STANDORTinfo für Thüringen

Thüringen vernetzt weiterdenken...

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Keine Frage: Unser Gesundheitssystem bietet eine medizinische Versorgung auf hohem Niveau. Dennoch landet Deutschland in internationalen Rankings meist nur im Mittelfeld unter vergleichbaren Ländern. Anhand verschiedener Indikatoren belegte kürzlich der Berliner Gesundheitsökonom Professor Reinhard Busse: „Unser System ist nicht so gut, wie viele denken oder behaupten.“ Der Umfang des Leistungskatalogs und die  Patientenorientierung erhielten zwar gute Noten, doch beim Vergleich der medizinisch vermeidbaren Mortalität vieler Erkrankungen schneide Deutschland in einem Vergleich von 28 Ländern mittelmäßig ab.

Aus Sicht der Barmer liegt das größte, aber auch am schwersten zu hebende Potenzial in der noch immer zu strengen Trennung der einzelnen Leistungsbereiche im Gesundheitssystem - vor allem dem ambulanten und stationären Sektor. Aber auch an den Schnittstellen zu Reha, Pflege und therapeutischen Berufen gibt es Reibungsverluste. Das sind strukturelle und zum Teil gewachsene Defizite. Für den Patienten heißt dies: Er muss oft selbst dafür sorgen, die Sektorengrenzen zu überwinden. Aber auch die Wirtschaftlichkeit des Gesundheitssystems leiden darunter.

Viele Anläufe zur Sektorenvernetzung

Der Gesetzgeber hat in den vergangenen Jahren zwar zahlreiche Versuche unternommen, dies zu ändern - beispielsweise in der Palliativversorgung, bei schweren Erkrankungen mit der „Ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung“ oder auch mit der Einführung von Portalpraxen an Kliniken und einem koordinierten Entlassmanagement. Doch vieles läuft noch nicht wie gewünscht, und die zahlreichen Einzellösungen haben nicht zur Lösung des grundlegenden Problems geführt.

Mit unserer Veranstaltung „Die Mauer muss weg“ im April haben wir bereits erste Ideen für eine Reform des Gesundheitssystems diskutiert. Diese Diskussion wollen wir fortführen. Dazu findet am 21. August in Erfurt eine nächste, hochkarätig besetzte Veranstaltung mit Akteuren aus ganz unterschiedlichen Bereichen statt. Ziel ist ein 360-Grad-Blick auf die vielen Aspekte, die bei einer so grundlegenden Reform des Gesundheitswesens berücksichtigt werden müssen.

Referenten der Veranstaltung am 21. August

Vorstellung des Barmer-Konzeptes zur sektorenübergreifenden Versorgung

Prof. Dr. Christoph Straub


über „Transparenz und Qualität in einem sektoral geprägten Gesundheitssystem“

Fallbeispiel „Intersektorale Facharztzentren – Klammer zwischen ambulant und stationär“

 „Der Patient zwischen den Sektoren“

Podiumsdiskussion mit den Teilnehmern sowie Dr. Annette Rommel, 1. Vorsitzende des Vorstandes der KV Thüringen und Rainer Poniewaß, Geschäftsführer der Landeskrankenhausgesellschaft Thüringen

Birgit Dziuk, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Thüringen. Foto: Michael Reichel

Birgit Dziuk, Landesgeschäftsführerin der BARMER in Thüringen. Foto: Michael Reichel

Birgit Dziuk, Landesgeschäftsführerin der Barmer in Thüringen, ist auch mit einem Blick in die Wahlprogramme der Parteien zur Bundestagswahl sicher: Die sektorenübergreifende Versorgung wird das zentrale Thema der nächsten Jahre.

Dziuk will diese deshalb auch in Thüringen mit regionalen Akteuren weiter entwickeln: „Das ist ein Mammutprojekt, aber es lohnt sich. Wichtig ist mir zu sagen:  Wir können es nur gemeinsam schaffen. Aber wir werden auch alle davon profitieren, wenn wir die Versorgung besser vernetzen und abstimmen - nicht zuletzt, weil wir selbst Patienten sind. Falls die Sorge besteht, dass irgendjemandem dadurch etwas weggenommen wird, dann kann ich beruhigen: Auch in Zukunft bleibt für alle genug zu tun. Die sektorenübergreifende Versorgung wird sicherlich nicht billiger, sondern besser. Wenn ich zurückblicke, kann ich mich nicht erinnern, dass Gesundheitsausgaben jemals gesunken sind.“ 

Eine Mauer im Gesundheitswesen?

Man kennt sich: In Thüringen wird Zusammenarbeit im Sinne der Versorgung der Patienten bereits seit vielen Jahren groß geschrieben. Der Titel der jüngsten Veranstaltung „Die Mauer muss weg“ (Ein Zitat des Gesundheitsweisen Prof.  Ferdinand Gerlach muss - so das Fazit der Diskussionsrunde - für Thüringen deshalb um ein paar Lücken im Mauerwerk erweitert werden. In Thüringen gibt es bereits einige vielversprechende praktische Ansätze. Nun geht es darum auch die Strukturen des Systems zu überdenken und zu diskutieren. Dafür haben wir - als kleinen Ausblick auf die Veranstaltung am 21. August - die Landeskrankenhausgesellschaft Thüringen (LKHG) und die Kassenärztliche Vereinigung um ihre Einschätzung zur Lage in Thüringen gebeten.

