Eine Frau im Homeoffice sitzt mit Kindern am Laptop
Socialhealth@work

Socialhealth@work: Wie verändert Corona die Arbeitswelt?

Lesedauer unter 4 Minuten

Redaktion

  • Stephan Böhm & Miriam Baumgärtner (Universität St. Gallen )

Anfang des Jahres hätte vermutlich niemand geahnt, wie schnell und einschneidend die Coronakrise unsere Arbeitswelt auf den Kopf stellt. Innerhalb kürzester Zeit mussten Unternehmen Arbeitsplätze umorganisieren, Homeoffice einrichten und neue Kommunikationswege entwickeln. Flexible Arbeit erlebte einen kräftigen Schub. Doch ist der neue Trend auch langfristig? Welche Arbeitsformen werden sich durchsetzen? Und was bedeutet das für unsere Gesundheit?

Die Barmer und das Team um Professor Stephan Böhm von der Universität St. Gallen haben sich bereits 2016 diese Fragen gestellt: Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung und Flexibilisierung auf die Gesundheit von Beschäftigten? Und auf welchen Ebenen lässt sich Gesundheitsförderung effektiv und erfolgreich umsetzen? Eine dreijährige, bevölkerungsrepräsentative Studie mit mehr als 8.000 Beschäftigten lieferte erste Antworten.

Mit Ausbruch des Coronavirus hat sich die Entwicklung um ein Vielfaches beschleunigt und intensiviert. Es ist deshalb zu erwarten, dass die Veränderungen über die aktuelle Krise hinaus Einfluss auf die moderne Arbeitswelt haben wird.

Vor Corona: Ist das jetzt schon Digitalisierung?

Die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Arbeit sind seit Jahren ein vieldiskutiertes Thema. Insbesondere mobiles Arbeiten (von jedem Ort aus) oder Telearbeit und Homeoffice (Arbeiten von zuhause aus) sind für viele Beschäftigte bereits gewohnte Praxis. Interessanterweise gab es dennoch kaum Erkenntnisse zu der Frage, wie diese Entwicklungen auf die Gesundheit von Berufstätigen wirken.

Wie die erste Studie zeigte, wirkt Flexibilisierung als "zweischneidiges Schwert": Berufstätige profitieren einerseits von mehr Autonomie und können Aufgaben im privaten und beruflichen Bereich besser in Einklang bringen. Andererseits leiden viele Beschäftigte unter ständiger Erreichbarkeit, Informationsüberlastung und zunehmender Entgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben. Die Folge ist die Zunahme von Stressfaktoren wie "Techno-Stress" und "Always-on"-Mentalität.

Innerhalb und außerhalb von Unternehmen zeigten sich deshalb oft große Unterschiede bei der mobilen Arbeit. Während einige Teams die Möglichkeiten eher selten nutzten, taten dies andere bereits vor Corona intensiv. Trotz entsprechender Betriebsvereinbarungen ist letztlich die Unternehmenskultur ausschlaggebend. Eine ausgeprägte Präsenzkultur geht etwa mit der Angst vor zunehmender Flexibilisierung einher. So befürchten viele Firmen einen Verlust an Kontrolle und verstecken sich hinter praktischen Schwierigkeiten wie einem Mangel an Soft- und Hardware.

Die Coronazeit als Brennglas und Zukunftslabor

Seit Beginn der Coronakrise sehen sich Beschäftigte in vielen Berufen jedoch plötzlich mit einem radikalen Wechsel ins Homeoffice konfrontiert. Die Veränderung bedeutet dabei häufig soziale und physische Isolation. Hinzu kommen vielfältige Unsicherheiten und Ängste im privaten wie im beruflichen Bereich, unter anderem die Sorge um die Gesundheit und die Angst vor Stellenabbau und Lohneinbußen.

Gerade für Beschäftige mit Kindern ergaben sich durch die Schließung von Schulen und Betreuungseinrichtungen weitere Herausforderungen und oft auch Konflikte. Viele mussten extremes Multi-Tasking betreiben, eine Trennung von Arbeit und Privatleben war vielfach nicht möglich und Stress war und ist weit verbreitet.

Auf der anderen Seite machen Beschäftigte und Führungskräfte plötzlich Erfahrungen mit der Arbeit von Zuhause aus, die dies vorher nicht kannten oder nur sehr begrenzt nutzten. Da vieles besser funktioniert als erwartet, werden fest verankerte Verhaltensweisen hinterfragt und neue Strategien erprobt. Koordination findet virtuell statt, neue Prozesse und Routinen werden getestet und etabliert.

Nicht selten kommt es dadurch allerdings auch zu Spannungen und Konflikten in den Teams, da die rein virtuelle Kommunikation und Zusammenarbeit erhöhte Anforderungen an Empathie, Aufmerksamkeit und Selbstkontrolle stellt.

Die Anpassung gelang in den meisten untersuchten Fällen besser und reibungsloser als vermutet. Durch die wirtschaftlichen Herausforderungen, etwa das Wegbrechen der Nachfrage, Probleme mit der Lieferkette oder Kurzarbeit, befinden sich aber weiterhin viele Organisationen im "Krisenmodus".

Schafft Corona wirklich eine neue Arbeitswelt?

Wie sollten Arbeitgeber mit der neuen Herausforderung umgehen? Für Firmen und Beschäftigte gilt es jetzt, aus der besonderen Situation zu lernen und produktive und gesunde Rahmenbedingungen für flexible Arbeit zu gestalten. Hierfür gibt es auch bereits verschiedene Ansätze: Zum Beispiel kann Selbstführung dabei helfen, die Anforderungen von agiler Arbeit etwa durch die Flut von Informationen und Optionen besser zu bewältigen.

Durch teambasierte Spielregeln können Unklarheiten in den Erwartungen hinsichtlich der Nutzung von Flexibilität beseitigt werden, beispielsweise bei der Frage, wann eine E-Mail, die einen außerhalb der Arbeitszeit erreicht, beantwortet werden soll. Entscheidend ist auch, ob die Unternehmenskultur flexibles Arbeiten überhaupt zulässt und unterstützt, und ob es Unternehmen gelingt, den Schritt von der Präsenz- zur Leistungskultur zu gehen, in der klare Leistungskriterien die Anwesenheit vor Ort und somit eine reine Input-Kontrolle ablösen.

Blick nach vorn: Studie gibt weitere Antworten

Um Antworten auf Wirkmechanismen zwischen den verschiedenen Faktoren zu identifizieren, ihr Zusammenspiel zu analysieren und evidenzbasierte Lösungen zu entwickeln, führt die Barmer derzeit gemeinsam mit der Universität St. Gallen eine dreijährige Studie mit mehreren Messzeitpunkten durch. Hiervon erwarten wir uns bisher einmalige Einblicke in das Zusammenspiel der unterschiedlichen Ebenen über die Zeit und repräsentativ für die gesamte deutsche Erwerbsbevölkerung.