Jahren noch erhöht. Die Sorgen oder den Missmut ihrer Eltern darüber nehmen die Mädchen und Jungen zwar zur Kenntnis. Aber sich deshalb beschränken? „Smartphones und Internet sind sehr nützlich, ich wüsste nicht, was ich ohne machen sollte. Handy ist so ein Großteil von meinem Leben“, beschreibt es eine 14 Jahre alte Adaptiv-Pragmatische. Zumal auch Eltern oft genug selbst in ihr Smartphone starren, anstatt Alternativen vorzuleben. „Angenommen, niemand hätte Smartphones, dann ginge es ohne. Aber so in der Gesellschaft heute eher nicht, glaube ich“, sagt eine 15-Jährige aus demselben Milieu. Ein Leben ohne Handy erscheint den Jugendlichen sozial inkompatibel, bereits ein Tag Verzicht ist für viele ein unangenehmer Gedanke. Eine ganze Woche ohne? Das halten nur wenige für ertragbar.

Internetkonsum in Zeiten von Corona 

In der Corona-Krise (der die SINUS-Jugendstudie ein eigenes Zusatzkapitel widmet) hat sich der Internetkonsum noch einmal signifikant gesteigert. In Zeiten, in denen die Jugendlichen ihre Freundinnen und Freunde weder auf dem Pausenhof noch im Einkaufszentrum treffen durften, waren Messengerdienste und soziale Netzwerke der wichtigste Draht zur Außenwelt. Männliche und bildungsferne Jugendliche spielten nach eigenen Angaben deutlich mehr an der Konsole, andere verbrachten erheblich mehr Zeit mit dem Streaming von Serien und Filmen – aber auch mit linearem Fernsehen, das sich als Informationsmedium über die Pandemieentwicklung einer großen Beliebtheit erfreute und großes Vertrauen bei den Jugendlichen genoss. Speziell die „Tagesschau“ und die dazugehörige App, aber auch die öffentlich-rechtlichen Sender allgemein haben bei den Jugendlichen unabhängig von Geschlecht, Bildung oder Lebenswelt einen sehr guten Ruf als Informationsquelle. Die Sozialen Medien werden hingegen mit großer Skepsis betrachtet und als Informationsquelle zwar genutzt, genießen aber kein wirkliches Vertrauen. „Ich nutze immer mehr die öffentlich-rechtlichen Nachrichten, weil ich kapiert habe, dass Sachen wie Bild und Social-Media-Einwürfe auf Instagram kompletter Bullshit sind“, sagt zum Beispiel ein 15-Jähriger aus der Gruppe der Adaptiv-Pragmatischen. „Da tut man viel mehr dramatisieren als es wirklich ist“.

Die gesamte SINUS-Jugendstudie 2020 können Sie bei der Bundeszentrale für politische Bildung bestellen.

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