Gastbeiträge

Die Mauer … ist längst weg

Eigentlich ist es schade, dass man oft ziemlich „auf den Putz hauen“ muss, um wahrgenommen zu werden. Dass es so ist, lässt aber verstehen, warum die Barmer das Bild einer Mauer bemühte, um anzusprechen, dass es bei der Sektor-übergreifenden Zusammenarbeit im Thüringer Gesundheitswesen noch Reserven gibt.

Grundsätzlich ist Sektor-übergreifende Versorgung in Thüringen längst Alltag: Hoch spezialisierte Krankenhausärzte nehmen als ermächtigte Fachärzte an der ambulanten Versorgung teil. Viele unserer Krankenhäuser bauen auf Belegärzte aus dem ambulanten Bereich. Notdienst und Notaufnahmen arbeiten fast überall in Thüringen Tür an Tür und werden künftig – das organisieren KV und LKHG gerade gemeinsam mit den Kassen – noch enger kooperieren. Fachlicher Austausch über die 'Sektorengrenze' hinweg, Überweisungssteuerung oder Kooperation mit anderen Gesundheitsberufen funktionieren in der Praxis oft ganz selbstverständlich in kollegialen Netzwerken – auch ohne institutionellen Wasserkopf, wie „Versorgungsverbünde“ oder Netzwerk-Verbände.

Die oben zitierte Mauer ist längst weg. Hier auf gleichberechtigter Basis nach weiteren Kooperationsmöglichkeiten zu suchen, ist legitim und hilft am Ende den Patienten. Eine Sektor-übergreifende Bedarfsplanung? Warum nicht, wenn sie nicht nur darin besteht, Klinik-Konzernen den Weg auf den „ambulanten Markt“ zu ebnen. Einheitliche Vergütungen für gleiche Leistungen? Eine gute Idee, solange es mehr als eine Spar-Idee ist.

Ein gutes Beispiel für Sektor-übergreifende Zusammenarbeit ist die Arzneimittelinitiative ARMIN, bei der Ärzte und Apotheker gemeinsam Medikationspläne für chronisch kranke Patienten erstellen. ARMIN zeigt aber auch die Grenzen solcher Ideen: So lange sie Modellversuche mit einzelnen Kassen bleiben, fehlt die „kritische Masse“, um bei Patienten und Software-Herstellern wahrgenommen zu werden. Vielleicht müssen hier nicht nur Ärzte, sondern auch Kassen „Mauern überwinden“ - im Interesse ihrer Versicherten.

Die Krankenhäuser in Thüringen sind ein wesentliches Rückgrat der medizinischen Daseinsvorsorge. Daher begrüßt die Landeskrankenhausgesellschaft Thüringen ausdrücklich, dass in der zweiten Veranstaltungsrunde am 21. August 2017 auch die relevanten Selbstverwaltungspartner, Kassenärztliche Vereinigung und Landeskrankenhausgesellschaft Thüringen, mit an den Tisch geholt werden, um gemeinsame Wege miteinander zu diskutieren. 

Erste Etappenerfolge frühzeitig erzielt: Thüringen schafft die Grundlagen für die sektorübergreifende Qualitätssicherung

In Thüringen ist es den Selbstverwaltungspartnern frühzeitig gemeinsam gelungen, wegweisende Verträge im Interesse einer weiterhin qualitativ hochwertigen und sektorübergreifenden Patientenversorgung auf den Weg zu bringen. Das gilt insbesondere für die sektorübergreifende Qualitätssicherung. Hier wurde sehr frühzeitig der Weg für eine sektorübergreifende Betrachtung der Versorgung, insbesondere unter Qualitätsgesichtspunkten, geebnet und damit die vertragspartnerschaftliche Stärke aller Beteiligten zugunsten der Patientenversorgung erneut unter Beweis gestellt.

Es gibt noch viel zu tun: Letztverantwortung der Länder stärken, Versorgungsplanung dezentralisieren und regionalisieren

Trotz der vorgenannten Etappenerfolge bleiben der demografische Wandel und die künftige Versorgung der Thüringer Bevölkerung mit ambulanten und stationären Gesundheitsleistungen, insbesondere im ländlichen Raum, unsere gemeinsamen zentralen Herausforderungen. Damit sektorübergreifende Versorgung nachhaltig gelingt, ist es insbesondere erforderlich, dass die bislang eingesetzten Planungsinstrumente (die Krankenhausplanung der Länder und die vertragsärztliche Bedarfsplanung) an die Erfordernisse einer patientenorientierten sektorübergreifenden Versorgung angepasst werden. 


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